Tagebuch auf Lampedusa[InFestival]: Kreieren heißt Widerstand leisten


‚Porto M‘ auf Lampedusa

Eröffnung von
„LampedusaInFestival“ im Museum ‚Porto M’

“Il ‘Porto M’ é un simbolo
politico (‚Porto M’ ist ein politisches Symbol)”, betont der ASKAVUSA-Aktivist Giacomo Sferlazzo.

Seit Februar 2014 ist das Museum
geöffnet und gibt seitdem verschiedenen Gegenständen, die das Kollektiv über
drei Jahre aus Flüchtlingsbooten gesammelt und zusammengestellt hat, ein neues
zu Hause. Dieser Ort der Stille, dieser Ort des stillen Gedenkens und der
stillen Erinnerung ist zugleich der Startpunkt und der Beginn des Filmfestivals
„LampedusaInFestival“.


Giacomo Sferlazzo bei der Eröffnung von „LampedusaInFestival“

Das Museum ‚Porto M’ (dt.:
‚Hafen M’) hat seinen Namen aus zweierlei Gründen: Zum einen trägt das
Museum den Namen Porto/Hafen, weil der Hafen symbolisch für Ankunft,
Aufeinandertreffen, Einreisen, Ausreisen, Fremdes/Neues und Vertrautes/Altes, Handel,
Austausch und Reisen steht. In einen Hafen einlaufen verheißt die Erfüllung, oder
stellt zumindest die Hoffnung der Erfüllung unserer Träume, dar. Der Hafen ist
ein Symbol für das ‚Ankommen am Ziel’, dass sich in direkten Zusammenhang mit
dem Thema ‚Migration’ lesen lässt. ‚M’ steht dabei für Vieles: Mediterraneo
(Mittelmeer), Movimento (Bewegung), Migrazioni (Migration), Meraviglia
(Verwunderung/Bewunderung), Monete (Geld), Munnizza
(Verschmutzung/Müll), Merce (Handel), Miglia (See-)Meilen), Mare
(Meer), Militarizzazione (Militarisierung), Mobilitazione
(Mobilisierung), Mete (Ziele), Mondo (Welt), Mutamenti
(Verwandlungen), Missione (Aufgaben) und Memoria (Erinnerung).


Wenn Giacomo Sferlazzo von der
Ausstellung im Museum ‚Porto M’ spricht, betont er, dass dieses ein sehr
wichtiges und persönliches Projekt ist, auch ein sehr emotionales, denn
immerhin werde dort (nur exemplarisch) die private Habe der Migrant_innen
ausgestellt, von denen zehntausende auf ihrem Weg nach Europa sterben mussten. Man
habe sich ganz bewusst dagegen entschieden, den Gegenständen eine Beschreibung
hinzuzufügen. Die Gegenstände seien ohnehin mit einer ganz besonderen ‚Energie’
aufgeladen. Außerdem werden Gegenstände so oder so direkt vom Betrachter mit
einer Bedeutung bedacht. Gegenstände könnten niemals objektiv betrachtet werden,
sondern sind immer abhängig vom subjektiven Auge des Betrachters. So werde auch
den Besucher_innen des Museums ‚Porto M’ die Gelegenheit gegeben den
dort ausgestellten Stücken einen ganz persönlichen Inhalt, eine ganz
persönliche Geschichte zu geben.

Wichtig ist den Initiator_innen
des Festivals „LampedusaInFestival“, die zugleich die Kurator_innen der
Ausstellung im ‚Porto M’ sind, dass die Gegenstände im ‚Hafen M
durch die Ausstellung eine möglichst breite Öffentlichkeit erreichen. Die
Ausstellungsstücke des ‚Porto M’ erzählen viele Geschichten und eine
Geschichte ganz besonders: Sie erzählen von den persönlichen Hoffnungen und
Wünschen der Menschen, denen sie einmal gehört haben. Sie erzählen von Mut und
Angst. Träumen und Befürchtungen. Sie gehören zur persönlichen Lebensgeschichte
der ehemaligen Besitzer_innen einerseits und sind Teil der (großen)
Migrationsgeschichte der Menschheit andererseits. Sie erzählen von
Militarisierung, von Abschottung und Krieg. Sie erzählen von Kolonialisierung
und dem noch immer vorherrschenden weißen, westlichen Imperialismus.

‚Porto M’ als
bedeutungsvoller Raum und politisches Symbol bietet den Besucher_innen des
Filmfestivals „LampedusaInFestival“ über sechs Tage die Gelegenheit, sich Zeit
zu nehmen und lädt dazu ein sich Zeit zu nehmen, sich Gedanken zu machen, den
Objekten genau zuzuhören und sich eine ihrer möglichen Geschichten vor Augen zu
führen. Darüber hinaus wird die Ausstellung im ‚Porto M’, auch nach dem
Festival, allen kommenden interessierten Besucher_innen der Insel Lampedusa
offen stehen.

