Lampedusa, die Kehrseite der Gedenkfeier zum 3. Oktober: Strafanzeigen gegen die Retter des Bootsunglücks
Wir veröffentlichen den Aufruf des Vereins Askavusa in Solidarität mit Alessandro Marino und Grazia Migliosini. Beide, die beim Bootsunglück vom 3. Oktober 2013 retteten, wurden vom Journalisten Valerio Cataldi wegen verbaler Aggression angezeigt.
Lesen Sie unten die Stellungnahme von Alessandro Marino.
In diesen Tagen hörte man vieles über Lampedusa und den 3. Oktober. In Bezug auf unseren Protest gegen Tg2 [Nachrichten des 2. Staatlichen Fernsehsenders] und die Polemik, welche in Strafanzeigen von Seiten des Journalisten Valerio Cataldi gegen zwei Retter_innen des Schiffbruchs vom 3. Oktober 2013 vor der Küste Lampedusas, gemündet ist, möchten wir hier einiges klarstellen.
Wir rufen alle auf sich uns anzuschließen, um Alessandro, Grazia und all jene zu unterstützen, welche am 3. Oktober 2013 tatsächlich Leben gerettet haben und welche es mit großem Mut abgelehnt haben sich auf der Bühne des 3. Oktober 2014 instrumentalisieren zu lassen.
Schickt uns eure Unterstützung an askavusa@gmail.com
– Valerio Cataldi, einer der Gründer des Komitees ‚3. Oktober‘, befand sich in doppelter Funktion auf Lampedusa. Als Journalist und als Organisator des Events Sabir. Wir sind der Meinung, dass auf diese Art und Weise der berufliche Kodex verletzt und ein regelrechter Interessenkonflikt verursacht wird. Von einer so privilegierten Position aus, wie der des öffentlichen Dienstes, kann man keine verzerrte Version der Fakten erzählen.
– Wieso musste der öffentliche Dienst drei Tage warten, bevor er veröffentlichen konnte, dass der Direktor des „Aufnahme“ Zentrums von Lampedusa ein Verwandter von Innenminister Alfano sei; und das auch nur, nachdem Il Fatto Quotidiano die Geschichte bekannt gemacht hatte. Erinnern wir uns, Alfano war einer jener Minister, die vom Komitee ‚3. Oktober‘, von ARCI (Italienische Gesellschaft für Freizeit und Kultur) und von den Gemeinden Lampedusa und Linosa für den 3. Oktober nach Lampedusa eingeladen wurden. Der Direktor des Aufnahme-Zentrums in Lampedusa ist nach der Schlagzeile im Fatto Quotidiano zurückgetreten. Wäre es nach Rai [staatliches ital. Fernsehen] gegangen, keine Ahnung wann wir die Nachricht erhalten hätten.
– Valerio Cataldi schreibt in einem seiner posts:
Mit Plakaten mit der Aufschrift „Nein zum Imperialismus“ (?!?!) wollten sie die Tg2 Direktübertragung aus Lampedusa verhindern. Aber das einzige, dass sie dadurch erreicht haben war es, Adal, der beim Schiffbruch seinen Bruder verloren hat, davon abzuhalten vor der Kamera seine Version des 3. Oktober wiederzugeben.
Tg2 übertrug die „gefühlsmäßig wichtige“ Szene nicht und erzielte somit, dass sich der Ort nicht instrumentalisieren konnte. Der Sender traf die Öffentlichkeit, ohne auch nur eine Information zu geben, abgesehen von Gejammer. Offensichtlich versteht Cataldi den Zusammenhang zwischen dem amerikanisch- europäischen Imperialismus und dem Bewirken der Migration nicht. Auch wenn wir nicht wissen was wir mit diesem Protest erzielt haben, so war er laut den Textnachrichten, welche wir erhalten haben, doch nützlich, um einen Riss in den Schleier der Heuchelei, der Lampedusa an diesem Tag bedeckte, zu machen.
Wir wussten nicht, dass Adal ein Interview geben sollte. Aber wenn ihr Aussagen direkt von den Überlebenden hören wollt, welchen nur wenige Tage nach dem Unglück aufgezeichnet wurden, könnt ihr euch dieses Video ansehen: https://www.youtube.com/watch?v=_iSRHDtFy9Q
– Wir danken allen Journalisten die sich täglich für eine korrekte Berichterstattung einsetzten.
– Sie haben unser Kollektiv als auch den Raum Porto M auf verschiedene Weise definiert. Obwohl wir immer erläutern, dass letzterer kein Museum sei, wird er immer wieder als solches beschrieben, um nur der ‚emotionalen‘ Seite dieses Ortes Raum zu lassen, ohne ihn mit den politischen Bedeutungen zu beladen, welche wir ihm gegeben haben.
