2014 sieht sich die Stadt mit dem Phänomen der Einwanderung konfrontiert. Zahlen und Polemiken
tempostretto.it – In diesem Jahr sind in der Stadt Messina zwei weitere Erstaufnahmeeinrichtungen entstanden – in der ehemaligen Kaserne Bisconte und in der ehemaligen öffentlichen Fürsorge- und Wohltätigkeitsanstalt (Ipab) – in Ergänzung zum Ende 2013 eingerichteten PalaNebiolo, der weiterhin voll ausgelastet in Betrieb ist. Insgesamt wurden 12.293 Personen aufgenommen und identifiziert, bei insgesamt 17 Anlandungen.
Es schneit. Die Zelte des PalaNebiolo werden weiß. Darin leiden 200 Personen unter der Kälte. Insgesamt sind in Messina im Jahr 2014 12.293 Personen identifiziert und aufgenommen worden, 9.000 von ihnen im Zeltlager und etwa 3.000 in der ehemaligen Kaserne Bisconte. Insgesamt 17 Anlandungen. Silvester verbringen die Flüchtlinge in Decken gekauert und mit einigen elektrischen Öfen. Auch wenn der Betreiber zusichert, sein Möglichstes zu tun, um das Leiden durch die strengen Wetterumstände in diesen Tagen zu mildern, können sicher keine Wunder vollbracht werden. Eine aus Zelten bestehende Einrichtung wie der PalaNebiolo, der, wenn nicht gerade zugeschneit, Überschwemmungen ausgesetzt ist, ist und bleibt mit den auf dem Boden liegenden Matratzen und den ausserhalb des Lagers in der Sporthalle liegenden sanitären Einrichtungen ungeeignet zur Unterbringung von Menschen. Und während die Asylbewerber dieses Jahr dem Schnee ausgesetzt sind, protestierten die dort Untergebrachten vor genau einem Jahr wegen einer Überschwemmung des Lagers in den letzten Tagen des Jahres 2013. Abgesehen von dem Schnee hat sich im Erstaufnahmezentrum von PalaNebiolo in diesem ersten Jahr seines Bestehens, nichts geändert. Während des gesamten Jahrs 2014 war es bei voller Auslastung in Betrieb, als Zentrum zur Verteilung der Asylbewerber, die in Gruppen zu jeweils maximal 250 Personen aufeinanderfolgten. Als die ersten Boote ankamen, wurde die Sporthalle, die auf einen Bericht der Gesundheitsverwaltung wegen der hygienischen Bedingungen hin geschlossen worden war, vorübergehend wieder geöffnet. Der Betrieb wurde Anfang Mai endgültig eingestellt, als die Präfektur auf einen weiteren Bericht der Gesundheitsverwaltung die Räumlichkeiten der Sporthalle endgültig geschlossen hat und angeordnet hat, sie nicht mehr zu nutzen. Wenige Tage später kommt direkt am Anleger Colapesce in Messina das dritte Boot mit 292 Migranten an. Da es nicht genug Platz in den Zelten gibt und die Sporthalle geschlossen worden war, wird eine Unterbringung in der Messehalle 7 improvisiert. Die Ankunft ist u.a. von einigen organisatorischen Missverständnissen zwischen Präfektur und der Stadtverwaltung, Palazzo Zanca, begleitet und endet mit dem außergewöhnlichen Bild des Stadtrats für Zivilschutz, Filippo Cucinotta, der um 22 Uhr eine Straßenbahn anhält, um die letzten 150 Migranten – darunter viele Minderjährige – zu befördern, die noch im Hafen geblieben waren. Diese Ankunft von Booten ist für Messina eine neue und schwer zu bewältigende Situation, die die organisatorischen Fähigkeiten der Stadt auf eine harte Probe gestellt hat.
