Tödlicher Empfang
Corriere delle migrazioni – Im CARA (Erstaufnahme-Zentrum für Asylsuchende) von Mineo, nahe der sizilianischen Hauptstadt Catania, hat sich ein 21 jähriger Eritreer das Leben genommen. Der junge Mann wurde in einem Mehrfamilienhaus im Ortszentrum, wo Proteste und Aufstände häufig vorkommen, mit einem Strick um den Hals aufgefunden. Er kam am 5. Mai diesen Jahres mit dem Boot nach Sizilien. In Mineo versuchten bisher sechs Asylsuchende sich umzubringen. Die ersten Ermittlungen der juristischen Behörden sind noch nicht abgeschlossen, aber dennoch liegt die Verantwortlichkeit die zu diesen Umständen der Ausgrenzung und Verzweiflung geführt hat auf der Hand.
Der von der Regierung Berlusconi im Februar 2011 ausgerufene humanitäre Notstand für Nordafrika (Emergenza Nordafrica) endete am 28. Februar 2013. Seitdem liegt alles Nötige im Bereich der Erstaufnahmen in der Entscheidungsgewalt von einzelnen Präfekten und Polizeipräsidenten. Die Ressourcen wurden drastisch gekürzt und Verspätungen der Auszahlung der vorgeschriebenen Gelder, die im Abkommen mit den Einrichtungsleitern vereinbart wurden, häufen sich. Trotz dem Übergang von der „Notstands-Phase“ zu einer Phase der regulären Verwaltung, hat das Erstaufnahme-Zentrum für Asylsuchende von Mineo alle seine Eigenschaften beibehalten. Diese Umstände in Mineo wurden 2011 im Bericht von Ärzte ohne Grenzen als „Vorhölle“ definiert.
Das Erstaufnahme-Zentrum in Mineo bleibt somit in Betrieb, obwohl es bereits nach dessen Öffnung, 2011, kritische Erhebungen gab. Der damalige Innenminister Maroni wollte alle Asylsuchenden die sich zu jener Zeit in Italien befanden, auch jene die ihr Asylverfahren bereits begonnen hatten, in diesen Zentren „versammeln“. Für viele Migranten die bereits um internationalen oder humanitären Schutz angefragt hatten bedeutete dies, das Verfahren von Neuem zu beginnen, da ihre Umsiedlung schneller durchgeführt wurden als die Übergabe ihrer Dokumente. Das zuvor von den lokalen Behörden schlecht angesehene Zentrum von Mineo entwickelte sich ab 2011 zu einem gigantisches Business der Aufnahme mit einem Tagesumsatz von 160.000 Euro und mehreren Millionen im Jahr, mit denen sich viele die Taschen füllten. Zahlreiche Berichte haben das überdimensionale Wachstum der Einrichtung angeprangert, darunter der Bericht der Vereinigung für juristische Studien über die Einwanderung (Associazione per gli Studi giuridici sull’Immigrazione) „Das Recht auf Schutz“ von 2011 und die ausführlichen online Anklagen aus www.terrelibere.org. Trotz dieser Berichte hat man bevorzugt das Zentrum, das zu einem enormen Fass voll mit hoffnungslose Fälle geworden ist, weiter zu führen. Die Wartezeit bis zur Anerkennung des Rechts auf Schutz wurden immer länger. Verantwortlich dafür war vor allem die Entscheidung der Regierung, die territoriale Kommission, die sich speziell um die Asylantragssteller vom Zentrum in Mineo hätte kümmern müssen, nicht zu verstärken. Und das obwohl im Mega-CARA doppelt so viele Asylsuchende untergebracht sind wie ursprünglich vorgesehen.
Das Problem der Flüchtlingsaufnahme ist zweifellos ein Problem von europäischem Ausmaß, aber die Aufnahme von Asylantragstellern ist eine rechtliche Pflicht der EU Mitgliedsstaaten, ihrer Regionen und lokalen Körperschaften. Sie alle haben wichtige Entscheidungsgewalt, die nicht auf das Problem der öffentlichen Sicherheit reduziert werden kann. Das Dekret Nr 2003/9/CE schreibt Mindeststandards für die Erstaufnahme von Asylsuchenden vor, um ihnen ein würdiges Lebensniveau und Lebensbedingungen zu garantieren, die in allen Mitgliedsstaaten identisch sind. (Paragraf 7, Einleitung, Verordnung Nr 2003/9/CE) Laut diesem Dekret hat ein Antragsteller für internationalen Schutz vom Moment der Antragstellung an das Recht auf Erstaufnahmemaßnahmen. (Art 5, Strich SD. Lgs 140/05) Unterstützung und Hilfsinterventionen müssen hingegen bereits vor der Antragstellung garantiert werden, gemäß dem „Puglia Gesetzt“ Nr 563. (Legge n. 29 dicembre 1995 n 563) Tatsächlich ist das Mega-CARA von Mineo ein Einzelfall geblieben, geführt von einer Genossenschaft zusammengesetzt aus lokalen Körperschaften, kontrolliert von der Polizeidirektion Catania mit der Aufgabe Lampedusa und andere Erstaufnahme-Zentren, wie das von Pozzallo „zu entlasten“.
