Zu Besuch im Hotel Morgantina, dem außerordentlichen Aufnahmezentrum von Aidone
„A word to summarize the situation here is Zero“. Mit diesem Satz endet unser Treffen mit den Bewohner*innen des außerordentlichen Aufnahmezentrums von Aidone, das wir letzten Monat besucht haben.
Als wir im Zentrum ankommen, treffen wir zunächst den Leiter, der uns in sein Büro bittet. Wir sind etwas überrascht keine Bewohner*innen anzutreffen. So erging es uns bereits bei unserem letzten Besuch im Juli. Der Verantwortliche erklärt uns, dass sich untertags nur wenige in der Unterkunft aufhalten. „Der eine arbeitet hier, der andere da…“ „Und wo arbeiten sie?“, fragen wir. „Sie arbeiten in der Landwirtschaft“, lautet seine Antwort.
An diesem Punkt bitten wir ihn, uns zu erklären, wie das außerordentliche Aufnahmezentrum funktioniert. So erfahren wir, dass das Projekt der außerordentlichen Aufnahme im ehemaligen Hotel Morgantina seit März 2014 läuft. Nach Abstimmung mit dem Ordnungsamt von Enna sollte das Zentrum eigentlich 25 Asylsuchenden Unterschlupf bieten, im Moment befinden sich jedoch nur 14 Personen hier, 10 haben das Zentrum bereits im Februar 2015 verlassen. Seitdem hat das Ordnungsamt keine neuen Leute mehr im Zentrum aufgenommen. Man wartet immer noch auf die Ergebnisse der letzten Ausschreibung, die bereits letzten September hätten veröffentlicht werden sollen. Die Wartezeit hatte sich verzögert, da das Ordnungsamt im Moment alle Einrichtungen der Region zunächst auf ihre Eignung untersucht. Auch viele andere außerordentliche Aufnahmezentren in Enna beherbergen daher im Moment weniger Bewohner*innen als ursprünglich in der Vereinbarung vorgesehen. Er erklärt mir, dass die geringere Anzahl an Bewohner*innen vor allem kleinere Zentren in finanzielle Schwierigkeiten bringt. Hinzu kommt die Tatsache, dass die täglich verfügbare Summe an Geld von 30 Euro in 2014 auf 27,50 Euro in 2015 gesunken ist, von denen 2,50 Euro Taschengeld abgezogen werden. Dieses wird für verschiedene Güter vertragsgebundener Geschäfte verwendet (Tabakläden und Supermärkte in der Gegend).
Die aktuell in der Unterkunft lebenden Asylsuchenden stammen aus dem Senegal, aus Gambia, Mali und Bangladesch. Sie alle haben eine Anhörung beim regionalen Ausschuss zwischen vergangenem Juli und September hinter sich und wurden abgelehnt. Lediglich einem von ihnen wurde aus gesundheitlichen Gründen humanitärer Schutz anerkannt. Alle anderen warten nun auf das Ergebnis ihres Einspruches. Nach einer Wartezeit von 16 bis 18 Monaten war es ein großer Schock für alle letztlich abgelehnt zu werden.
Das Aufnahme-Projekt wird weder von einer Genossenschaft noch von einem Verein geführt, sondern vielmehr von einer Kapitalgesellschaft, der sogenannten C.D.E., deren Akronym für Centro di distirbuzione elettrodomestici (Zentrum zur Verteilung von Haushaltsgeräten) steht und seit 1985 Trägerin des Hotels Morgantina ist. Schon seit einigen Jahren lief das Hotel als touristische Einrichtung nicht mehr gut, sodass es bereits 2011 während der großen nordafrikanischen Migrationswelle als Flüchtlingsunterkunft diente.
Das Team besteht aus einem Verantwortlichen (Sohn des Inhabers der Kapitalgesellschaft), einer Köchin und einem interkulturellen Mediator, der Pulaar, Fula, Mandinga und Französisch spricht. An diesem Punkt soll gesagt sein, dass auch der Mediator in der Küche mitarbeitet, um sicherzustellen, dass die Bewohner*innen mit dem Essen zufrieden sind, denn in der Vergangenheit hatte es viel Protest aufgrund des Essens gegeben. Der Leiter klärt uns auf, er habe schnell gemerkt, dass die Bewohner*innen wie zweijährige Kinder sind, weshalb er einige Regeln aufstellte, die nun jeder einzuhalten hat. Beispielsweise habe er vor kurzem herausgefunden, dass einige der Bewohner sich kleine Grillöfen gekauft hatten, um in ihren Zimmern kochen zu können. Er habe jedoch alles regeln können, denn dieses Verhalten stelle ganz klar ein Sicherheitsrisiko für das Gebäude dar. Nach seiner Aussage „Sie haben diese schlechte Angewohnheit immer nachts zu essen“ fragen wir ihn nach den Essenszeiten. Das Essen würde in der Mensa zur Selbstbedienung bereit stehen. Von 7 bis 8 Uhr gibt es Frühstück, von 12 bis 13 Uhr Mittagessen und von 18 bis 19 Uhr Abendessen. Wir fragen den Verantwortlichen daraufhin, ob dieses „Fehlverhalten“ nicht mit den eng bemessenen Essenszeiten zusammenhängt, doch das schließt er aus und meint, im Sommer werde das Abendessen ja auch um eine Stunde nach hinten verschoben.