Detaillierte Informationen zu PortoM findet ihr unter folgendem Link: http://askavusa.wordpress.com/con-gli-oggetti/
Obwohl wir Soziale Zentren unterstützen, sind wir keines.
Zeugenaussage von Alessandro Marino, einer der ersten Rettungskräfte des Schiffsunglücks vom 3. Oktober. Er wurde vom Journalisten Valerio Cataldi wegen verbaler Aggression angezeigt.
Die Geschichte begann in der tragischen Nacht vom 3. Oktober 2013. Wir befanden uns mit unserem Schiff im größten Schiffsunglück des Mittelmeers. Ich, Alessandro Marino war am Steuer unseres Schiffs Gamar und ich war der erste der mit VHF [Funk] Hilfe bei der Hafenbehörde von Lampedusa angefordert hatte. Dieses Gespräch wurde, wie vom Gesetz bei Notfällen vorgeschrieben, von der Hafenbehörde aufgezeichnet. Die Details dieser Anrufe wurden der Justizbehörde zur Ermittlung übergeben, es sind somit wichtige Beweise. Auf irgendeine Weise kam der Journalist Valerio Cataldi zu den Aufnahmen dieses Tages, von der Hafenbehörde von Lampedusa und schickt sie in verschiedenen Rai-Übertragungen auf Sendung. Mit meiner Stimme wurde die wahre Geschichte nur zum Teil rekonstruiert und manipuliert. Nie und bei keiner Gelegenheit hat Cataldi nach Bestätigungen der Augenzeugen gefragt. Bei solch einer ernsten Angelegenheit. Und nie waren wir mit Cataldi, welcher in der Zwischenzeit das Komitee ‚3.Oktober‘ gegründet hat, in Kontakt. Das Komitee hat ebenfalls nie mit uns über die Chronik gesprochen, um die Wahrheit über diesen traurigen Tag zu erfahren. Ich persönlich kann seit dem Tag, an dem ich meine Stimme wieder gehört habe, nicht mehr schlafen und leide unter Depressionen. Ich kann es nicht mehr ertragen, meine Stimme, die Cataldi in verschiedenen Rai-Übertragungen benutzt, wieder zu hören. Speziell die Tg2 Übertragung punto di vista vom 29. November 2013 und zum Schluss eine Dokumentation (Der Schnee zum ersten Mal) in dem ständig meine Stimme zu hören ist. Ich habe nie und niemandem, weder Cataldi noch der Rai, meine Zustimmung gegeben meine Stimme zu benutzen. Außerdem sollte die Aufnahme ein Beweismittel der Justizbehörde sein, aber Cataldi benutzt sie zu seinem Vorteil. Am 3. Oktober 2014, während einer öffentlichen Veranstaltung, habe ich mit Cataldi gesprochen und ihn gebeten meine Stimme nicht mehr zu benutzen und ihm auch gesagt, dass ich ihn ansonsten anzeigen würde. Die Diskussion war angeregt und wir haben alle um unsere verneinten Rechte geschrien und gegen die journalistischen Manipulationen der Rai, die es als Kino Set benutzen wollte: der Bootsfriedhof, heiliger Ort für alle, der sich Respekt verdient. Auch von Cataldi flogen Beleidigungen, er sagte mir, dass ihn unsere Zeugenaussagen nicht interessieren würden, und dass er laut Nachrichtenrecht alles veröffentlichen könne was er wolle. Auch am 3. Oktober 2014 hörte ich wieder meine Stimme im Tg2. Meine Privacy wurde erneut verletzt … wer müsste uns schützen?… Im Tg2 bezeichneten sie uns als Verbrecher und Lehrjungen der Sozialen Zentren. Am nächsten Tag, den 4. Oktober 2014 befand ich mich mit Freunden auf einer anderen Veranstaltung. Unter uns Freunden sprachen wir über einige Journalisten, die ich als Stück Scheiße bezeichnete. Cataldi, der sich zusammen mit einem Mitarbeiter in der Nähe aufhielt, drehte sich um und zeigte uns den Mittelfinger. Darauf zeigte er uns bei den Carabinieri wegen verbaler Aggression an, am nächsten Tag lesen wir in verschiedenen online Tageszeitungen darüber. Natürlich, Cataldi nutzte seine journalistische Macht und bezeichnete uns als Aggressoren. Uns Pazifisten, die wir nationale und internationale Friedensauszeichnungen erhalten haben. In keiner Weise wollten wir Cataldi angreifen. Wir fühlen uns von seinen Worten und seiner Strafanzeige, die noch zu Beweisen ist, angegriffen und entsetzt. Im Gegensatz, es gibt dutzende Aussagen, die die Tatsachen bestätigen. Oder hat er uns angezeigt, weil er sich vor meiner Klarstellung fürchtet?
Alessandro Marino
Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner