Borderline Sicilia ONLUS

Von einer Haft zur nächsten. Die rechtswidrige Freiheitsentziehung der Migrant*innen der Sea-Watch im Hotspot von Messina

Pressemitteilung – Die Personen, die am 29. Juni in Lampedusa an Land durften, nachdem sie 17 Tage auf See an Bord der „Sea Watch 3“ warten mussten, befinden sich derzeit in einem Hotspot in Messina, wo sie zu Unrecht festgehalten werden.

Dieser Zustand erscheint denkwürdig, als dass er die grundsätzliche Frage aufwirft, was passiert, nachdem Schiffe an Land gehen. Nachdem ein Schiff gelandet ist beginnt im Wesentlichen eine Phase der Unsichtbarkeit. In dieser Phase kommt es häufig zu Menschenrechtsverstößen bei den Mitbürger*innen ausländischer Herkunft, angefangen bei der persönlichen Freiheit und beim Asylrecht. Beides Grundrechte, die Verfassungsrang haben.

Nachdem also die ausländischen Mitbürger*innen endlich in Lampedusa angekommen waren, sind sie in den Hotspot von Contrada Imbriacola gebracht worden. Dort wurden sie einer Identifizierung unterzogen und waren Gegenstand einem speziellen und undurchsichtigen Entzug ihrer persönlichen Fortbewegungsfreiheit. Dies nahm erst am 4. Juli 2019 sein Ende. Die Tore des Hotspots sind nämlich dauerhaft geschlossen und bewacht, ohne dass ein Regolatorium vorhanden wäre, dass festlegt ob und wann die Migrant*innen das Gelände verlassen dürfen. Wenn die Migrant*innen Polizei und Militär darum bitten, das Gelände zu verlassen, wird ihnen deutlich gesagt, dass der Ausgang nicht möglich sei. Trotzdem gelingt es manchen, aus Löchern im Zaun herauszukommen. Diese Praxis ist den Einsatzkräften bekannt und wird von ihnen geduldet.

Insofern ist klar, dass wenn die ausländischen Mitbürger*innen keine Regeln verletzen wollen, die dem Hotspot inne zu wohnen scheint, oder aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage sind, den Zaun zu überwinden, sie in ihrer Bewegungsfreiheit gänzlich eingeschränkt sind. Nachdem die Migrant*innen in Lampedusa waren, sind sie im Hotspot von Messina gelandet, wo sie sich bis heute befinden und von wo sie bis heute nicht gehen dürfen. Seit ihrer Ankunft in Italien vor 11 Tagen befinden sie sich in einem Zustand der willkürlichen Freiheitsentziehung, nachdem sie bereits 17 Tage auf dem Meer verharren mussten, bis das Schiff die Einfuhrgenehmigung erhalten hatte.

Um diese Situation einer juristischen Würdigung zu unterziehen, muss zunächst einmal festgestellt werden, dass Personen, die internationalen Schutz suchen oder solche, für die es eine Ausreiseverpflichtung mangels Anerkennung eines Aufenthaltsrechts gibt, nicht ohne Grund festgehalten werden dürfen. Dies gilt auch für Hotspots. Das viel diskutierte Gesetz 132/2018, führt zum ersten Mal Regeln für das Festhalten von ausländischen Personen in Hotspots ein. Die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes ist zu bezweifeln. Es sieht unter anderem vor, dass Asylbewerber zwecks Identifizierung oder zur Ermittlung der Staatsbürgerschafts festgehalten werden dürfen. Auch solchen, denen gegenüber keine Aufenthaltsgenehmigung erlassen wurde, können festgehalten werden, wenn keine Kapazitäten mehr in den Rückführungszentren bestehen. Nichtsdestotrotz setzen diese beide Optionen voraus, dass eine behördliche Anordnung existiert, die gerichtlich überprüft wurde, mittels derer eine Festnahme ermöglicht wird. Im Fall der Menschen, die mit der Sea-Watch an Land gekommen sind, aber auch in vielen anderen Fällen, beschränken sich die Behörden darauf, ohne Weiteres die Festnahme durchzuführen. Sie entziehen ihnen die Freiheit, ohne dass sie jemals die Gelegenheit hatten, eine behördliche Anordnung zu sehen oder ein Gericht anzurufen, um die Rechtmäßigkeit ihrer Festnahme zu überprüfen.

Es ist an dieser Stelle nochmal erinnerungswürdig, dass jegliche Art der Freiheitsberaubung die nicht explizit vom Gesetz vorgesehen ist, durch gerichtlichen Befehl oder behördliche Anordnung vorgeschrieben und durch die Gerichte innerhalb von 48 Stunden bestätigt wird, eine Verletzung der Unantastbarkeit der persönlichen Freiheit darstellt, das durch Artikel 13 in der Verfassung geschützt wird.

