Die Aufnahme-Zentren in den Madonie (Palermo) – zweiter Teil
Die zwei Gesichter der Aufnahme in Geraci Siculo
Im Altersheim der Parrivecchio SRL (GMBH) sind ungefähr 40 Antragsteller auf Internationalen Schutz untergebracht. Als ich am frühen Nachmittag dort eintreffen antwortet niemand auf mein Klingeln. Im Erdgeschoss begegne ich sieben Senioren, die auf einigen Stühlen der Wand entlang sitzen und sich ausruhen. Der schlafende junge Mann auf dem Sofa scheint der einzige potentielle Mitarbeiter sein zu können. Nachdem ich ihn aufgeweckt habe, versuche ich ihm zu erklären wer ich bin und was ich mache. Der Mann stammt aus Rumänien und kümmert sich hier um die Senioren. Er spricht weder gut Italienisch noch Englisch und versteht nur, dass ich mich mit Einwanderung beschäftige.
Ohne Probleme führt er mich in den Innenhof der Einrichtung, wo ich auf die Asylantragsteller treffe. Doch die Männer, sie sind bereits seit einigen Monaten in Italien, entfernen sich mit der Begründung es Leid zu sein, jemandem ihre Probleme zu erklären. Die “Neuen” geben an, am 5. beziehungsweise am 17. September angekommen zu sein. Während die erste Gruppe immer noch darauf wartet identifiziert zu werden und ihre Fingerabdrücke abzugeben, haben jene Personen, die zur zweiten Gruppe gehören, dies bereits gleich nach ihrer Ankunft am Hafen getan. Die Flüchtlinge beklagen, dass sie keine Kleider erhalten haben und frieren. Nach dem Empfang, der mir bereitet wurde, versuche ich zu erfahren, wann Mitarbeiter im Zentrum anzutreffen sind. Nachts, so die Flüchtlinge, arbeitet hier niemand. “An wen wendet ihr euch dann, wenn ein Problem auftritt, bei einem Notfall oder wenn sich jemand nicht gut fühlt,” frage ich. Mir wird geantwortet, dass bis jetzt nachts noch nie etwas passiert sei, dass sie aber im Notfall nicht wüssten an wen sie sich wenden können. Daraufhin fragen sie mich nach einer Telefonnummer für den Notfall. Nach ihrer Ankunft hatten sie nie die Möglichkeit, jemandem ihre Geschichte anzuvertrauen und als ich nach psychologischer Unterstützung frage wirken sie erstaunt. Während ich mit der Gruppe von Flüchtlingen spreche kommt ein Mann, der sich mir als Mitarbeiter vorstellt. Gleich darauf taucht ein Mitglied der Parrivecchio SRL auf, ihr Name ist Ilene. Letztere präsentiert die Einrichtung als Erstaufnahme-Zentrum. Die Parrivecchio SRL hat 2008 das Altersheim eröffnet und ist seit 2011 auch im Einwanderungssektor aktiv. Seit Oktober 2013 ist die Einrichtung ein Erstversorgungs- und Erstaufnahme-Zentrum (CPSA). Doch laut Ilenes Schilderungen scheint das Zentrum eine Mischung aus einem Erstversorgungs- und Erstaufnahme-Zentrum (CPSA) und einer Schutzeinrichtung für Asylantragsteller und Flüchtlinge (SPRAR) zu sein. So sollen die Bewohner zum Beispiel dank eines Gemeindeprojektes die Möglichkeit gehabt haben für die Stadtreinigung zu arbeiten. Wie auch immer, das Zentrum ist ein außerordentliches Aufnahme-Zentrum (CAS). Obwohl die maximale Auslastung der Einrichtung bei 65-70 Personen liegt, wurden zeitweise bis zu 90 Migranten hier untergebracht. Ilene erzählt, dass sie sich bei der Präfektur über den zu langen Aufenthalt (über ein Jahr) einiger Bewohner ihrer Einrichtung beschwert habe. Die Präfektur habe die langen Aufenthalte daraufhin damit gerechtfertigt, dass sie nicht mit einem so immensen Flüchtlingsstrom gerechnet habe, und dass in den Schutzeinrichtungen für Asylantragsteller und Flüchtlinge (SPRAR) keine freien Plätze mehr verfügbar sind. In Folge wurde die Verlegung von 40 Männer nach Piemont angeordnet. Die Schilderungen von Ilene sind weit entfernt von den Berichten über Überfüllung und Verlegungen, welche ich von Mitarbeitern eines anderen Zentrums in der Gegend gehört habe. Laut dem Mitarbeiter einer anderen Einrichtung, waren im Altersheim eine Zeit lang über hundert Migranten untergebracht bis die Gesundheitsbehörden die Präfektur über die alarmierende Situation informiert haben. Die Präfektur löste das Problem durch Verlegungen in andere Einrichtungen. Außerdem wurde mir berichtet, dass die Bewohner des Parrivecchio sich selbst überlassen wurden, was dazu geführt hat, dass sie sich im Sommer bis spät nachts bei den Treffpunkten der Einheimischen aufhielten und dabei oft den gewohnten Ruhezeiten im Dorf nicht entsprochen haben. Italienischkurse und Taschengeldausgabe sind die Dienste, welche im Zentrum angeboten werden. Im Falle eines nächtlichen Zwischenfalls, so erklärt man mir, ist ein Angestellter des Altersheims (der Mann rumänischer Abstammung, den ich bereits kennenlernen konnte) im Erdgeschoss im Dienst. Allerdings scheinen nicht alle Bewohner davon zu wissen. Auch, so versichert man mir, werden normalerweise Kleider ausgeteilt (Sportanzug, Socken, T-Shirts, Unterwäsche, Schuhe). Lediglich die zuletzt Angekommenen haben nur ein T-Shirt, Unterwäsche und Socken erhalten. Grund dafür sei die finanziell unsichere Lage der GmbH, die die Vertragsverlängerung abwarten muss. Am Ende unseres Gesprächs wird Ilene telefonisch darüber informiert, dass es zu keiner Vertragsverlängerung kommen wird. Einige Minuten nachdem ich die Einrichtung verlassen habe laufe ich Ilene und dem Mitarbeiter in einem Café im Dorf über den Weg.
Carlotta Giordano
Borderline Sicilia
Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner
Anmerkung der Redaktion: Die Madonie sind ein Gebirgszug, ca. 55 km östlich von der Provinz- und Regionshauptstadt Palermo.