Es war der 9. April 2014, als das Frachtschiff „Prospero“ 360 Migranten zum Hafen Colapesce in Messina brachte. Die Erstaufnahmemaßnahmen werden direkt am Anleger, gegenüber dem Zoll, vorgenommen und dauern Stunden. Um die Migranten unterzubringen, hat die Präfektur angeordnet, die Sporthalle im PalaNebiolo wieder zu öffnen. Diese Ankunft ist symbolhaft wiedergegeben im Bild einer Frau, die mit ihrem sich an sie klammernden Kind mit unsicheren kleinen Schritten in der Abenddämmerung die Gangway des großen Frachtschiffes herunterkommt. Die Migranten werden am Hafen vom Roten Kreuz und Zivilschutz zusammen mit Vertretern der Präfektur, des Polizeipräsidiums und der Stadt Messina empfangen. Am 1. Mai wiederholt sich die Szene, mit 266 Personen, darunter 65 Kinder, sechs Schwangere sowie 69 Frauen und unbegleitete Minderjährige, die größtenteils aus Syrien und Eritrea stammen. Nach der dritten Ankunft am 8. Mai folgt regelmäßig eine Anlandung pro Monat. Nach der endgültigen Schließung der Sporthalle in Conca D’Ora wird es immer schwieriger, eine Einrichtung zur Unterbringung der Ankommenden zu finden. Deshalb kommt am 27. Juni, als das Schiff „Etna“ mit 500 Personen an Bord Kurs auf Messina nimmt, Bischof Calogero La Piana den Bitten der Stadt nach und die Migranten werden im Gewölbe der Kirche San Francesco all’Immacolata in Viale Boccetta untergebracht. Alle Personen werden damals noch am selben Tag dorthin gebracht. Zur persönlichen Tragödie der Flüchtlinge und dem allgemeinen Drama des zusammengebrochenen Erstaufnahmesystems gesellt sich am 20. Juli anderes Schreckliches: die Leiche eines Kindes kommt an. Es ist bereits tot in Messina angekommen, ein gerademal einjähriges Kind aus Syrien. Vom Flugzeugträger, der 400 Migranten nach Messina gebracht hat, wurde langsam ein kleiner weißer Sarg gelassen. Das Militärschiff war den Flüchtlingen im Kanal von Sizilien zu Hilfe gekommen; sie waren auf einem Boot, in dem weitere 19 Menschen erstickt sind. Die anderen Migranten wurden in der Schule Pascoli untergebracht. Neben dem Roten Kreuz haben sich im Wechsel auch verschiedene Freiwillige um sie gekümmert. Die Beerdigung des Kindes fand am 5. Juli in Messina statt. Den Gegenpol zu diesem dramatischen Tod bildet ein neugeborenes Leben, das mit dem letzten Boot des Jahres am 26. Dezember nach Messina kommt. 900 Migranten kamen mit zwei Schiffen der Marine an, darunter ein Neugeborenes, das eine junge Nigerianerin am 1. Weihnachtstag zur Welt gebracht hatte.
Während am 30. Mai in Messina das Schutzsystem für Asylsuchende und Flüchtlinge (SPRAR) in Villa Lina eröffnet wird – mit der Ankunft von drei Familien, bestehend aus sehr kleinen Kindern mit ihren Eltern – bricht das schon zuvor prekäre Aufnahmesystem für unbegleitete Minderjährige komplett zusammen. Die Minderjährigen werden wegen fehlender Einrichtungen und fehlenden finanziellen Mitteln seitens der Stadt im Zeltlager regelrecht sich selbst überlassen. Ein wegen der Vermischung der Geschlechter wahrlich ungeeigneter Ort, an dem die Jugendlichen keine angemessene Aufnahme erfahren. Als die Zahl der Minderjährigen über 100 steigt, ruft die Expertin der Stadt für Kulturmittlung, Clelia Marano – immer im Einsatz an vorderster Front, wenn es um Notstand und Aufnahme geht – am 25. Oktober öffentlich die sozialen Dienste, die Stadt und alle zuständigen Institutionen zum Eingreifen auf. Nach einer verärgerten Antwort der Stadt – die sich hinter einer eigensinnigen Interpretation des Morcone-Rundschreibens verschanzt – tritt Marano wenige Tage später zurück. Nach dem Rücktritt des für Einwanderung und Zivilschutz zuständigen Stadtrats