Die Proteste der eritreischen Flüchtlinge auf Lampedusa
Presseerklärung des Vereins ASKAVUSA, Lampedusa, 21. Juli 2013
Hunderte von Migranten protestierten für einige Tage auf den Straßen Lampedusas. Die friedlichen Proteste hatten die Verweigerung eines Asylantrags in Italien zum Thema, einem Land, in dem sie nicht bleiben möchten. Ihr Slogan „No fingerprints“ bezieht sich auf die Identifizierung der Personen, die in den Schengenraum einreisen und ihre Fingerabdrücke abgeben müssen. Aufgrund des DUBLIN (1) Abkommens sind die Flüchtlinge, die einen Asylantrag stellen wollen, dazu gezwungen, dies in dem Land ihrer ersten Ankunft in Europa zu tun. Doch von ihren Freunden und Familienangehörigen wissen sie über die schwierige Aufnahme- und wirtschaftliche Situation in Italien bescheid. So bitten sie darum, den Asylantrag in einem anderen Land stellen zu können, speziell in Norwegen, Schweden oder Großbritannien.
Den Migranten sind die beklagendswerte Aufnahmesituation, die Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche, die Probleme beim Zugang zum Bildungssystem, sprich, die unwürdigen Lebensbedingungen Italien bekannt. Die aus dem Subsahararaum, größtenteils aus Eritrea, stammenden Flüchtlinge haben den Sudan durchquert und die Tragödien der Wüste durchlebt, bevor sie in Libyen angekommen sind, wo der Rassismus gegen Migranten an der Tagesordnung ist und es keinerlei Garantie auf die Einhaltung der Menschenrechte gibt (wie auch im Bericht der FIDH, Migreurop und JSFM (2) dargestellt wird).
Sie hatten keine andere Wahl als sich auf das Meer zu begeben, um Europa zu erreichen, um den Status als politischer Flüchtling zu erhalten und Rechte, Sicherheit und Würde zu genießen. Derzeit sind die Kapazitäten in den italienischen Aufnahmezentren erschöpft. Am Samstag, den 20. Juli befanden sich im Erstaufnahmezentrum Lampedusa ungefähr 950 Personen bei einer Kapazität von nur 350 Plätzen. Aufgrund der mangelnden klaren Aussagen über die Aufenthaltszeiten in diesen Zentren werden diese willkürlich geführt und nicht selten verlängert sich der Aufenthalt auf unbestimmte Zeit.
Einige dieser Migranten waren schon seit circa drei Wochen auf der Insel und warteten auf einen Transfer in andere Einrichtungen auf dem Festland (und Sizilien). Die Demonstration am Samstag endete auf dem Kirchplatz des Ortes, wo die Migranten einen langen Gottesdienst im Freien zelebrierten. Die Organisatoren und Freiwilligen sowie einge Zuschauer von Lampedusa In Festival gesellten sich sofort zu ihnen, ebenso anwesend waren die Vertreter von bürgerlichen und religiösen Gruppen. Die Demonstranten sprachen lange mit dem Polizeivertreter, der sie mit dem Versprechen, dass am nächsten Tag die Transfers der Familien und Kinder beginnen würden, bat, ins Lager zurückzukehren. Die Migranten forderten jedoch eine gemeinsame Verlegung und verblieben auf dem Platz. Sie verzichteten auf Wasser und Nahrung, dass sie nur erhalten hätten, wenn sie ins Auffanglager zurückgekehrt wären. Die Mitarbeiter des Projektes PRAESIDIUM (UNCHR, IOM, Rotes Kreuz und Save the Children) (3) konnten keine andere Lösung herbeiführen, da die Präfektur, die über die Verteilung der Nahrung bestimmt, keine Autorisierung gegeben hatte, es nach draußen bringen zu lassen. Daraufhin haben Vertreter von den anwesenden Vereinen und einige Bürger den Migranten Wasser und Obst gebracht. Die Unterstützer und die Ordnungskräfte verblieben die ganze Nacht gemeinsam mit den Flüchtlingen auf dem Platz. Am folgenden Mittag nahmen die Migranten ihren Protest erneut unter der brennenden Sonne und hungersreikend mit einem Demonstrationszug wieder auf, der durch das Stadtzentrum an den Hafen und dann zurück zur Kirche führte.
