Die Tür bleibt nur angelehnt
Das Ende der Operation Mare Nostrum hat zu Ergebnissen geführt, die von jedem von uns vorhergesehen werden konnten, nur nicht von unseren Politikern. Die Menschen, die von der libysche und tunesischen Küste aus aufbrechen nehmen meistens Kurs auf Lampedusa, besonders in dieser Zeit, in der die Bedingungen auf dem Meer eine Überfahrt eigentlich verbieten; auch die Schiffe der Küstenwache haben Probleme zu navigieren oder Migranten
zu retten, wie sie es am 5. Februar getan haben.
In Rom (beim Seenotrettungszentrum; Anm. der Redaktion) war ein SOS-Ruf von einem Boot eingegangen, dass sich mehr als 135 Seemeilen von Lampedusa entfernt befand, also in libyschen Gewässern, in denen Triton (die Grenzschutzmission der Grenzschutzagentur Frontex, Anm. der Redaktion) eigentlich keine Zuständigkeit hat. So sind die Schnellboote der Kütenwache von Lampedusa aus aufgebrochen und haben bei Seestärke 7 den „kleinen Kahn“ mit 179 Personen, die sich in großen Schwierigkeiten befanden, erreicht…
Die Männer des Schnellbootes haben festgestellt, dass sie mit den bis zu fünf Meter hohen Wellen auf dem Meer die 179 hilfesuchenden Personen noch mehr in Gefahr bringen würden. Das äußerst hohe Risiko der möglichen Rettung hat die Besatzung aufgeben lassen; sie ist in der Hoffnung auf ein „göttliches“ Eingreifen, das die Menschen rettet, nach Lampedusa zurückgekehrt. Das Schicksal hat es gewollt, dass das kleine Boot auf Kollisionskurs mit einem Schlepper einer libyschen Ölplattform gegangen ist, der die 179 Migranten gerettet hat; sie wären sonst gewiss gestorben. Nach einer nächtlichen Seefahrt auf einem Handelsschiff sind die 179 auf Lampedusa angekommen; dort gibt es ein zwar noch in Sanierungsarbeiten begriffenes Zentrum, welches aber im Notfall bereit steht (geleitet von der Misericordia). So sind die 179 in dem berühmten Zentrum der Contrada Imbriacola untergebracht worden; dort herrscht eine immer größere Fluktuation; am Tag zuvor waren weitere 180 Migranten aus der Einrichtung nach Porto Empedocle verlegt worden – nach 10 Tagen erzwungenem Aufenthalt, da die Fähre die Insel (aufgrund schwerer See, Anm. der Redaktion) nicht erreichen konnte. Diese Dynamiken gehen weiter in der Notstandssituation und in dieser wird weiter gestorben; wir haben Gewissheit, dass, wie uns die glücklichen Überlebenden gesagt haben, es vielen nicht gelingt anzukommen; in unser aller Schweigen verschluckt unser Meer weiterhin die Migranten, die auf der Suche nach einem wahren Leben sind, das wir oft verweigern.
Leider haben wir tatsächlich Nachricht über ein Schiff erhalten, das von dem berühmten Zarzis aufgebrochen ist, von dem es jedoch keine Nachricht mehr gibt. Die tunesischen Behörden suchen nach etwa 20 Personen, aber bis heute wächst die Verzweiflung der Familien jeden Augenblick mehr, denn es gibt keine Spur von ihren Lieben. Das Ergebnis des Wandels von Mare Nostrum zu Triton und Frontex ist, dass die Tür unseres Italiens weiterhin nur angelehnt bleibt.
Alberto Biondo
Borderline Sicilia
Aus dem Italienischen von Rainer Grüber