Die Aufnahme-Zentren in den Madonie (Palermo) – erster Teil
Migranten sich selbst überlassen
Die Genossenschaft Badia Grande verwaltet die Schutzeinrichtungen für Asylantragsteller und Flüchtlinge (SPRAR) in Petralia Soprana, Petralia Sottana, Blufi, Polizzi Generosa, Castellana Sicula und Gangi. Die Gemeinde Petralia Soprana, in Zusammenarbeit mit weiteren Gemeinden, hat bei den Ausschreibungen für die nächsten drei Jahre, 2014 – 2016, die Verwaltung von 90 Plätzen zugewiesen bekommen. Neben der Genossenschaft wurde das Projekt auch von Don Librizzi (zu jener Zeit Regionaldirektor der Caritas) begleitet.
Sieht man sich in den Schutzeinrichtungen für Asylantragsteller und Flüchtlinge genauer um, fällt immer wieder auf, dass Asylantragsteller sich selbst überlassen werden, und dass es nur eine Bezugsperson im Zentrum gibt. Die Begleitung der Asylantragsteller besteht in der sporadischen Anwesenheit des Sozialbetreuers, sprich normalerweise zweimal wöchentlich. Während zwei Sozialbetreuer für jeweils zwei Zentren zuständig sind, arbeiten zwei weitere Sozialbetreuer zusammen in einem Aufnahmezentrum.
Sowohl Bewohner als auch Mitarbeiter weisen auf das Fehlen jeglicher psychologischer Unterstützung hin. Bezüglich der juristischen Angelegenheiten bemerkt man eine besorgniserregende Nachlässigkeit. Im Zentrum in Petralia Sottana erklärt ein Flüchtling, dass er sich eigenständig um einen Anwalt kümmern musste, um Berufung gegen die Entscheidung der territorialen Asylkommission einzulegen. Sechs Flüchtlinge, welche in Petralia Soprana eine negative Antwort von der Kommission erhalten hatten wurden alle dem selben Anwalt zugeteilt und niemand der sechs hat seither, sprich seit einem Monat, von ihm gehört. Ein Pakistaner ist vom langen Warten besonders verstört. Er erzählt mir, dass seine Aufenthaltsgenehmigung seit drei oder vier Monaten abgelaufen ist und nicht verlängert werden kann, da er noch immer kein Dokument besitzt, dass sein Berufungsverfahren bestätigt. Ich konnte es nicht glauben, als sich Migranten in Polizzi Generosa darüber beschwerten, dass sie auf eigene Kosten nach Trapani fahren müssen, um dort das Ergebnis der Kommission zu erfahren, ein Mitarbeiter bestätigt jedoch die Tatsache. Es scheint als sei auch die juristische Auskunft mangelhaft. Ein Bewohner des Zentrums in Petralia Sottana beschwert sich: ”Sie haben mich gedrängt einen Vertrag zu unterzeichnen und mir dabei gesagt, dass ich nach sechs Monaten meine Papiere haben würde. Mittlerweile bin ich seit über einem Jahr in Italien und habe noch immer nichts in der Hand.” Ich frage ob ich mir diesen Vertrag anschauen darf. Es ist der Vertrag zur Einwilligung zum halbjährlichen Projekt der Schutzeinrichtung für Asylantragsteller und Flüchtlinge. Es ist mir unbegreiflich, dass der Flüchtling diesen Vertrag in der Überzeugung unterschrieben haben soll, spätestens nach sechs Monaten gültige Dokumente zu besitzen. Wer weiß welches Missverständnis diese Hoffnungen geweckt hat.
Doch trotz all der Mängel kann man nicht behaupten, dass es an beruflichen Weiterbildungsangeboten fehlt. Drei bis vier Bewohner jeder Schutzeinrichtung haben die Möglichkeit, die Arbeitsbörse zu nutzen und somit eine Anstellung bei der Straßenreinigung in den verschiedenen Gemeinden zu bekommen. Obwohl alle Zentren unter der selben Leitung stehen und obwohl alle Bewohner mittlerweile seit ungefähr einem Jahr in Italien sind, ist es beeindruckend, welch unterschiedliche Atmosphäre in den Einrichtungen herrscht. In manchen Zentren bemerke ich eine viel stärkere Unruhe als in anderen. Der einzige Faktor, der diese Unterschiede erklären kann, ist die Kompetenz der Mitarbeiter oder besser gesagt, die Kompetenz jener einen Person, die für ein Zentrum verantwortlich ist. Ein Mitarbeiter muss sich in den Schutzeinrichtungen, geleitet von der Genossenschaft Badia Grande, um die täglichen Aufgaben des Sozialarbeiters so wie um die des Mediators kümmern. Diese Position wurde unter anderem einem Migranten, einst selbst Bewohner der Aufnahme-Strukturen der Caritas in Trapani und Asylantragsteller, anvertraut. Dieser lebt seit mittlerweile einigen Jahren in Italien und ist in Besitz einer gültigen Aufenthaltsgenehmigung. Zusammen mit den Asylantragstellern lebt er im selben Zentrum, das er auch betreut und ist 24 Stunden, sieben Tage die Woche im Dienst. (Im Zentrum in Polizzi teilt der Mitarbeiter Zimmer und Bad mit den Bewohnern.) Ich frage nach, ob er die Erlaubnis hat, sich vom Arbeitsplatz zu entfernen und bekomme zur Antwort, dass er sich hin und wieder Urlaub nehmen kann, aber nicht sehr häufig. Sobald ich Mitarbeiter nach ihrer Entlohnung frage, lachen sie und einer erläutert: “Heute, wo so viele Menschen Arbeit suchen und keine finden, ist es schon viel überhaupt Arbeit zu haben.” Desweiteren versuche in den Übergang vom Asylantragsteller, sprich Klient der Caritas Trapani, zum Mitarbeiter derselben, zu verstehen. Ein Mitarbeiter fasst sich kurz und berichtet, dass ihn, als er damals in Italien ankam, Don Librizzi direkt am Hafen mit offenen Armen aufgenommen hat. So hat seine Zeit mit der Caritas Trapani begonnen. (Für alle die nicht im Bilde sind: auf Grund von Strafanzeigen wegen Amtsmissbrauchs und sexueller Gewalt gegen Migranten steht Don Librizzi, ehemaliger Direktor der Caritas Trapani, seit letzten Sommer unter Hausarrest.) Die Arbeitsverträge dieser Mitarbeiter sind verschieden: zwei von ihnen sagen aus, einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu haben, einer wird Monat für Monat verlängert und die anderen haben Halbjahres-Verträge. Die Qualifizierung dieser Mitarbeiter lässt zu wünschen übrig; obwohl sie sich als Mediatoren bezeichnen, sprechen einige von ihnen nicht einmal Englisch. Zwar versuchen sie sich mit etwas Italienisch und ihrer lokalen Sprache zu behelfen, jedoch ist die Kommunikation mit den Bewohnern der Zentren oft einfach unmöglich.
Carlotta Giordano
Veröffentlicht von Borderline Sicilia
Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner
Anmerkung der Redaktion: Die Madonie sind ein Gebirgszug, ca. 55 km östlich von der Provinz- und Regionshauptstadt Palermo.