Eröffnungsfeier an der Porta
d’Europa

„Io non ho paura“, singt der Künstler und ASKAVUSA-Aktivist Giacomo
Sferlazzo zum Auftakt von „LampedusaInFestival“. Ich habe keine Angst. Und weiter:

“Siamo la stessa polvere che vaga nell’universo in attesa d’amore.”

(Wir sind derselbe Staub im
Universum in der Erwartung der Liebe.)

“Respiriamo la stessa aria lo stesso gas lo stesso profumo.”

(Wir atmen die gleiche Luft, das
gleiche Gas, den gleichen Geruch.)

“Combattiamo lo stesso sistema che in nome dei soldi è pronto
a qualsiasi tortura.”

(Wir
bekämpfen das gleiche System, das im Namen des Geldes zu jeder Schandtat bereit
ist.)


Porta d’Europa 2014

Wie
letztes Jahr wird die sechste Edition von „LampedusaInFestival“ auch 2014
feierlich an der Porta d’Europa, dem Tor zu Europa, eröffnet. Veranstalter_innen
und Besucher_innen des Festes versammeln sich an diesem Ort, der ebenfalls
politisches Symbol für die Immigration nach Europa ist. Offiziell heißt es die Porta
di Lampedusa,
das Tor zu Lampedusa, aber da Lampedusa das Tor zu Europa
ist, ist auch die Porta, die Porta d’Europa.

Giacomo
Sferlazzo eröffnet die sechste Edition mit einem kurzen Konzert, gefolgt von
weiteren Musiker_innen, die eine Jamsession anschließen. Darauf folgt die
französische Theatergruppe „Senza“ aus Paris. Sie bringen mit ihrer Performance
nochmals auf den Punkt, warum Lampedusa, als Raum und als Symbol,
der Ort ist für ein Festival, wie dieses ist.

„Es kursiert der Mythos, das Lampedusa sich
einst vom afrikanischen Kontinent abspaltete“,

Theatergruppe „Senza“

beginnt der Erzähler des
Stückes. Gefolgt von einer Odyssey zwischen Flucht und Alltagsleben auf der
Insel, zwischen Alltagswahn um lampedusanische Feiertage, Tourismus und das
Leben im Flüchtlingslager auf Lampedusa, das seit dem 3. Oktober 2013
geschlossen ist. Hier betonen die Schaupieler_innen mithilfe ihres Stückes noch
mal das Paradoxe, nämlich, dass das Alltagsleben der Lampedusaner_innen so nah
und doch so fern von dem Alltagsleben der Geflüchteten stattfindet. Der ganz
„normale“ Alltagswahnsinn der Einen, fern ab vom dauerhaften Ausnahmezustand der
„Anderen“. Am Ende werden Namen und Todesdaten von Menschen vorgetragen, die
auf dem Weg nach Europa sterben mussten. Hervorgehoben wird weiter, dass das
Thema Migration kein Italienisches oder das eines Landes ist, sondern Thema
aller Menschen und in der Verantwortung aller Politiker_innen, in diesem Fall
in der Verantwortung aller Europäer_innen, vor allem der europäischen
Politiker_innen liegt. Wer wegsieht macht sich dem Tot von Tausenden mitverantwortlich.

Rückblick: Der 3. Oktober 2013
auf Lampedusa

Der erste Tag endet mit einer bedrückend
und beeindruckenden Dokumentation über den Tag des 3. Oktober 2013 auf der
Insel Lampedusa, von Antonino Maggiore. Er berichtet von den Retter_innen
dieses Unglückstages. Den wahren Held_innen, nämlich den Bewohner_innen und
Fischer_innen der Insel, welche an jenem Morgen des dritten Oktobers die
Unglücksstelle zuerst erreichten und damit über 150 Menschen das Leben retten
konnten, während die Küstenwache erst Stunden später den Ort der Tragödie
erreichte und damit auch Schuld am von mindestens 366 Menschen trägt. Die
Aktivist_innen und Helfer_innen, die in der Dokumentation zu Wort kommen klagen
die Europäische Union an, klagen die Politiker_innen an, die viel reden und
viel davon sprechen, dass sich etwas verändern muss, aber bis dato auf
europäischer Ebene immer noch kein Handeln erkennen lassen.

Etwa 300 Menschen waren heute
dabei und haben an „LampedusaInFestival“ partizipiert. Kreieren heißt
Widerstand leisten. Das hat ASKAVUSA mit dem Auftakt zu „LampedusaInFestival“
heute wieder einmal eindrucksvoll bewiesen.

Text und Fotos: Alexa Magsaam, borderline-europe