„Basta con la Bossi-Fini“ – „es reicht mit dem Bossi-Fini-Gesetz“
süddeutsche.de – Mehr als 90.000 Menschen, darunter italienische Politiker und
Intellektuelle, fordern nach den Flüchtlingskatastrophen vor Lampedusa,
das umstrittene Bossi-Fini-Gesetz abzuschaffen. Nun appelliert auch ein
Quartett aus Friedensnobelpreisträgern an die Regierung in Rom.
Von Carolin Gasteiger
Zwei Schiffsunglücke vor Lampedusa binnen einer Woche, bei denen mehr als 370 Menschen ums Leben kamen.
Eine Bürgermeisterin, die ihre Insel nicht mehr wiedererkennt. Eine
Flüchtlingspolitik, die inzwischen EU-weit diskutiert wird: Italien
steht unter Druck. Und der Druck auf die Regierung wächst, die strengen
Asylbestimmungen zu lockern. Der Druck kommt nicht nur aus dem Ausland,
sondern aus der eigenen Gesellschaft.
Italiens Integrationsministerin Cécile Kyenge wirbt bereits seit Monaten für eine Reform des Einwanderungsrechts, der italienische Journalist Fabrizio Gatti hatte Lampedusa für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen (hier lesen Sie ein Interview mit Gatti). 90.000 Menschen haben bereits einen Aufruf der Tageszeitung La Repubblica unterzeichnet, das umstrittene Bossi-Fini-Gesetz abzuschaffen. Es besagt, dass sich auch jene Fischer strafbar machen, die Flüchtlinge retten wollen.
Darunter sind auch prominente Politiker, Sportler, Intellektuelle: Die Bürgermeister von Mailand, Turin und Rom
wollen ebenso wie der Musiker Jovanotti oder der
Literaturnobelpreisträger Dario Fo, dass sich an Italiens
Flüchtlingspolitik etwas ändert. Auch der Fotograf Oliviero Toscani,
Krimiautor Andrea Camilleri und Schriftsteller Massimo Carlotto
haben unterschrieben.
Diesem Wunsch verleiht nun ein offener Brief an die Regierung Nachdruck, aus dem die Repubblica zitiert.
Verfasst haben ihn vier Friedensnobelpreisträger: die nordirische
Friedensaktivistin Betty Williams, der ebenfalls nordirische Politiker
John Hume, Costa Ricas Ex-Präsident Oscar Arias Sanchez sowie das
Ständige Internationale Friedensbüro. Ihr Appell lautet „Basta con la
Bossi-Fini“ – „es reicht mit dem Bossi-Fini-Gesetz“. Der Name bezieht
sich auf dessen Initiatoren: den Chef der Lega Nord, Umberto Bossi und den ehemaligen Führer der postfaschistischen Alleanza Nazionale, Gianfranco Fini.
Das Gesetz
bewirkt, dass Asylsuchende in Italien leichter abgewiesen werden
können. Und seit es von der Regierung Berlusconi 2008 noch einmal
verschärft wurde, erhebt das Bossi-Fini-Gesetz die illegale Einreise zur
Straftat – und die Beihilfe dazu. Das prominente Quartett fordert nun,
es radikal zu revidieren.
„Während wir noch die beweinen, für die es keine Hoffnung mehr
gibt, haben wir die Verpflichtung, etwas zu tun, damit sich eine
Tragödie wie diese nicht mehr wiederholt“, heißt es in dem offenen
Brief, der an Premier Enrico Letta, Innenminister Angelino Alfano und
dessen Stellvertreter adressiert ist. Es sei beunruhigend, heißt es
weiter, dass in einem reichen Industriestaat Gesetze Anwendung finden,
die die Menschenrechte nur am Rande respektieren.
Der Appell kommt zu einem heiklen Zeitpunkt: Während sich Rettungstrupps in Lampedusa
und auf Malta um die Überlebenden kümmern, Hunderte Flüchtlinge in
Notunterkünften hausen und ein Militärschiff die Särge der Todesopfer
von Porto Empedocle abholt, gehen die illegalen Überfahrten weiter. Am
Samstag wurden bereits weitere Flüchtlingsboote aus dem
Mittelmeer gerettet.
Die vier Nobelpreisträger hoffen nun, dass sich die
Mittelmeer-Republik auf ihre Wurzeln besinnt: „Die Italiener, dessen
sind wir uns sicher, wollen diese Schmach nicht. Italien will mit Stolz
für seine eigene Natur eintreten: die Kultur des Aufnehmens.“