Nun scheint es, als hätte die italienische Regierung mit dem letzten Stabilitätsgesetzt 210 Millionen Euro aufgetrieben, die sie für die Aufnahme von Migranten bestimmt hat. 30 Millionen Euro davon sind speziell für die Finanzierung von Zentren und lokalen Körperschaften in denen unbegleitete Minderjährige untergebracht sind. Abgesehen von der zu beanstandenden Entscheidung 50 Millionen Euro dieser Gelder für Mafia Opfer abzuziehen, riskiert man mit den neuen Geldern das Business der Flüchtlingsaufnahme noch mehr zu füttern, anstatt eine Verbesserung des Systems zu erreichen. Dies auch deshalb da die hohen Summen von Polizeipräsidien verwaltet werden, die sich bis jetzt unfähig zeigten, strukturelle Interventionen zu Planen und eine effektive Beobachtung der Verwaltung der Intervention von Seiten der Körperschaften durchzuführen.
Wir fordern auf das Dringlichste, dass die Region Sizilien die Existenz eines Problems anerkennt, und es nicht als hundertste „Notfallausschiffung“ klein zu reden versucht, während der wirkliche Notfall von den schlecht funktionierenden Einrichtungen, verursacht wird, die schlecht koordiniert oder gar nicht eingreifen. Die Koordinierung zwischen Region, Präfektur, Polizeipräsidium, dem regionalen Sitz des nationalen Bund der Italienischen Gemeinden (Associazione Nazionale Comuni Italiani)und den betroffenen Gemeinden muss aktiviert werden. Es ist notwendig die aktuelle Situation in den Zentren auf regionaler Ebene zu beobachten und die Arbeitsweisen zu individualisieren, um einen glaubhaften Verlauf der sozialen Eingliederung der Wartenden oder jener die als internationale oder humanitäre Flüchtlinge anerkannt wurden, zu garantieren.
Sizilien muss so schnell wie möglich ein Regionalgesetzt für Einwanderung und Asyl einführen, mit sicherer Vorausschau, regionaler Ausgeglichenheit und besonderer Aufmerksamkeit für die Nöte der Schwächsten, wie Minderjährige und Frauen, die immer häufiger Opfer von Gewalt, Ausbeutung und Folter werden. Auch Weiterbildungsmöglichkeiten und individuelle Qualifizierung des Personals, das für all diese Personen verantwortlich ist sollten in diesem Gesetzt verankert sein. Es muss noch einmal hervorgehoben werden, dass Einwanderer nicht nur eine aufzuteilende Gruppe sind, nach berechenbaren Kriterien wie Platzvorkommen, aber, dass sie Personen sind, welche die unvorstellbaren Konsequenzen von Missbrauch und Gewalt in sich tragen.
Das Mega-CARA von Mineo, das in der Zwischenzeit unverwaltbar geworden ist, muss so schnell wie möglich geschlossen werden. Seine Bewohner müssen in neuen Unterkünften übersiedelt, und auf alle Regionen Italiens aufgeteilt werden. Diese Einrichtungen und die benötigte regionale Verwaltung könnten von nationalen Geldern finanziert werden.
Alle inoffiziellen Erstaufnahme-Zentren müssen geschlossen werden, wie auch jene die durch das „Puglia Gesetzt“ eröffnet und von den Präfekturen verwaltet wurden. Geschlossen werden müssen auch die Zeltstädte in den Stadien. Offensichtlich ist der Fall der Zeltstadt in einem Stadium in Messina mit 120 Migranten, unter ihnen auch einige nicht begleitete Minderjährige. In Zentren, die in der Vergangenheit durch das „Puglia Gesetzt“ von 1995 geöffnete wurden, wurden Vergehen begangen, die für immer unentdeckt bleiben werden, da der Großteil der Migranten geflüchtet sind, sobald sie konnten anstatt dem Risiko einer Anzeige von Seiten der richterlichen Behörden ausgesetzt zu sein.
Die Zahl der territorialen Kommissionen, zuständig für Asylanträge, müssen unverzüglich verdoppelt werden. Nur so können die Spannungen gelockert werden, welche die Verzweiflung der Migranten, abgeschieden von Informationen über ihre Zukunft, verursacht haben und zu extremen Taten geführt haben, wie im CARA von Mineo, wo sich in Vergangenheit sieben Selbstmordversuche ereignet haben. Dieses Mal hat die Verzweiflung, verursacht vom Zustand der Verlassenheit, Auswanderung und rechtlicher Ungewissheit, gemordet.
Fulvio Vassallo, Paläologe, Universität Palermo
Die Redaktion von Borderline Sizilien
Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner