Turn-und Sporthallen für Migranten
Wir befinden uns in einer Zeit, in der es keinerlei Vorstellung davon gibt, wie es mit der Aufnahme von
Migranten weitergehen soll, die von der afrikanischen Küste und wo anders her zu uns kommen, und so geht es einfach mit Zelten weiter! Die Situation an den sizilianischen Küsten wird aufgrund der Unfähigkeit der italienischen Regierung, weise Entscheidungen zu treffen und endlich einen Interventionsplan auszustellen, immer chaotischer, denn bisher regiert nur der Notstand. Gerade in diesen Notstandszeiten können Turnhallen zu Schlafsälen auf Ewigkeit werden. Oder aber der Zivilschutz stellt nach Auftrag der Präfekten Zelte auf, um die Migranten zu beherbergen (auch dies auf unbestimmte Zeit), und Sportpaläste werden ebenfalls immer wieder zur Unterbringung genutzt.
In einer Schulturnhalle in Trapani (die Buscaino Campo, ca. 30-50 Meter vom Hafen entfernt) sind vor ca. 10 Tagen 100 Migranten „hineingestopft“ worden, ohne dass die Behörden nach einer passenderen Lösung in einem zivilisierten Land suchen, um Männer und Frauen, die Schutz suchen, aufzunehmen. Die Neuigkeit ist, dass eine Gruppe von 22 Migranten im Laufe des Tages verlegt werden soll, ohne dass es dazu klarere Angaben gibt. Es handelt sich also erneut um eine Lotterie, wer wird verlegt und wer bleibt(die Freiwilligen und die Ordnungskräfte sagen uns, man wisse noch nicht, wie lange sie bleiben werden).Wir möchten unterstreichen, dass sich, wie wir auch schon letzte Woche angezeigt haben, unbegleitete Minderjährige in der Halle befinden.
Wir bleiben in der Provinz Trapani: Gestern sank ein Boot mit ca. 40 Tunesiern in der Nähe von Mazara del Vallo. Sie wurden von der Küstenwache gerettet und in ein improvisiertes Unterbringungszentrum in einem Sportpalast gebracht. Die Tunesier versuchten zu fliehen, was ihnen im ersten Moment auch gelang, doch dann wurden die meisten von ihnen wieder eingefangen und in dem Sportpalast eingesperrt. Ca. 10 von ihnen gelang die Flucht. Diese Tatsachen zeigen uns, dass die ganze sizilianische Südküste einen Anlandungspunkt darstellt, und gerade die nicht so überwachten Gegenden sind das Ziel der Migranten auf der Flucht vor Krieg und Armut.
Das wurde uns auch bei unserem Besuch in Agrigento bestätigt: die Mitarbeiter und die Freiwilligen erzählten uns, dass es auch Ankünfte an der agrigentinischen Küste zwischen Realmonte und Montallegro gegeben habe, aber ebenso auch zwischen Licata und Sciacca (wenn auch in kleiner Zahl). Sie berichteten uns, dass sowohl Subsaharianer wie auch Maghrebiner anlandeten, die Fluchtgründe seien sowohl politischer als auch wirtschaftlicher Natur. Männer und Frauen versuchen, kaum angekommen, sofort die Stadt der Tempel (Agrigento) zu erreichen. Einige haben Glück und ihnen wird auch von Anwohnern oder Touristen geholfen, die ihnen trockene Kleidung oder ein paar Schuhe geben, die weniger Glücklichen werden von den Ordnungskräften (die von anderen Bewohnern informiert werden) wieder eingefangen. Für viele ist Italien nicht das Ziel, so arrangieren sich viele, indem sie in verlassenen Häusern schlafen und verzweifelt kleine Arbeiten suchen (meist in der Landwirtschaft), um Geld zu sparen, damit sie dann das Ticket für das Festland kaufen können. Das ist auch ein Grund dafür, das Agrigento immer mehr zum Ziel auch von Migranten mit Aufenthaltspapieren und Ersparnissen wird: sie werden dann zu Mittelsleuten, um die Migranten zu andern Orten zu bringen (nach Rom kostet es z.B. ca. 150 €).