Die Unterstützung bei der Antragstellung der Asylsuchenden übernimmt der Leiter selbst. Des Weiteren gibt es einen Anwalt, der sich bei einer Ablehnung humanitären Schutzes um die Beschwerdeführung kümmert. Anfangs arbeitete zusätzlich eine Psychologin im Team, die inzwischen jedoch nicht mehr dabei ist. Die Frage, ob derselbe Anwalt sich um die Informationsschreiben wie auch um die Vorbereitung der Anhörung kümmere, verneint der Leiter. Er fügt jedoch hinzu, dass die ehemalige Psychologin Jura studiert hat und den Bewohner*innen bereits bei ihrer Ankunft einige Informationen gab.
Im letzten März wurden die Italienisch-Sprachkurse abgeschafft, die meisten der Bewohner*innen besuchen jedoch Alphabetisierungskurse, die abends in der Mittelschule in Aidone stattfinden.
Die medizinische Grundversorgung ist durch zwei Allgemeinärzte gesichert, die sieben Tage die Woche arbeiten.
Am Ende des Gesprächs dürfen wir die Unterkunft besichtigen. Das Gebäude wirkt grundsätzlich einladend und sauber. Wir gehen durch einen Saal mit großem Fernseher und erreichen die Waschküche, in der die Bewohner*innen jeden Tag ihre Wäsche hinbringen, und wenn sie gewaschen wurde, wieder abholen können. Obwohl gerade erst eins vorbei ist, ist die Küche bereits geschlossen. Der Leiter erklärt uns, dass wer morgens auf den Feldern arbeiten das Essen später einnimmt. Wir fragen, ob wir eine solche Mahlzeit sehen können und kriegen einen einzigen Teller mit Nudeln und einem Hähnchenflügel in Brühe zu Gesicht. Auf den ersten Blick erscheint das nicht sehr schmackhaft und zudem wenig. Der Verantwortliche versichert uns jedoch, dass es mehr als genug sei, es handle sich schließlich um 150 Gramm Pasta und 200 Gramm Fleisch.
Daraufhin werden wir in zwei Zimmer geführt, in denen insgesamt 14 Bewohner*innen wohnen. Es gibt Doppel-, Dreier- und Vierer-Betten. Jedes Zimmer hat ein eigenes Bad. Die Zimmer sind wie auch die Gänge und Treppen anständig und sauber.
Bevor wir uns verabschieden, machen wir dem Leiter deutlich, dass wir das Hauptproblem für die Bewohner*innen der Einrichtung vor allem im Mangel an Vertrauenspersonen wie dem Rechtsberater, dem Italienischlehrer und der Psychologin sehen. Er entgegnet uns, dass es früher mehr Personal gab, das all diese Bereiche abdeckte, dass dies jedoch aufgrund der hohen Betriebskosten und der geringen Menge an zur Verfügung stehender Gelder heute nicht mehr möglich sei.
Als wir das Hotel verlassen möchten, erwarten uns am Ausgang bereits einige Bewohner*innen. Zunächst sind es nur wenige, gegen Ende hat sich jedoch eine große Gruppe um uns versammelt. Nachdem wir uns vorgestellt haben, fragen wir wie es ihnen geht: „here, nothing, nothing we don’t have anything“. Ein anderer ergreift das Wort und beginnt die Probleme aufzuzählen: “Problem number 1: Humanity. Here, there is no humanity. Problem number 2: Water and food. Problem number 3. Clothes.”
Wir bitten sie, uns Punkt für Punkt näher zu erläutern, die Antworten erklingen wie im Chor. Einer erzählt uns, dass es nur zwei Stunden am Tag warmes Wasser gibt, von 7 bis 8 Uhr in der früh und von 18 bis 19 Uhr abends (Anm. d. Red. die Zeiten, in denen es auch Essen gibt). Ein anderer zeigt uns wie dreckig er ist. Er kam unmittelbar von der Feldarbeit und muss nun bis 18 Uhr warten, bis er sich duschen kann. Manchmal, wenn sie sich nicht waschen können, gehen sie zum Sportplatz, um sich dort zu duschen. Der Trainer ist sehr nett und hilft ihnen wo er kann.
