Erneut Anlandungen auf Lampedusa während Europa über die Ausweitung von Frontex diskutiert
In den vergangenen 24 Stunden gab es zwei Anlandungen auf der Insel mit knapp 330 Personen. Gestern, am 24. Oktober, erreichten gegen 9 Uhr morgens knapp 130 Flüchtlinge die Favaloro-Mole auf zwei Seenotrettungsschiffen der Küstenwache. Das Boot wurde sieben Meilen vor Lampedusa von einem Schiff der Zollfahndung gestoppt, das dort auf Patrouillenfahrt war. Die Migranten kommen aus Eritrea, nur zwei Familien sind syrischer Herkunft. Mehr als 60 Frauen waren an Bord, viele von ihnen schwanger. Eine von ihnen, die sich schon im 9. Monat befindet, wurde noch am selben Tag mit dem Hubschrauber ausgeflogen. Unter ihnen auch ca. 20 Kinder.
Zwei junge Migranten berichten, dass die Schlepper vor ungefähr zwei Tagen auch im Begriff waren, sehr viele erwachsene Männer einzuschiffen, nachdem erst Frauen und Kinder an Bord gebracht worden waren. Das Boot sollte an die 270 Menschen transportieren, viele von ihnen warteten seit circa einem Monat in Libyen auf die Abfahrt nach Italien. Doch plötzlich seien libysche Polizisten während des Einschiffens aufgetaucht, die den Kapitän eingeschüchtert hätten, ja nicht den Hafen zu verlassen. Doch dieser ist stattdessen sofort losgefahren und versuchte zu flüchtten, dabei wurden die restlichen Migranten, die meisten von ihnen Männer, auf der Mole zurückgelassen.
In den ersten Morgenstunden des 25. Oktober, gegen 2:30 Uhr circa, haben zwei weitere Einheiten der Küstenwache die Favaloro-Mole der Insel mit 200 Migranten erreicht, die sie ca. 30 Meilen entfernt auf einem Boot gefunden hatten, das am Abend zuvor aus dem libyschen Zuwara losgefahren war. Die meisten der Flüchtlinge sind Syrer, unter ihnen viele Kurden, einige kommen aus subsaharianischen Ländern, die meisten aus Nigeria. Auch hier waren viele Frauen (ca. 50) und Kinder an Bord. Es gab keine besonderen Schwierigkeiten bei der Übefahrt, es wurde auch kein schwerer Krankheitsfall gemeldet.
So übersteigt die Anzahl der Flüchtlinge erneut die der vorhandenen Betten im Aufnahmezentrum, in dem sich derzeit mehr als 600 Personen befinden müssten, auch wenn die Transfers zeitgleich weitergehen. Gestern wurden ca. 80 Migranten verlegt. Die Anlandungen hatten nach einem „Waffenstillstand“ von 10 Tagen wieder begonnen, die aufgehaltenen Boote waren wenn möglich direkt nach Sizilien weitergeleitet worden.
Dennoch haben weder das Medieninteresse noch die politische Diskussion um die vorangegangenen Tragödien von Lampedusa nachgelassen. In diesen Stunden findet das Gipfeltreffen der europäischen Staaten statt und man diskutiert über eine bessere Koordinierung der Migrationsflüsse auf EU-Ebene. Im Hinblick auf das EU-Ratstreffen hat das europäische Parlament vorgestern mit großer Mehrheit einem Dokument, dass sich explizit gegen das Bossi-Fini (Migrations-) Gesetz ausspricht und vorschlägt, die Saktionen gegen die Retter auf See zu streichen, zugestimmt. Diesem Vorschlag folgte ein weiteres Dokument am Ende des Treffens von gestern, in dem ein gemeinsames Herangehen, das auf Solidarität und gleicher Verantwortungsverteilung basiert sowie ein Ausbau der europäischen Grenzschutzagentur „Frontex“ gefordert wird.
Doch genau gegen die Nützlichkeit Letzterer gehen der sizilianische Regionspräsident Rosario Crocetta und die lampedusanische Bürgermeisterin Giusi Nicolini an, die die Arbeit von Frontex als „Scheitern auf Grundlage der Zurückweisungspolitik“ statt Ermöglichung des Visabezugs in den Heimatländern, was sehr viel sinnvoler wäre, bezeichnen.
Indessen geht die Arbeit der gemeinnützigen Vereine und der Kirchgemeinde weiter, die die Verteilung von Kleidung und Spielzeug, die in den letzten Tagen auch von großen Marken (sie tragen noch die Etiketten) gespendet wurden, vornehmen.Es befinden sich auch einige Vertreter der Caritas Agrigento unter ihnen.
Inzwischen gehen an die Organisationen und Vereine, die auf der Insel arbeiten, unter ihnen auch Borderline Sicilia, weiterhin Hinweise von einigen Lampedusanern, die durch das Internet und soziale Netzwerke Anfragen von vielen Familienangehörigen der schiffbrüchigen Syrer vom 11. Oktober bekommen, ein.
Das Meer spült indessen weiterhin Körper an: eine weitere Leiche wurde gestern Nachmittag in der Nähe der Insel Linosa gefunden und nach Lampedusa gebracht, um dort von den Ärzten der Poliklinik untersucht zu werden.
Die Redaktion von Borderline Sicilia Onlus
Aus dem Italienischen von Judith Gleitze