Gestern, am 19. Mai, startete in Rom das Projekt „Openeurope“, das von Oxfam in Zusammenarbeit mit Borderline Sicilia und der Diaconia Valdese auf den Weg gebracht wurde. Es soll Migrant*innen Hilfe bringen, die aufgrund eines verzögerten Ablehnungsbescheides vom System der Aufnahme und des Schutzes ausgeschlossen sind. Seit im September 2015 der sogenannte Hotspot-Ansatz in Kraft getreten ist, wurden Tausende von Personen, die kurzerhand und willkürlich als Wirtschaftsgeflüchtete bezeichnet wurden, von einer solchen Maßnahme betroffen. Sie landeten auf der Straße, ohne eine Idee, was sie tun und wohin sie gehen können. Unter ihnen befinden sich auch einige Fälle von besonders Schutzbedürftigen. Das Projekt sieht den Einsatz eines mobilen Teams von Oxfam Aktivist*innen vor, das sich in den östlichen Provinzen Siziliens bewegt, um diesem Personenkreis erste materielle Hilfe und Informationen über ihre rechtlichen Möglichkeiten zu bringen. Borderline Sicilia wird den juristischen Beistand gewährleisten und Diaconia Valdese die Aufnahme der schutzbedürftigsten Fälle übernehmen.
#OPENEUROPE
Ein Jahr nach dem Schiffsunglück von Lampedusa in dem mindestens 800 Migrant*innen ihr Leben verloren haben, schafft es Europa immer noch nicht, einen gesetzlich verankerten Schutz der besonders Schutzbedürftigen zu garantieren.
HOTSPOTS – DIE FABRIKEN DER UNGEWISSHEIT UND ANGST
Die Meerespassage zwischen Lybien und Italien ist die tödlichste der Welt.
Am 18. April 2015 verursachte ein Schiffbruch vor der Küste Lampedusas den Tod von ca. 800 Menschen, die versucht hatten, Italien zu erreichen. Die Europäische Union hat auf diese Tragödie reagiert, indem sie den ersten von vielen Gipfeln über das dringende Geflüchtetenproblem einberufen hat und die Verabschiedung der EU-Agenda zum Thema Migration beschleunigte. Das Maßnahmenpaket, das bezweckt, die Sicherung der europäischen Außengrenzen zu erhöhen und die Zahl der dort Ankommenden zu verringern, enthält, was heute unter dem Stichwort „Hotspot Approach“ bekannt ist : ein System, das von eben dieser Europäischen Kommission als eine „operative Lösung für Notsituationen“ bezeichnet wird. Es wurde offiziell ins Leben gerufen, um Asylanträge schneller zu bearbeiten und eine schnellere Rückkehr der abgelehnten Personen sicher zu stellen. In Italien sind bis auf den heutigen Tag die Hotspots von Lampedusa, Pozzallo, Trapani und Tarent in Betrieb. Außerdem halten sich Mitarbeiter*innen der Europäischen Grenzagenturen und des Innenministeriums auf sizilianischem Gebiet auf, sie agieren zwischen den verschiedenen Anlandungsstellen hin und her, in Erwartung der offiziellen Inbetriebnahme eines echten und wirklichen Mobilen Hotspot Teams.
Gleichwohl müssen die italienischen und europäischen Behörden, denen das Management dieser Teams obliegt, erst noch einen klaren rechtlichen Rahmen und standardisierte Regeln, nach denen sie arbeiten können, festlegen. Dies bedeutet einen beträchtigen Mangel an Klarheit bezüglich der Frage, wie dieses System garantieren kann, dass es die italienischen, europäischen und internationalen Gesetze einhält.
Seitdem die Hotspots ihre Arbeit in Sizilien aufgenommen haben, zeigt man sich besorgt über die Art und Weise, wie es funktionieren kann, insbesondere darüber, dass möglicherweise das Recht auf internationalen Schutz, der den Migrant*innen zusteht, verletzt wird.
Es ist so, dass die Migrant*innen einer Befragung unterzogen werden, die kurz nach ihrer Ankunft dann tatsächlich über ihren rechtlichen Status entscheidet. Diese Befragungen finden unter hohem körperlichen und psychologischen Stress statt, es handelt sich um eine Begegnung von wenigen Minuten und ohne die Anwesenheit eines Beobachters. Diese Art Verfahren, dessen Ziel die Beschleunigung der Entscheidungen ist und das hohe Ablehnungsquoten produziert, hat zur Folge, dass viele Personen aus dem nationalen Aufnahmesystem herausgedrängt und sich selbst überlassen werden – ohne, dass sie ihre Rechte kennen. Sie befinden sich in einem Zustand besonderer Schutzbedürftigkeit. Diese abgewiesenen Menschen, die keine Ausweispapiere und keinen geklärten Aufenthaltsstatus haben, riskieren, in ein Netz von Menschenhandel und Schwarzarbeit verwickelt zu werden. Und die Angst hindert sie daran, Hilfe zu suchen.