Trotz ihrer augenscheinlichen Rechtswidrigkeit wird diese Form der Freiheitsberaubung von allen Handelnden akzeptiert, Private und öffentliche Hand, die in der Verwaltung von Migrationsprozessen involviert sind. Die Polizei, die Beschäftigten von Schutzeinrichtungen und die Funktionäre der europäischen Agenturen tragen ihren Teil dazu bei, diese freiheitsentziehenden Praktiken aufrechtzuerhalten. Die Fortführung solchen Handelns hat zur Folge, dass in den Augen vieler Hotspots grundsätzlich für Haftanstalten gehalten werden.

Diese Art der Freiheitsentziehung, die an sich schon schwer wiegt, gesetzeswidrig ist und einzustellen und zu ahnden wäre, nimmt bei den Geflüchteten von der „Sea-Watch 3“ groteske Züge an. Diese willkürliche Freiheitsentziehung wird Menschen 11 Tage lang auferlegt, die bereits 17 Tage lang in sehr prekären materiellen Umständen ihre Freiheit dadurch beschränkt sehen mussten, dass sie das Deck eines Schiffes nicht verlassen durften.

Was wir vor Augen haben ist ein sehr spezieller Fall. Er betrifft einzelne ausländische Mitbürger*innen, jede*r mit seiner*ihrer eigenen Biografie, eigenen Wünschen und Bedürfnissen. Gleichzeitig fügt sich dieser Vorgang allgemeiner gesprochen mühelos in die Politik der Hotspots ein. Die Freiheitsentziehung, der diese Menschen unterzogen werden, ist in den letzten drei Jahren an verschiedenen Orten und Zeiten zu beobachten gewesen und ist durch eine Kontinuität gekennzeichnet.

Juristisch betrachtet und in ihrer Gesamtheit gesehen nimmt dieser Zustand beunruhigende Züge an. Es handelt sich in jeglicher Hinsicht um Willkür in geballter Form. Die Behörden halten eine soziale Gruppe mit spezifischen Eigenschaften jenseits geltender Gesetze fest. Eine derart vehemente Verletzung der Freiheitsrechte kann nicht anders als die Zivilgesellschaft und ihre Organisationen beschäftigen. Es ist Handeln angesagt, seitens der Zivilgesellschaft und seitens der Justiz.

Wir können versuchen uns vorzustellen, welche Gefühle diejenigen begleiten, die sich in diesen Tagen in Haft befinden. Es erscheint wahrscheinlich, dass der Aufenthalt im Hotspot von Messina geprägt ist von Unsicherheit, Angst, Verlorensein. Auch diejenigen, die, wie wir, diese Situation von außen betrachten, werden von einem tiefen Gefühl der Sorge ergriffen. Dieses willkürliche Handeln ist ein wichtiger Indikator für eine Welle der autoritären Rechtsbrüche, die unser Land durchquert. Die Rechte, die ausländischen Mitbürgern zugestanden werden, sind auch in diesem Fall der Lackmustest für die Rechte von Inländern.

Die Unterzeichner*innen halten es in Anbetracht solcher groben Verstöße für inakzeptabel, dass die Freiheitsrechte aller jederzeit durch diese Formen des Freiheitsentzugs verletzt werden können, ohne dass sie aufgrund ihrer verfassungsmäßigen Niederschrift sowie aufgrund von internationalen Grundfreiheiten eingestellt werden. In einem Rechtsstaat stellt ein solches Vorgehen außerhalb des Gesetzes und ohne gerichtliche Kontrolle eine schwerwiegende Verletzung dar.

  • Wir fordern daher die zuständigen Behörden auf, die sofortige Freilassung der unrechtmäßig inhaftierten ausländischen Mitbürger*innen, die sich derzeit im Hotspot in Messina befinden, zu veranlassen;Wir fordern daher die zuständigen Behörden auf, die sofortige Freilassung der unrechtmäßig inhaftierten ausländischen Mitbürger*innen, die sich derzeit im Hotspot in Messina befinden, zu veranlassen;
  • Wir fordern Informationen darüber, auf welcher juristischen Grundlage die ausländischen Mitbürger*innen in Messina festgehalten werden. Sie müssen klar und transparent der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden;
  • Wir fordern, dass der Nationale Beauftragte für Inhaftierte und der Freiheit beraubte Personen Ermittlungen zu den Umständen aufnimmt, unter denen diese Personen illegal in Lampedusa und Messina festgehalten werden, diese Zentren besichtigt und das Innenministerium, das Parlament und die Öffentlichkeit informiert.  Associazione per gli studi giuridici per l’immigrazione (ASGI)

ActionAid

Borderline Sicilia

IndieWatch

Medici per i Diritti Umani – MEDU 

Sea-Watch

Zur Unterzeichnung und für weitere Informationen:
inlimine@asgi.it;  +39 3894988460

 

Übersetzung aus dem Italienischen von Alma Freialdenhoven