Neue Stippvisite in der CAS von Marsala: Dutzende von Jugendlichen sind seit Monaten in der Schwebe
Wir sind zum Hotel Acos in Marsala zurückgekehrt, um einige Aspekte zu vertiefen. Wir treffen auf ein Dutzend Migranten an einem Blumenbeet, das neben einer Tankstelle liegt. Das Hotel ist in eine Noteinrichtung CAS (Centro di accoglienza straordinaria-außerordentliches Übergangszentrum für Flüchtlinge) umgewandelt worden und wird von der Genossenschaft „Vivere con“ aus Mazara del Vallo verwaltet.
Die Bewohner des CAS, die ich anspreche, sind unzufrieden. Sie beschweren sich über die Nachlässigkeit und berichten über die Präsenz von 15 Minderjährigen in der Einrichtung. Ich treffe lediglich 8 an, die eindeutig alle sehr jung sind. Sie erzählen mir, dass sie ihr Alter bereits mehrfach sowohl der Polizei als auch den Mitarbeitern der Einrichtung mitgeteilt haben, ohne dass irgendwelche Maßnahmen ergriffen worden seien.
Nachdem ich mich nochmal allen vorgestellt haben, deren Neugier durch meine Anwesenheit geweckt worden ist und die sich annähern (ca. 30 Personen) frage ich nach Informationen über die Formalisierung eines eventuellen Asylantrags. Ich stelle fest, dass keiner der Anwesenden weiß, worüber ich spreche, als ich das Modell C 3 (notwendig zur Asylantragstellung Anm. der Redaktion) erwähne. Hinsichtlich der Erlangung der Dokumente beschweren sie sich nur über den Umstand, dass sie 5 Euro aus eigener Tasche für Passfotos zur Anfertigung des Reisepasses zahlen müssen.
Ich bin überrascht, als ich sie über Reisepässe sprechen höre. Sie erklären mir, dass ihnen dies die Mitarbeiter gesagt haben. Diese absolut irrige Annahme, über ein Dokument zur Ausübung des bürokratischen Verfahrens unabhängig von der Anerkennung einer internationalen Schutzform verfügen zu können, lässt auf das offensichtliche Fehlen eines Rechtsberatungsservices schließen.
Da keiner der Gäste, mit denen ich spreche, auch nur bruchteilhaft Italienisch sprechen kann, frage ich sie, ob sie einen Sprachkurs besuchen. Sie geben mir zu verstehen, dass dies nicht wichtig sei. Insbesondere einer sagt mir: „Es gibt einen Kurs, aber wenn Dein Kopf voller Probleme ist und Du an einem Ort lebst, von dem aus Du nur flüchten möchtest, kannst Du dich auf nichts konzentrieren”. Sie berichten, dass es auch eine Sozialarbeiterin gebe, mit der sie sich nur einmal bei der Ankunft getroffen haben (was einige Monate her sei). Es sei schwierig, mit ihr ein Gespräch führen zu können, auch wenn sie im Büro sei.
Was das Verhältnis zu den Mitarbeitern der Einrichtung anbelangt, berichten alle, dass man ihnen mit der “Abschiebung” drohe, jedes Mal, wenn man sich an das Personal mit Problemen oder mit der Geltendmachung von Rechten wende.
Die Frage des Taschengeldes ist unklar. Wir hatten über die diesbezüglichen Verspätungen bei der Auszahlung bereits vorher berichtet. Darüber hinaus sind wir nicht in der Lage, die Höhe des geschuldeten Betrags oder gar die Modalitäten des Anspruchs nachzuvollziehen.
Obwohl die Vereinbarung mit der Präfektur von Trapani wohl ein Taschengeld von Euro 5 Euro vorsehen soll, sollen die Gäste tatsächlich 2,50 Euro täglich erhalten. Aber immer noch wird auf der Webseite unter der Sparte der Genossenschaft/Betreiberin, die deren Dienste beschreibt, lediglich eine Telefonkarte alle 10 Tage und eine Packung von 10 Zigaretten alle 2 Tage erwähnt. Nach einer Unterhaltung mit den Gästen versuche ich, die Einrichtung zu betreten. Der Eingang ist angemessen und sauber. Der Empfang wird wahrscheinlich als Standort für die Mitarbeiter genutzt, während sich ein Sofa und ein Fernseher im Eingangsbereich befinden. Dort schauen einige Jugendliche Fernsehen. Nach einigen Minuten erscheint ein Mitarbeiter, der mich sofort auf das Verbot, mir die Einrichtung ohne Genehmigung zu zeigen, aufmerksam macht. Als ich daher versuche, ihm sehr freundlich einige Fragen zu stellen, ruft er den Vorsitzenden der Genossenschaft an, damit ich direkt mit ihm sprechen kann.
Der gesetzliche Vertreter von “Vivere con” macht mich ebenfalls darauf aufmerksam, dass eine Genehmigung seitens des Ministeriums für den Besuch der Einrichtung und für ein Treffen notwendig sei. Er steht dennoch für ein Gespräch zur Verfügung und geht auf alle Fragen über Themen, die ich ihm stelle, ein. Was die Frage der Anwesenheit von Minderjährigen anbelangt, versichert er, dass alle angeblich Minderjährigen Röntgenaufnahmen unterzogen worden seien, aus denen hervorgehe, dass sie volljährig seien; er geht aber nicht auf die Einzelheiten in Bezug auf den zeitlichen Rahmen, Modalitäten und die zuständigen Personen (für die Minderjährigen, Anm. der Redaktion) für die Zustellung ein. Er stellt klar, dass die angeblichen Minderjährigen während des Verfahrens zur Altersfeststellung innerhalb der Einrichtung verblieben seien.
In Bezug auf das Asylantragsverfahren gesteht auch er die lange Verzögerung ein. Er bittet uns, ihn dabei zu unterstützen, Druck auf das Polizeikommissariat auszuüben, das er persönlich fortwährend anmahne, ohne eine Rückmeldung zu erhalten.
Bevor ich die Einrichtung verlasse, spreche ich mit dem anwesenden Mitarbeiter. Dieser berichtet mir, dass die Gäste nur deswegen darauf beharren, verlegt zu werden, weil sie von Landsleuten gehört haben, dass in anderen Einrichtungen die Möglichkeit bestehe, die Dokumente in einem kürzeren Zeitraum zu erhalten. Grund hierfür sei hingegen nicht, dass es ihnen in der Einrichtung schlecht gehe. Ich frage ihn daher, warum die Jugendlichen mir berichtet haben, dass ihnen Mitarbeiter mit der “Abschiebung” gedroht haben. Er antwortet mir nicht und schaut mich nur an. Ich fordere ihn daher auf, die betreffenden Mitarbeiter über die schwerwiegende Tragweite der Drohung aufzuklären, während ich die Gäste bereits darüber informiert habe, dass die Drohungen haltlos sind. Er schaut mich weiterhin an und hat wohl immer noch nichts dazu zu sagen. Ich bedanke mich für seine Verfügbarkeit und verlasse die Einrichtung. Auch dieses Mal gehen die Meinungen derjenigen, die die Einrichtung verwalten und derjenigen, die dort untergebracht werden, in vielen Bereichen absolut auseinander.
In der Zwischenzeit befinden sich die jungen Männer, mit denen ich gesprochen habe, immer noch auf dem Asphalt neben dem Blumenbeet der Tankstelle, wo sie den größten Teil ihres Tages verbringen.
Giovanna Vaccaro
Borderline Sicilia Onlus
Aus dem Italienischen von Than Lan Nguyen-Gatti