Filippo Cucinotta am 16. Dezember fehlt in der Stadtverwaltung Messina der Vertreter für Einwanderungspolitik. Nach Maranos Anklage und den darauf folgenden Polemiken – mit den üblichen gegenseitigen Schuldzuweisungen von Präfektur und Stadt – verlegt die Präfektur die unbegleiteten Minderjährigen am 25. November in die Räume der ehemaligen Ipab Scandurra (öffentliche Fürsorge- und Wohltätigkeitsanstalt). Die Einrichtung war im Rahmen der am 1. April veröffentlichten Ausschreibung zur neuen Vergabe der Betreiber der Aufnahmezentren in Messina als möglicher Aufnahmeort ausgemacht worden. Betreiber bleibt derzeit das Firmenkonsortium unter der Führung von Senis Hospes, zu dem auch Cascina Global Service und Sol.Co. gehören. Nun erwartet man die Entscheidung der Präfektur über die letzte Ausschreibung vom 2. Dezember, die für das gesamte Jahr 2015 gelten wird. Mit der ehemaligen Ipab-Anstalt, die für 150 Plätze ausgerichtet ist, gibt es nun 3 Erstaufnahmezentren. In der Zwischenzeit wurde am 15. November das Wohnheim für Minderjährige des Vereins Ai.Bi. geschlossen. Auf dieses Ereignis folgt eine Demonstration der Solidarität seitens der Bewohner des Viertels Camaro, in dem die Einrichtung liegt. Um gegen ein haftähnliches Aufnahmemodell zu protestieren, brechen am 18. Dezember, dem Welttag für Flüchtlingsrechte, während einer Demonstration mehrere Aktivisten in den PalaNebiolo ein und hängen dort ein Protesttransparent an einem der Träger des Lagers auf.
Im August kommt zum PalaNebiolo eine weitere Erstaufnahmeeinrichtung, die in der ehemaligen Kaserne Bisconte eingerichtet wird. Nach dem Abtritt des Geländes vom Verteidigungsministerium ans Innenministerium am 7. Januar 2014 – dem ein ministerielles Rundschreiben vom 28. Dezember 2013 vorangegangen war – erfolgt eine erste Inaugenscheinnahme in der Kaserne Gasparro-Masotti. Am 30. März trifft der Minister Alfano bei seinem Besuch den Bürgermeister Accorinti. Zentrales Thema des Treffens ist die Aufnahme der Migranten und eine mögliche Nutzung der Kaserne Bisconte. Am 15. April folgt eine weitere Besichtigung des Stadtrats Sergio De Cola. Am 5. August dann die endgültige Trendwende: Die Präfektur kündigt auf Anfrage des Innenministeriums hin an, dass in einem der drei Gebäudekomplexe der Kaserne Bisconte ein Erstaufnahmezentrum für Migranten mit insgesamt 200 Plätzen eingerichtet wird. Neben Schlafplätzen mit Etagenbetten gibt es einen Speisesaal und neue sanitäre Einrichtungen. Das Unternehmenskonsortium, das den PalaNebiolo betreibt, übernimmt automatisch auch das neue Zentrum. Die ersten Gäste kommen am 27. August in die ehemalige Kaserne, nach einer weiteren Anlandung von 260 Personen im Hafen Messina, von denen 200 in der Kaserne Gasparro untergebracht werden. Kurze Zeit später wird das neue Zentrum Schauplatz eines beunruhigenden Vorfalls. In der Nacht vom 3. auf den 4. September gibt es ein Attentat. Ein Fiat Punto wird gegen den Eingang des Zentrums geschleudert und mit fünf Pistolenschüssen entzündet. Am 13. Oktober schließlich wird die ehemalige Kaserne, zusammen mit dem PalaNebiolo, als Etappe der Antimafia-Karawane ausgewählt, die von Arci, Libera, Avviso pubblico zusammen mit den Gewerkschaften Cgil, Cisl, Uil und Ligue de l‘enseignement organisiert wird. Das Jahr schließt mit der Absicht des Innenministeriums, die anderen Gebäudekomplexe der ehemaligen Kaserne zu renovieren, um ein richtiges Aufnahmezentrum für Asylbewerber (Cara) einzurichten. Derzeit sind in der Kaserne 200 Migranten untergebracht, die mit der letzten Anlandung am 26. Dezember angekommen sind.
Aus dem Italienischen von Renate Albrecht