Wer „in Freiheit“ bleibt und Agrigento erreicht, der hat neben dem Problem eines Schlafplatzes auch das des sich Ernährens, der Kleidung etc. Zum Glück gibt es dafür die „Mensa der Solidarität“, die von Schwester Antonella (eine Schwester der Porta Aperta) geleitet wird. Seit 1998 gibt sie Migranten zu Essen. Schwester Antonella erzählt uns sehr bewegt, dass die Mensa eigentlich für Arme und Obdachlose der Stadt entstanden ist, heute jedoch sind ca. 70% der Nutzer Migranten aus dem Maghrebraum, aber auch aus dem sonstigen Afrika. Sie vermischen sich mit den alten und neuen Armen der Stadt Agrigento. Schwester Antonella erinnert sich an viele Namen und viele Gesichter, an viele schöne Geschichten, aber auch an die weniger schönen. Aber die Schönheit des Ortes zeichnet sich durch das Einbeziehen der Menschen aus (vor allem von armen Menschen), die ihre Wohnungen zeitweise zur Verfügung stellen und Migranten aufnehmen, die nur einige Tage in der Stadt bleiben, bevor sie ihren Weg wieder aufnehmen. Schwester Antonella erzählt uns von vielen „DUBLIN“ Fällen, die nach Agrigento zurückkehren, weil ihr Versuch, ihre Familienangehörigen in anderen Staaten zu erreichen, nicht geglückt ist. Wenn sie zurückgesandt werden kommen sie wieder „nach Hause“, also in die Mensa, dem einzigen Ort, an dem sie Hilfe erhalten, denn die italienischen Behörden sind nicht in der Lage, diese Migranten zu versorgen. (Schwester Antonella sagt uns, dass viele auf den Parkbänken der Stadt schlafen). Sie berichtet uns zudem von weiteren Problemen im Bereich der medizinischen Versorgung (viele haben keinen Zugang zu Behandlungen) und im Bericht der bürokratischen Angelegenheiten.
Unser Besuch in Agrigento endet mit einem Treffen mit dem Leiter des „ufficio immigrazione“, der Ausländerbehörde, Herrn Doktor Lupo. Dieser hat uns die momentane Schließung des großen Zeltes in Porto Empedocle bestätigt, allerdings nicht auf Dauer (wir haben selber gesehen, dass es leer war). Nach der großen Flucht wird es nun wiedereröffnet, wenn der Präfekt die Notwendigkeit dazu sieht (auch wenn diese Einrichtung in Porto Empedocle keinerlei legalen Status hat). In der Ausländerbehörde haben wir die Zahlen der Anlandungen von Januar bis August 2013 an der agrigentinischen Küste einsehen können (dazu gehört auch Lampedusa): 9.699 Ankünfte, davon 7.836 Männer, 1.218 Frauen und 1.095 Kinder. Eine Neuigkeit, die wir hier erfahren haben ist die Anordnung, dass seit August alle ankommenden Migranten direkt in die SPRAR-Zentren verlegt werden (von Lampedusa aus werden Flüge gechartert, die die Migranten zu allen SPRARs in ganz Italien, nicht nur nach Sizilien, bringen, somit ist das SPRAR-System also erweitert worden). Zudem werden Migranten, die auf See abgefangen werden, auf die Einheiten der Küstenwache etc. umgeladen und direkt nach Sizilien gebracht, damit wird die Unterbringung auf Lampedusa umgangen (das jedoch wird von Mal zu Mal, je nach Gesundheitszustand der Migranten, neu entschieden).
Die Zahl der Verlängerungen von Aufenthaltserlaubnissen seit Anfang 2013 beträgt ca. 1.425, während 520 neue Aufenthaltserlaubnisse erteilt wurden. Doktor Lupo hat uns schließlich noch bestätigt, dass die Rückführungen nach Tunesien weiter gehen (natürlich sind es weniger als in vorher, aber sie laufen nach demselben Muster ab: von Agrigento werden sie an den Flughafen Falcone e Borsellino nach Palermo gebracht, wo sie auf einen Charterflug ungewissen Zieles warten).
Alberto Biondo per Borderline Sicilia
Aus dem Italienischen von Judith Gleitze