Was das Essen betrifft, so meinen sie, sei es nicht nur wenig, sondern auch von schlechter Qualität. Die Küchenmitarbeiter*innen, sagen sie, schaffen es sogar die Pasta schlecht zu machen. Auch wenn sie das Essen der Unterkunft zu sich nehmen, werden sie nicht satt davon, weil die Portionen zu klein sind, sodass sie gezwungen sind, ihr Taschengeld für Essen auszugeben. Das Wasser aus der Unterkunft stammt aus der Quelle des Ortes und ist oft nach 2-3 Tagen in Plastikflaschen nicht mehr gut, weshalb sie sich auch Wasser kaufen müssen. Sie haben bereits mehrere Male protestiert, doch das Ergebnis ist immer dasselbe: Sie werden gebeten zu gehen oder davor gewarnt weitere Probleme zu machen, da sie sonst die Unterkunft verlassen müssen. Einer sagt mir: „Wenn wir uns aufregen, sagen sie uns, dass wir weggehen sollen oder sie rufen die Polizei, um uns Angst zu machen. Auch gestern sind Carabinieri gekommen. Sie glauben, sie schüchtern uns damit ein, aber uns macht es nichts, wenn die Polizei hier her kommt. Wir wissen, dass wir kein Verbrechen begangen haben, wir kennen bloß unsere Rechte.“ Sie sagen uns außerdem, dass sie nie ein Kleidungsstück von der Unterkunft erhalten haben, auch nicht bei ihrer Ankunft. Alle Kleidungsstücke, die sie tragen, hätten sie sich von ihrem eigenen Geld am Wochenmarkt oder in den Geschäften an der Piazza Armerina gekauft. Auch Einwohner*innen von Aidone hätten ihnen welche geschenkt. „Mit welchem Geld kauft ihr eure Kleidung?“. „Mit dem was wir mit unserer Arbeit auf dem Feld verdienen.“, antworten sie uns.
Die Migrant*innen arbeiten 6 bis 8 Stunden für einen Lohn von 15 bis 20 Euro. Sie arbeiten nur 3 bis 4 Tage im Monat. Diese Arbeitstage sind sehr wichtig, denn nur so können sie das Geld verdienen, das sie unter anderem für Dokumente und Medizin benötigen, denn auch das müssen sie aus eigener Tasche bezahlen. Wir fragen, ob sie einen Ausweis haben. Sie bejahen und nennen uns zudem den Preis, den sie dafür bezahlt haben und den hier alle kennen: 12 Euro und 15 Cent. Auch die Fotos für ihre Ausweise mussten sie selbst zahlen: 5 Euro das Stück.
Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Schwarzarbeit durch die Leitung einer Flüchtlingsunterkunft nicht nur akzeptiert, sondern auch von derselben unterstützt wird, denn um Kosten zu sparen, werden die geplanten Ausgaben für die verschiedenen Leistungen direkt von den Bewohner*innen verlangt. Diese sind daher gezwungen die Beträge direkt von ihrem selbstverdienten und hart erarbeiteten Geld von den ausbeuterischen Landarbeitsbetrieben zu bezahlen.
Kommen wir nun zu der medizinischen Versorgung. Sie sagen uns, dass es nicht hilft, einen Arzt zu haben, denn selbst wenn sie Termine bekommen, werden sie von niemandem begleitet (wenn überhaupt, dann nur sehr selten und nach langen Wartezeiten und Konfrontationen). Auch wenn sie Arzneimittel brauchen, so müssen sie diese von ihrem eigenen Geld bezahlen. „Erst heute habe ich mir wieder etwas kaufen müssen, aber hier gibt es nicht einmal das, es gibt einfach nichts hier.“, erzählt uns einer von ihnen.
Ein anderer erklärt uns, dass er mit der Präfektur reden möchte, um über die Verhältnisse im Zentrum zu erzählen und vor allem, um zu verstehen, wie es möglich ist, dass sie alle eine Ablehnung erhalten haben. Nach zwei Jahren Wartezeit hatte niemand damit gerechnet. Keiner von ihnen erhielt zudem Unterstützung im Vorfeld der Anhörung. Diejenigen, die bestimmte Dokumente vorzeigen wollten, konnten dies oftmals nicht tun, da der Leiter sie verwahrte. Auch in diesem Fall musste die Polizei einschreiten.
Einige verzichteten sogar auf den im Zentrum arbeitenden Rechtsanwalt, der sie bei der Anhörung unterstützen sollte, und entschieden sich für einen Auswärtigen. Alle haben nun Angst davor erneut auf Dokumente warten zu müssen. Es ist vor allem die Ungewissheit nicht zu wissen, ob sie überhaupt bleiben können, die es ihnen so schwer macht. Am Schluss fragen wir sie, inwieweit sie sich wohlfühlen in Aidone. Sie versichern uns, keiner würde ihnen in der Stadt Probleme machen. Die Leute seien generell nett zu ihnen und manch einer schenke ihnen auch etwas. An manchen Abenden gehen sie aus, müssen jedoch um 22 Uhr, zur Schließung des Zentrums, wieder zuhause sein.
Unser Treffen neigt sich dem Ende zu und einer sagt mir: „Wenn du nicht glaubst, was wir dir sagen, frage andere nach unserer Situation. Alle wissen hier, wie schlecht es uns geht. Es ist einfach alles schlecht hier, vom Essen bis hin zum menschlichen Umgang. Die Situation in diesem Zentrum lässt sich nur so beschreiben: Null, nichts.“
Giovanna Vaccaro
Borderline Sicilia Onlus
Aus dem Italienischen von Marlene Berninger