Von Libyen nach Mineo, die Verhandlungen zwischen Italien und dem Boss
Avvenire.it – Als der Minibus mit getönten Scheiben in Cara di Mineo einfährt, kennen nur wenige die Zusammensetzung der mysteriösen Delegation aus Tripolis. Es ist der 11. Mai 2017. Italien verhandelt mit den libyschen Behörden, um die Ausreise von Geflüchteten und Migrant*innen zu unterbinden. Heute wissen wir, dass an diesem Tag auch Abd al-Rahman al-Milad, der berüchtigte Bija, an dem Treffen teilnahm ohne jedoch in den Einlassunterlagen erwähnt zu werden.
Die zahlreichen Bilder, die Avvenire von einer offiziellen Quelle erhielt, dokumentieren diesen geheimgehaltenen Morgen. Von der UNO beschuldigt, einer der abscheulichsten Menschenhändler in Libyen zu sein, ein Herr über Leben und Tod in den Gefangenenlagern, verantwortlich für Schießereien auf hoher See und verdächtigt Dutzende von Menschen ertränkt zu haben. Er steht an der Spitze einer wahren Mafia-Kuppel, die in allen politischen und wirtschaftlichen Bereichen des Zawyah-Gebiets vertreten ist. Trotzdem erhielt er einen Passierschein für die Einreise in unser Land um, in Begleitung der italienischen Behörden, das „Mineo-Modell“ zu analysieren, das in diesen Jahren von über 30.000 Migrant*innen passiert wurde. Unaussprechliche Vereinbarungen, die trotz wiederholter Beschwerden der Vereinten Nationen bis heute andauern.
An dem Treffen nahmen auch nordafrikanische Delegierte einiger internationaler humanitärer Organisationen teil, die wahrscheinlich nicht wussten, dass sie neben einem Kriegsherrn saßen, der an den schlimmsten Menschenrechtsverletzungen beteiligt ist. Es wird kein Zufall sein, dass die Vereinten Nationen wenige Tage später in einem sehr strengen Bericht des Sicherheitsrates denunzierten: „Abd al-Rahman Milad (alias Bija) und andere Mitglieder der Küstenwache sind direkt in die Havarie von Migrant*innenbooten involviert durch den Gebrauch von Schusswaffen“. Das Einfrieren von Vermögenswerten und das Verbot der Ausreise von Bija außerhalb Libyens wurden darin beantragt. In dem Dossier wird sein Name sechsmal erwähnt: „Er ist der Leiter der Zawiyah-Abteilung der Küstenwache. Er erhielt diese Position dank der Unterstützung von Mohammad Koshlaf und Walid Koshlaf“. Diese waren verantwortlich für die „Petroleum Facilities Guard“, sie kontrollierten die örtliche Raffinerie mit einer Miliz von mindestens zweitausend Mann.
Es scheint unmöglich, dass die italienischen Behörden nicht wussten, wer der Mann war, der am Tisch dieser sonderbaren Konferenz saß.
Einige Monate vor seiner Ankunft in Italien war Bija bereits im Fadenkreuz zahlreicher journalistischer und internationaler Ermittlungen. Am 14. Februar 2017 veröffentlichte die Times ein Video, in dem ein Mann in Tarnkleidung eine Gruppe von Migrant*innen auf einem Schlauchboot wild verprügelt. Von hinten schießend erscheint ein Milizsoldat mit einer Behinderung in der rechten Hand: Genau wie Bija, der während der Kämpfe gegen Gaddafi 2011 einige Finger verloren hat. Am 20. Februar veröffentlichte die italienische Journalistin Nancy Porsia einen ausführlichen Bericht in englischer Sprache für Trt World, als Fortsetzung einer Untersuchung, die bereits am 6. Januar in italienischer Sprache bei The Post Internazionale erschien, in der sie erklärte: „Bija arbeitet unter dem Schutz von Al Qasseb, dem Kriegsnamen von Mohamed Khushlaf, der die Sicherheitsabteilung der Raffinerie in Zawiyah leitet. Unterstützt von seinem Cousin und Anwalt Walid Khushlaf übt Al Qasseb die totale Kontrolle über die Raffinerie und den Hafen von Zawiyah aus. Die Khushlaf-Cousins gehören ebenso wie Al Bija zum mächtigen Stamm der Abu Hamyra“. In der Folge wird es Artikel im Il Messaggero, Il Mattino, la Repubblica und l’Espresso geben. Im Jahr zuvor, 2016, hatten auch Panorama und Il Giornale Abdou Rahman als einen Schlüsselmann des Menschenhandels bezeichnet. Zahlreich und seit Jahren ununterbrochen sind die Untersuchungen von Francesca Mannocchi für den Espresso und verschiedene andere Medien, von Sergio Scandura für Radio Radicale sowie von einigen der weltweit führenden Zeitungen.
