Zarzis, Tunesien: Fischer protestieren gegen die libysche Küstenwache

Artikel vom 14. September 2021

Globalproject.info – Seit einer Woche wird der Fischereihafen der Küstenstadt Zarzis (in einem an Libyen angrenzenden Regierungsbezirk im Süd-Osten Tunesiens) von Fischern aus dem Verein Zarzis le Pêcheur – Al Bahar blockiert, die damit einen dringenden Hilferuf an die tunesischen Behörden richten.

Wie es in einer Mitteilung heißt, fordern die Kleinfischer die Behörden zu Schutz- und Hilfsmaßnahmen gegen Zwischenfälle auf, die sie als Piraterie der [sogenannten] libyschen Küstenwache in Territorialgewässern und der tunesischen Search and Rescue Zone (SAR) bezeichnen.

Die Fischer aus Zarzis sind in den internationalen Gewässern zwischen Italien, Tunesien und Libyen tätig. Seit den Revolutionen von 2011 retten sie Migrant*innen aus Seenot, die auf überfüllten und maroden Booten die libysche Küste verlassen. Die zu Erpressungszwecken erfolgende Entführung tunesischer (und anderer) Fischer durch bewaffnete Gruppierungen libyscher Herkunft ist also kein neues Phänomen. Allerdings haben sich diese bewaffneten Überfälle, Beschlagnahmungen von Booten und Lösegeldforderungen in letzter Zeit gehäuft.

Seit diesem Sommer verkehrt die [sogenannte] libysche Küstenwache – den Fischern aus Zarzis zufolge namentlich die aus Sawija – verstärkt in der tunesischen SAR-Zone sowie in tunesischen Territorialgewässern, um Migrant*innen abzufangen und nach Libyen zurückzubringen, wie es das entsprechende Abkommen mit Italien und der EU vorsieht. Auch in nördlicher gelegenen Bereichen des tunesischen Territoriums, nahe der Stadt Mahdia, wurden Boote der libyschen Küstenwache gesichtet.

Infolge derartiger Provokationen scheuen die Fischer zunehmend davor zurück, in Seenot geratene Boote zu melden, da sie Angst haben, selbst von der sogenannten libyschen Küstenwache entführt zu werden. Daher bitten sie NGOs um Hilfe bei der Seenotrettung auf dem Mittelmeer und fordern Schutz durch den tunesischen Staat. Im Folgenden veröffentlichen wir die Mitteilung des Vereins Zarzis Le Pêcheur – Al Bahar, die Issameddinn Gammoudi und Valentina Zagaria ins Italienische übertragen haben:

Fischer aus Zarzis: Fischereisektor wegen ungerechter internationaler Abkommen und fehlender nationaler Politik kurz vor dem Aus

Die Fischer von Zarzis leiden nicht nur unter der unangemessenen Infrastruktur der tunesischen Häfen, fehlenden Hilfeleistungen, den Auswirkungen der politischen Situation in Nachbarländern sowie der Umweltverschmutzung und ihrer Konsequenzen für das Leben im Meer, sondern auch unter den jüngsten Vorfällen von Piraterie und Bedrohung innerhalb der territorialen Gewässer durch bewaffnete, angeblich der [sogenannten] libyschen Küstenwache zugehörige Männer. Derartige Vorfälle häufen sich zur Zeit und reichen teilweise bis zur Entführung von Personen, illegalen Beschlagnahmung von Booten und Erpressung von Lösegeldern.

Als Verein zur Verteidigung der rechtmäßigen und gemeinsamen Interessen professionell arbeitender Fischer rufen wir die Behörden unter Führung der Präsidentschaft der Republik dazu auf, umgehend einzugreifen und diese Krise zu lösen, die nicht nur den Fortbestand der Fischerei bedroht, sondern sich zu einer Verletzung der nationalen Souveränität ausgewachsen hat:

– Wir sehen die Verantwortung für die katastrophale Situation, die durch das Abkommen zwischen Europäischer Union, Malta, Tunesien und Libyen entstanden ist, in den Strukturen des tunesischen Landwirtschaftsministeriums, des Verteidigungsministeriums und des Regierungsvorstandes. Ferner halten wir dieses Abkommen selbst für eine Verletzung der nationalen Souveränität des tunesischen Staates auf seinen maritimen Gebieten und beklagen, dass es die tunesischen Fischer, im Gegensatz zu ihren Kollegen aus den Nachbarländern, auf ungerechte Weise einschränkt.

– Wir fordern die tunesische Marine und die tunesische Küstenwache dazu auf, ihre schützende Funktion gegenüber den tunesischen Fischerbooten wahrzunehmen, die auch innerhalb der Territorialgewässer von vermeintlichen Mitgliedern der libyschen Küstenwache angegriffen worden sind.

– Wir geben den staatlichen Strukturen, die für die Kontrolle verbotener und willkürlicher Fischerei zuständig sind, die Schuld an den stark reduzierten Erträgen und fordern für die tunesischen Fischer im Südosten des Landes ihr Recht auf ein würdevolles Leben ein.

– Wir fordern die betreffenden Behörden zu einem sofortigen Eingriff auf, um den tunesischen Schiffen und Seeleuten auf tunesischen Gewässern endlich den Schutz zu gewähren, der eigentlich zu den grundlegendsten Anliegen staatlicher Behörden auf eigenem Territorium gehören sollte.

Zu all diesen Umständen kommen die globale Krise und ihre Konsequenzen noch hinzu. Sie haben zur Verschlechterung des Fischereibetriebs in der Region geführt und zwingen uns zu diesem Hilferuf, mit dem wir uns für die Nachhaltigkeit des Sektors in Zarzis und im gesamten Süd-Osten des Landes einsetzen.

 

Verein für Entwicklung und Umwelt Zarzis Le Pêcheur – Al Bahar  

Slaheddine Mcharek, Vorsitzender

 

Aus dem Italienischen von Laura Strack