Sea Watch 3: Erwachsene und Minderjährige werden zu Geiseln gesetzeswidriger politischer Entscheidungen – wir erstatten Anzeige bei der Staatsanwaltschaft von Syrakus
Am 30. Januar 2019 haben die Vereine Borderline Sicilia Onlus, Rete Antirazzista Catanese Onlus (Antirassistisches Netzwerk Catania) und Pax Christi Punto Pace Catania die Vorfälle auf der Sea Watch 3 angezeigt mit der Bitte an die Gerichtsbehörde, eventuelle Straftatbestände von Seiten der italienischen Behörden zu überprüfen. Im Besonderen geht es um mangelnde Hinweisung eines Landehafens, um das Zutrittsverbot auf das Hafengelände und das Festhalten von 47 Menschen in Seenot. Letzteres hat den gesetzlich erlaubten Zeitraum überschritten und die Betroffenen bedenklichen hygienisch-sanitären Umständen, sowie psychisch-physischen Unannehmlichkeiten ausgesetzt.
Über vier Tage nachdem Vereinigungen die italienische Regierung gewarnt haben liegt die Sea Watch 3 noch immer vor der Küste von Syrakus vor Anker. Auch die Nachfragen der Staatsanwaltschaft für Minderjährige, der beiden nationalen Anwaltschaften sowie der wichtigsten Büros der Vereinten Nationen konnten daran nichts ändern. Zeitgleich melden die aktuellsten Nachrichten, dass die italienische Regierung die Geflüchteten von Bord lassen würde, sobald die Staaten Deutschland, Frankreich, Portugal, Rumänien, Malta und Luxemburg einem Umverteilungsabkommen zustimmen würden. Der Ausgang der Sea Watch-Affäre zeigt, dass die Regierung die Menschen nicht aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit von den italienischen Häfen fern hält. Ihre Motive sind einzig an die Berechnung geknüpft, den Vorfall politisch zu instrumentalisieren. Das Gesetz und die Rechte der Migrant*innen werden dabei offenkundig verletzt.
In den Stunden nachdem die Sea Watch 3 vor Anker gelaufen ist, haben ihr die italienischen Behörden den Zugang zum nahen Hafen von Augusta willkürlich verweigert. Damit haben sie gegen die internationale Pflicht der Erstrettung verstoßen. Und das bei einem Schiff, das sich bis heute in ernsten Sicherheitsschwierigkeiten befindet, wenn man die sanitären Bedingungen an Bord sowie das psychisch-physische Leid der Menschen in Seenot bedenkt. Unter ihnen befinden sich zahlreiche Minderjährige, acht von ihnen sind unbegleitet, und Opfer von Folter und unmenschlicher und entwürdigender Behandlung. Die Folter haben sie sowohl in ihren Herkunftsländern als auch in Haftzentren in Libyen erfahren, aus denen sie geflohen sind.
Die fehlenden Anweisungen eines Landehafens und das Anlegeverbot in den Nachbar-Häfen Augusta und Syrakus, das laut der Crew der Sea Watch 3 ohne Begründung von der italienischen Hafenbehörde angeordnet wurde, könnte eine unterlassene Amtshandlung darstellen. Möglicherweise handelt es sich sogar um eine schwerwiegende Unterlassung von Rettungsmaßnahmen, da sich das betroffene Schiff in einer sogenannten „distress“ Situation befindet. Das heißt, dass eine Person an Bord oder ein Schiff von ernsthafter Gefahr bedroht sind und unmittelbare Hilfe benötigen. (SAR Konvention 1979, Annex, Kapitel 1, Paragraph 1.3.11.)
Die Passagiere werden gezwungen an Bord der Sea Watch 3 zu bleiben, das scheint eine deutliche Verletzung von Art. 13 der italienischen Verfassung zu sein. Dieser Artikel schützt den Grundwert der persönlichen Freiheit. Den Sicherheitsbehörden ist es nur im Notfall und unter äußerster Dringlichkeit, nach strikten Gesetzesvorgaben, erlaubt, dieses Grundrecht einzuschränken. Und selbst in diesem Fall muss die Angelegenheit binnen 48 Stunden den Gerichtsbehörden vorgelegt werden, ansonsten ist die Ausnahme nichtig und ohne Effekt.
In Anbetracht dieser Nichtbeachtung der staatlichen sowie internationalen Rechte und Pflichten erscheint das Fehlen einer solchen formalen, administrativen Anordnung noch schwerwiegender, welche auf das Bestehen einer potenzieller Bedrohung des öffentlichen Interesses hinweist durch die Anlandung des Schiffs und das darauffolgende Ankommen der transportierten Schiffsbrüchigen.
Noch bedenklicher und gesetzlich relevant scheinen die Rechtsverletzungen wenn man bedenkt, dass sich an Bord 13 unbegleitete Minderjährige befinden. Deren psychisch-physischer Schutz ist von “oberstem Interesse” und von der Kinderrechtskonvention, die Italien ratifiziert hat, vorgeschrieben. Diese fundamentalen Grundrechte für Menschen mit besonderem Schutzbedürfnis dürfen keinesfalls aus politischen Gründen außer Acht gelassen werden.
Peppe Platania
Borderline Sicilia
Rete Antirazzista Catanese
Pax Christi Punto Pace Catania
Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner