Todesfalle Mittelmeer: Eine Bilanz der letzten Tage
Malta, 16.10.12: Beerdigung (Q: reuters)
In den letzten Wochen häufen sich die Meldungen, über in Not geratene Flüchtlingsboote vor Süditalien. Allein von Oktober bis heute sind mindestens 1000 Menschen in Süditalien, vor allem auf Lampedusa, angekommen. Lange waren
nicht mehr so viele „Boatpeople“ aus Afrika nach Europa unterwegs. Die
Anrainer versuchen sich vor der Verantwortung drücken. Viele Menschen
ertrinken. Von Dominic Johnson (taz)
Fast
täglich werden diese Woche im Mittelmeer wieder Flüchtlingsboote mit
Hunderten Insassen gefunden, immer wieder auch Leichen. Das Drama der
afrikanischen „Boatpeople“, die auf dem unsicheren Seeweg nach Europa
ihr Leben lassen, erreicht wieder einmal einen traurigen Höhepunkt.
Jüngster Fall ist der eines aus Libyen
gestarteten Bootes mit 250 bis 300 Menschen aus Eritrea an Bord, das am
Donnerstag nach vier Tagen auf dem Wasser in Seenot geriet. Per
Satellitentelefon benachrichtigten die Eritreer Landsleute in Schweden
und Italien. Diese alarmierten die italienischen Behörden, welche die
Verantwortung an die Streitkräfte Maltas weiterreichten, die das Boot
lokalisierten. Nachdem am Freitag der Motor ausfiel, lud Maltas Marine
die Insassen auf ihre eigenen Patrouillenboote um. Sie waren am
Freitagnachmittag auf dem Weg nach Malta.
Nicht alle Flüchtlingsdramen enden so glücklich. Am 4. November hatte
die italienische Küstenwache zehn Leichen, davon sieben Frauen, auf
halbem Weg von Libyen auf die italienische Insel Lampedusa aus dem Meer
gefischt. Ihr Boot wurde mit 70 weiteren entkräfteten somalischen
Flüchtlingen aufgespürt und nach Lampedusa gebracht. Am 5. November
landeten 171 „Boatpeople“ auf einem griechischen Fischkutter in
Kalabrien, am 6. November landeten weitere 77 Flüchtlinge auf Malta und
107 auf Lampedusa.
Flüchtlinge ertrinken
Die
Gründe für diesen starken Zuwachs der Flüchtlingszahlen sind bisher nur
zum Teil bekannt. Er betrifft nicht nur die Route von Libyen nach
Italien, sondern auch die von Marokko nach Spanien. Eine am Dienstag in
Marokko vorgelegte Bilanz bezifferte die in den zwei Vorwochen auf dem
Weg nach Spanien ertrunkenen Flüchtlinge auf mindestens 90. Ein Boot
sank mit 54 Insassen, ein weiteres mit 19, zwei weitere Tragödien mit
jeweils 14 und 2 Toten wurden gemeldet. Und im Oktober gab es mehrfach
Versuche schwarzafrikanischer Migranten, illegal den Grenzzaun zwischen
Marokko und der spanischen Exklave Melilla zu überwinden.
Medienberichten führen die verstärkte
Ausreisewelle aus Marokko auf eine plötzlich hereingebrochene Kältewelle
sowie auf systematische Razzien der marokkanischen Armee und Polizei
zurück. Zwischen Ende Mai und Ende Oktober wurden nach amtlichen Angaben
10.000 afrikanische „Illegale“ aus Marokko ausgewiesen – in der Praxis
heißt das zumeist, dass sie an die algerische Grenze gefahren und auf
der anderen Seite sich selbst überlassen werden. 20.000 bis 25.000 seien
noch im Land.
Einer der
bekanntesten Flüchtlings- und Migrantenhelfer in Marokko, Camara Laye,
befindet sich seit der Nacht zum 21. Oktober unter dem Vorwurf des
„Alkohol- und Zigarettenschmuggels“ in Haft. Die Polizei sagt, sie habe
in seinem Haus drei Alkoholflaschen und 20 Zigarettenschachteln
gefunden. Der Guineer Camara Laye lebt legal im Land und führt den „Rat
der subsaharischen Migranten in Marokko“ (CMSM). Für Freitag war eine
Sitzblockade vor dem Gerichtsgebäude in der Hauptstadt Rabat vorgesehen,
wo er angehört werden sollte. Seine Unterstützer sagen, sein Anwalt
habe keinen Zugang zu ihn gehabt.