Über 200 Bootsflüchtlinge sterben, weil die rechtzeitige Rettung verweigert wurde – Italienische Küstenwache sendet Notruf weiter an Malta und bleibt tatenlos!
Presseerklärung
29.11.2013
Acht Tage nach der
Lampedusa-Tragödie vom 3. Oktober 2013: Admiral der Italienischen Küstenwache
rechtfertigt sich mit Verweis auf die Zuständigkeit von Malta; aktuelle
Recherchen dokumentieren die verweigerte Seenotrettung am 11.Oktober 2013.
Acht Tage nach der
Bootstragödie vor Lampedusa ertranken am 11. Oktober 2013 über 200 syrische
Flüchtlinge, darunter über 100 Kinder, bei einem weiteren Unglück in ca. 100
Kilometern Entfernung vor der italienischen Insel. Nur durch die hartnäckige
Recherche des italienischen Journalisten Fabrizio Gatti sowie Nachforschungen
des Monitoring Projektes WatchTheMed kommen nun die skandalösen Umstände dieses
tödlichen Dramas ans Licht.
Das Boot startete am
Vorabend aus Libyen und wurde in der Nacht von einem libyschen Schnellboot
verfolgt und beschossen. Dadurch geriet das Boot in Seenot und drohte zu
sinken. Die am Vormittag des 11. Oktobers per Satellitentelefon abgesetzten
Notrufe wurden – so beklagen später Überlebende in Interviews – von den
italienischen Behörden zunächst ignoriert.
Eine Überprüfung der
Notwarnsysteme durch WatchTheMed ergab, dass die sich in der Umgebung
befindlichen Schiffe informiert wurden, der Rettungseinsatz durch das nur
wenige Seemeilen entfernte italienische Marineschiff LIBRA aber erst um 17:14
Uhr angeordnet wurde, viereinhalb Stunden nach dem von Rom bestätigten
eingegangenen Notruf um 12:26. Zu diesem Zeitpunkt war das Flüchtlingsboot
schon gesunken, mehr als 200 Menschen ertranken. Sie alle hätten überleben
können, wenn die Rettungsmaßnahmen sofort in Gang gesetzt worden wären. Doch
der Leiter der Hafenkommandantur und der Küstenwache Italiens, Felicio
Angrisano, hat sich laut des italienischen Nachrichtenmagazins Espresso mit
Verweis auf die Zuständigkeit von Malta gerechtfertigt: Das Flüchtlingsboot
habe sich in der maltesischen Seenotrettungszone (SAR) befunden.
„Left to die, das
Sterbenlassen auf See, gehört offensichtlich nach wie vor zur
EU-Abschreckungspolitik gegenüber Flüchtlingen“, kritisiert Helmut
Dietrich von der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration. Dokumentiert sind
von „Fortress Europe“ über 18.000 Todesfälle aus den vergangenen 20 Jahren,
Menschen, die zu Opfern des europäischen Grenzregimes wurden. Die meisten
starben im Mittelmeer und immer wieder gibt es den Vorwurf unterlassener
Hilfeleistung.
„Es macht
fassungslos, dass Flüchtlinge sterben müssen, weil die zur Rettung
verpflichteten Einsatzkräfte zweier EU-Staaten über Zuständigkeiten
streiten“, kommentiert Karl Kopp, Europareferent von PRO ASYL, die
Geschehnisse. Die Beweiskette im vorliegenden Fall erscheint so dicht, dass die
Verantwortlichen auch juristisch zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Dazu
rät auch Stefan Schmidt, früherer Kapitän der Cap Anamur und Mitglied der
Menschenrechtsorganisation borderline-europe: „Das Verhalten der
italienischen und maltesischen Behörden widerspricht allen Regeln des
Seerechts, das sollte unbedingt zur Anzeige gebracht werden.“
Diese Pressemitteilung
wurde gemeinsam von folgenden Menschenrechtsorganisationen und Netzwerken
verfasst, die auf verschiedenen Ebenen auch das oben erwähnte Monitoringprojekt
WatchTheMed unterstützen:
PRO ASYL,
Forschungsgesellschaft Flucht und Migration, borderline-europe, medico
international, Afrique-Europe-Interact, Welcome to Europe
Contact
info@watchthemed.net
Helmut Dietrich
(Forschungsgesellschaft Flucht & Migration): 0049 – (0)176 358 77 605
Anhang
Detaillierter Ablauf der
Ereignisse am 11.10. 2013 (in Englisch von WatchTheMed)
http://www.watchthemed.net/reports/view/32
Interview und Artikel
von Fabrizio Gatti im Nachrichtenmagazin Espresso