Zum zweiten mal in Modica: Die „Arte Migrante“
„Schon nach dem ersten Abend in diesem Sommer konnte ich den zweiten kaum erwarten!“, so äußerte sich der junge Asylsuchende M. bei den Vorbereitungen der zweiten Ausgabe von „Arte Migrante“, die am ersten Sonntag im Januar in Modena stattfand. Bereits im August hatte die Veranstaltung Migrant*innen aus zahlreichen Aufnahmezentren für Asylsuchende in der Gegend begeistert, die auch dieses Mal auf keinen Fall fehlen wollten und mit ihrer Begeisterung auch viele weitere Mitbewohner*innen ansteckten.
Veranstaltet wurde der Abend von einer schnell wachsenden Gruppe aus Künstler*innen, Bewohner*innen und Student*innen aus Modica, von denen einige das in Emilia Romagna entstandene Projekt auch in ihren Heimatorten einführten. Die Gruppe „Arte Migrante“ formierte sich im September 2012 in Bologna auf Initiative des jungen Anthropologie-Studenten Tommaso Carturan und weiteren Freunden aus der Stadt. Sie alle vereinte der Wunsch ein Projekt zu initiieren das mittels Kunst eine soziale Eingliederung in die Gesellschaft fördert. Unterstützung erhielten sie zunächst von einem Pfarrer, der ihnen Räumlichkeiten zur Verfügung stellte, sodass sie schon bald begannen jeden Mittwochabend Treffen zu veranstalten, bei denen sich Menschen verschiedener Herkunft und sozialer Schichten unter dem „Vorwand“ der Kunst zusammenfanden.
An jedem dieser Abende findet nun zusätzlich ein gemeinsames Abendessen statt, zu dem jeder etwas mitbringt. Vor allem aber bietet der Abend jedem einzelnen die Möglichkeit, sich auszudrücken, zu entfalten und zu experimentieren, ganz wie er möchte, singend, tanzend, lesend, schauspielernd, auf musikalische Weise, oder einfach sich im Rahmen eines gemeinsamen Festes gegenseitig kennenzulernen und einzubringen. Schon bald fanden sich unter den Teilnehmern viele Migranten, mit und ohne feste Bleibe, manche von ihnen aus den städtischen Aufnahmezentren für Asylsuchende, wo die Gruppe sie angetroffen hat. Im Laufe der Zeit wuchs die Gruppe schnell heran und begann zusätzlich kostenlose Workshops für alle Interessierten anzubieten. Ziel war es hierbei unter anderem Menschen mit wenig finanziellen Mitteln die Möglichkeit zu bieten einen Zugang zur Kunst zu finden. Einige Student*innen von außerhalb folgten dem Beispiel Bolognas und exportierten das Projekt auch nach Sizilien, um gemeinsame Abende auch in Palermo und Modica zu veranstalten. Ein Experiment, das von unten heraus entsteht: Anfangs waren vor allem Migrant*innen und Mitarbeiter*innen der Aufnahmezentren nahe der Stadt dabei, bevor sich zunehmend auch Freiwilligenverbände, aktive Bürger*innen und zuletzt örtliche oder aus der Umgebung stammende Künstler*innen anschlossen. Vergangenen Sonntag waren es fast hundert Personen, die vom Domus Petri ins Zentrum von Modica zogen. Es wurde getanzt, musiziert und applaudiert, vor allem aber lernte man sich kennen. In außergewöhnlicher und offener Atmosphäre, die jedem die Möglichkeit bot, sich selbst vorzustellen und mit anderen auszutauschen, wurden so schnell neue Freundschaften geschlossen. Der freien Darstellung waren keine Grenzen gesetzt: Während die einen mit Cajon, Djembetrommeln, Gitarren und Blasinstrumenten Musikstücke improvisierten, sangen oder etwas vortrugen, nutzten andere den Abend, um sich mit Gleichaltrigen auszutauschen, die oftmals nur selten aus ihrer isolierten Unterbringung herauskommen und daher nur wenig Möglichkeiten haben, neue Kontakte zu knüpfen. „Arte Migrante“ hat es sich zum Ziel gesetzt, vorallem Menschen, die vom sozialen Leben ausgeschlossen sind und daher oftmals keine Zukunft in Italien sehen, zu unterstützen und ihnen die Möglichkeit der Interaktion und Teilnahme am sozialen Leben zurück zu geben. „Ich bin sehr froh dabei gewesen zu sein, denn ich habe viele neue Leute kennen gelernt, auch wenn ich italienisch sprechen musste! Vor allem aber konnte ich endlich Musik machen“, sagt A., der gerade auf dem Weg zurück ins Zentrum ist. „Das Schönste aber war für mich mit anderen Menschen, die wie Freunde für mich waren, durch Modica zu ziehen und zu merken, dass die Blicke, die mich trafen, sich verändert hatten.“
Lucia Borghi
Borderline Sicilia Onlus
Übersetzung aus dem Italienischen von Marlene Berninger