An diesem Tag wurden ca. 200 Flüchtlinge verlegt während zeitgleich 200 Migranten von der Küstenwache in Höhe der libyschen Küste aufgegriffen und in das schon völlig überfüllte Auffanglager von Lampedusa gebracht wurden. Am Nachmittag entschieden sich die Migranten, den Protest nach einer letzten Verhandlung mit den Behörden (Ausländerbehörde, Bürgermeisterin) und Kirchenvertetern zu beenden, nachdem ihren Forderungen entsprochen wurde.
Der Verein Askavusa beklagt:
– den nicht endend wollenden Ausnahmestatuts und den permanenten Notstand, der die Basis der Migrationspolitik in Italien ist;
– die Instrumentalisierung Lampedusas als Schaufenster der Invasionsrethorik und des Zusammenstoßes der Kulturen und die daraus folgende Legitimierung der repressiven Politik und der Zurückschiebungen (4);
– die spekulative Rhetorik über Lampedusa als Ort der sentimentalen und unklaren Aufnahme, eine Rhetorik, die unfähig zur politischen Analyse des europäischen Migrationssystems ist;
– die europäische Auslagerungspolitik der Grenzen auf die südlichen Länder, hier im besonderen die Aktivierung des EUROSUR-Systems;
– die paradoxe Politik der Schließung der Grenzen: einerseits die Notwendigkeit der irregulären Migration, um das globale Wirtschaftsystem aufrecht zu erhalten,andererseits die Schuldzuweisung an die Migranten am Versagen eben jenes Modells.
Der Verein Askavusa fordert eindringlich, folgende Punkte ernsthaft zu dibattieren:
– Das soziale und wirtschaftliche Gleichgewicht der lampedusanischen Bevölkerung zu respektieren und das Aufnahmesystem grundlegend zu ändern, das zur Haft für die Migranten führt;
– Die Überprüfung des DUBLIN II und des kommenden DUBLIN III Systems, um zu einer wahren Solidarität und einer Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten zu kommen, die den Migranten wirklich ihre Rechte garantieren;
– Das Überdenken der Formen, die eine Mobilität aller Menschen ermöglicht und die Einhaltung der Menschenrechte, der Menschenwürde und der persönlichen Freiheit garantieren.
Associazione Askavusa
(Verein Askavusa)
(1) http://www.ecre.org/topics/areas-of-work/protection-in-europe/10-dublin-regulation.html
(2) « La traque des migrants se poursuit en Libye-retour d’une mission d’enquête », Report der Fédération Internationale des Droits de l’Homme, FIDH, Migreurop und
Justice Sans Frontières pour les Migrants, JSFM, http://www.fidh.org/La-traque-des-migrants-se-poursuit
(3) http://www.unhcr.it/news/dir/168/view/1312/il-progetto-praesidium-131200.html
(4) Das bedeutet zum Beispiel, das „maßgebende“ Tageszeitungen wie die „Repubblica“ in einem ersten Moment ein verzerrtes Bild über die Bedeutung und die Modalitäten des friedlichen Protestes der Migranten gegeben haben, als sie von „revoltierende Migranten“ und von „einem spannungsgeladenen Demonstrationszug“ sowie weiteren explosiven Faktoren sprach, die es in Wirklichkeit nicht gegeben hat.
Beim ‚Corriere della Sera‘ hat der Demonstrationszug den „mit Badegästen überfüllten Strand erreicht“. Tatsächlich haben die Badegäste die Demonstranten mit dem Fernglas gesehen. Ungenauigkeiten, sicher, und nichts im Vergleich mit den bekannten Titeln über die „Invasion“, die seit Monaten von Tageszeiten wie „Libero“ und „Il Giornale“ und diversen nationalen Nachrichtensendern benutzt werden. Wir wissen natürlich, dass ein effektheischender Titel zum Phänomen Migration mehr Zeitungen verkaufen lässt, doch sind wir der Meinung, dass das nur dazu dient, die Kassen dieser Informationsorgane zu füllen, dabei aber den Lampedusanern wie auch den Migranten schadet.
Der Notstand dient diesen Presseorganen ebenso wie den NGOs,die, dank der verfälschten Berichterstattung dieses Phänomens, ihre Existenz und ihre Einkünfte rechtfertigen können. Damit möchten wir nicht die Professionalität oder das „Gute“ einzelner Mitarbeiter in Abrede stellen, sondern wir möchten den Unterschied zu den Unterstützerkreisen, die vielleicht weniger professionell sind, aber sicher nicht im wirtschaftlichen oder sonstigen Interesse handeln, deutlich machen.
Aus dem Italienischen von Judith Gleitze