Trotz der Fülle an Informationen, wird Bija nach Italien begleitet und als „einer der Kommandeure der libyschen Küstenwache“ vorgestellt, heißt es in einer offiziellen Quelle, die beim Treffen in Mineo anwesend war. An diesem Tag passiert jedoch etwas Unerwartetes. Ein libyscher Migrant, der im Aufnahmezentrum untergebracht ist, landet irrtümlicherweise in der Nähe des Fertigbaus, in dem Bija sowie einige Delegierte des Premierministers Serraj und des Innenministeriums von Tripolis erwartet werden. Als die Libyer*innen (mindestens sechs) aus dem Minibus eines Tourismusunternehmens der Provinz Catania aussteigen, zieht der Migrant erschrocken davon: „Mafia Libyen, Mafia Libyen“, sagt er auf Italienisch.
Die Bilder, die wir heute nur in Teilen veröffentlichen um die Identität diverser in verschiedenen Funktionen beim Treffen anwesender italienischer Beamt*innen zu schützen, zeigen Abdou Rahman, der neben zwei seiner Landsleute sitzt, einem Mann und einer Frau. Er hört zu, ohne ein Wort zu sagen. Er nimmt das Gesagte zur Kenntnis und weist gelegentlich den Abgesandten des Innenministers der anerkannten Regierung darauf hin, einzugreifen. Die Libyer*innen stellen präzise Fragen: „Wie viel zahlt die italienische Regierung, um jede*n Migrant*in hier aufzunehmen? Wie viel kostet das Aufnahmezentrum von Mineo jährlich?“. Dann, so die Quelle von Avvenire, wird – auf nicht allzu diplomatische Weise – klargestellt, dass schließlich das „Mineo-Modell“ nach Libyen exportiert werden könne und Italien den Bau von Einrichtungen für Migrant*innen im ganzen Land finanzieren könne, um Geld zu sparen und Probleme zu lösen.“ Bald darauf beginnt die Blockade von NGOs und es werden Interventionen Italiens und Europas angekündigt, um Sammellager im nordafrikanischen Land zu eröffnen.
Tatsächlich erklärte Auslandsreporter Amedeo Ricucci des italienischen Nachrichtenprogramms Tg1 während einer Sondersendung, nachdem er persönlich nach Zawyah gefahren war, um Bija kurz nach der Reise nach Sizilien zu interviewen: „Es ist, als würden sie Wachen und Diebe spielen, aber auf libysche Weise: in abwechselnden Rollen, die der Bequemlichkeit entsprechend ständig vertauscht werden“.
Die Verhandlungen müssen den Menschenhändlern zugute gekommen sein, da Bija noch im Dienst ist. Und selbst die sich ablösenden Regierungen haben die Aktivitäten libyscher Chefs weiterhin indirekt, aber wissentlich unterstützt. Wie im UN-Bericht zu lesen ist, haben mehrere Zeug*innen bei strafrechtlichen Ermittlungen erklärt, „dass sie von bewaffneten Männern auf einem Küstenwachschiff namens Tallil (das von Bija genutzt wird, Anm. des Autors) vom Meer geholt und in die Haftanstalt von al-Nasr gebracht wurden, wo sie Berichten zufolge unter brutalen Bedingungen inhaftiert und gefoltert wurden“.
Diese Informationen haben erst in den letzten Tagen eine unerwartete Resonanz erhalten. Während die Ermittler*innen aus Agrigento und Palermo Untersuchungen zur Verhaftung der drei mutmaßlichen Folterer durchführten, die unter den Migrant*innen des Hotspots von Messina getarnt waren, berichteten einige der Opfer, dass die Entscheidung, wer auf die Schlauchboote steigen soll, „ein libyscher Mann fällte, vielleicht mit dem Namen „Bingi“ (phonetisch), dem zwei Finger der rechten Hand fehlten“. Einem anderen Migranten zufolge erhielt der Mann den Spitznamen „Bengi“ und „kümmerte sich darum, Migrant*innen an den Strand zu bringen; es war er, der am Ende entschied, wer auf die Boote musste; er war ein gewalttätiger Mann und war bewaffnet; wir haben ihn alle gefürchtet. “ Auf die Frage, ob er jemals seinen richtigen Namen gehört habe, antwortete der Migrant mit Sicherheit: „Sie nannten ihn Abdou Rahman“.
Nello Scavo
Übersetzt von Francesca Barp