EINE MASSNAHME, DIE DEN IN DEN HOTSPOTS ABGEWIESENEN PERSONEN HILFE GARANTIERT
Die Zahl der Abgewiesenen beläuft sich bereits auf mehrere Tausend und wird sich in nächster Zeit aufgrund der in der warmen Jahreszeit verstärkten Flüchtlingsströme über die sogenannte zentrale Mittelmeerroute noch erhöhen: Oxfam, Borderline Sicilia und Diaconia Valdese halten es für dringend notwendig , sofort handeln zu können, um die durch das System Hotspot verursachten Risiken einzudämmen und das Fehlen von Schutzeinrichtungen auszugleichen. Sie wollen eine kombinierte Struktur aus rechtlichem Beistand und materielle Unterstützung für die in den Zentren Abgewiesenen organisieren.
Oxfam Italia ist ein globaler Akteur, der sich darauf spezialisiert hat, auf globale Katastrophen zu reagieren. Das immer und überall klare Ziel dabei ist die Rettung von Menschenleben. Oxfam Italia arbeitet in Italien seit 2015 im Bereich der Aufnahme (von Geflüchteten). Man hat große Erfahrung durch die ca. 20-jährige Arbeit mit Migrant*innen in der Toscana. Dies hat die Entwicklung eines Hilfs- und Integrationsmodells ermöglicht, das auf mehreren Ebenen agiert.
Borderline Sicilia gehört zu den wenigen Organisationen vor Ort, denen es bis heute gelingt, auf die Problematik auf rechtlicher Ebene zu reagieren; sie beschleunigen mit ihrem Netzwerk von eigenen Anwälten die zahlreichen Möglichkeiten, den Ablehnungsbescheiden zu widersprechen, gleichzeitig prangern sie die Überlastung der mit den Verfahren befassten Anwälte und den Mangel an lokalen Dienstleistungen für die Migrant*innen an.
Dieaconia Valdese arbeitet mit Oxfam auf der Ebene der Aufnahme und der Integration auch auf Landesebene zusammen. In Sizilien helfen sie den Migrant*innen durch die Bereitstellung von Aufnahmezentren und von sprachlich-kulturellen Vermittlungsangeboten. Seit dem 9. Mai arbeitet in Sizilien auch eine mobile Einheit – ein Assistent, der in rechtlich/sozialen Fragen hilft und einem Mediator für sprachlich/kulturelle Fragen. Dieses Team kann schnell die Orte, an denen es Hinweise auf abgewiesene Migrant*innen gibt, erreichen. Es kann ihnen Rechtsberatung anbieten, um gegen den Ablehnungsbescheid Einspruch zu erheben und das Asylantragsverfahren einzuleiten, sie über ihre Rechte aufklären und auf eigene oder von anderen Organisationen bereitgestellte Aufnahmestrukturen verweisen.
Das mobile Team versorgt die aufgefunden abgewiesenen Migrant*innen auch mit Hilfsgütern, um einen Mindeststandard an Sicherheit zu garantieren. Sie verteilen ein paar elementare Gebrauchsartikel, wie z.B. ein Gesundheits- und Hygiene Miniset an die Männer, das „Dignity Kit“ an die Frauen, Kleider, Schuhe, Intimwäsche, Fertigmahlzeiten, Wasser und Telefonkarten für In- und Ausland.
Den besonders Schutzbedürftigen werden darüber hinaus eine angemessene Aufnahme, Informationsangebote und Integrationsmöglichkeiten in spezialisierten kleineren Einrichtungen angeboten. Dort können sie erst einmal für eine befristete Zeit bleiben, solange man die rechtlichen Möglichkeiten prüft, dass sie in einer der Asylsuchendeneinrichtungen aufgenommen werden könnten. Außerdem wird der Blog Siciliamigranti aktualisiert und in die jeweils relevanten Fremdsprachen übersetzt werden. Dieser Blog ist ein wichtiges Kommunikationsmedium, das von Borderline Sicilia eingerichtet wurde, um die Öffentlichkeit auf lokaler und nationaler Ebene über das, was sich im System Hotspot abspielt, zu informieren.
WIR FORDERN ITALIEN UND EUROPA AUF, MEHR ZU TUN: die Sensibilisierungskampagne
#openeurope
Oxfam Italia, Diaconia Valdese und Borderline Sicilia sind der Meinung, dass Europa dringend den Umgang mit den Menschen, die an seinen Grenzen ankommen, revidieren muss und sicherstellen muss, dass die fundamentalen Rechte und die Würde eines jeden Menschen gewahrt werden – unabhängig von seinem Aufenthaltsstatus.
Deshalb wollen Oxfam, Borderline Sicilia und Diaconia Valdese auf die staatlichen Stellen auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene Druck ausüben, um zu erreichen, dass ein bislang noch nicht vorhandenes System von rechtlichen Garantien entwickelt und ein angemessener juristischer Rahmen festgelegt werden. Dies soll den Schutz von Rechten und klar definierte Verantwortungen sicherstellen. Darüber hinaus fordern sie von der italienischen Regierung und der EU, dass den unabhängigen Organisationen ein ordnungsgemäßer Zugang zu den Anlandestellen und den Hotspots garantiert wird, damit diese den Migrant*innen Hilfe leisten und die Einhaltung der Menschenrechte überwachen, sowie besondere Schutzmaßnahmen für die besonders Schutzbedürftigen schaffen können.
Übersetzung: Petra Schneider