Schwimmende Abschiebezentren (CIE): Nach Eintreffen des Berichtes wurde eine Untersuchung eingeleitet
Die Staatsanwaltschaft Palermo hat eine Untersuchung bezüglich der sogenannten „schwimmenden CIE“ eingeleitet, d.h. der beiden Schiffe, die noch immer im Hafen von Palermo liegen. An Bord dieser Schiffe werden seit Wochen circa 300 Tunesier illegal festgehalten. Die Entscheidung des leitenden Staatsanwaltes Leonardo Agueci, der die Ermittlungen koordiniert, wurde bekannt gegeben, nachdem am heutigen Vormittag Verteter der antirassistischen Bewegung Palermos ihren Bericht vorgestellt haben. Unter den Unterzeichnern der Anklage sind Prof. Fulvio Vassallo Paleologo (Jurist und Mitglied des Asgi), Judith Gleitze von Boderline Sicilia, die in den letzten Monaten die Situation auf Lampedusa fortlaufend beobachtet hat sowie Pietro Milazzo (Gewerkschaft CGIL Sizilien) und Anna Bucca (Arci).
Der Bericht weist darauf hin, dass die Tunesier, die ohne richterlichen Beschluss und ohne die Möglichkeit Berufung einzulegen auf den Schiffen festgehalten werden, illegal ihrer Freiheit beraubt worden sind. Nachdem gestern von den Abgeordneten Alessandra Siragusa (Pd) und Pino Appredni (Regionaler Abgeordneter der Demokraten) nach einem Besuch der Schiffe am Rand einer Demonstration der antirassistischen Bewegung von Palermo die Anwesenheit sechs Minderjähriger und einer Schwangeren an Bord angeprangert haben, fordert der Bericht, deren Situation umgehend zu überprüfen.
Im Folgenden ein Auszug des Berichtes, in dem auch Aufklärung bezüglich der Misshandlungen eines kanadischen Aktivisten und eines tunesischen Migranten, der noch im Krankenhaus von Palermo im Koma liegt, gefordert wird.
Auszug des Berichtes an die Staatsanwaltschaft Palermo bezüglich der Übergriffe gegen Tunesier, die auf den “schwimmenden Cie” festgehalten werden:
“Die Staatsanwaltschaft Palermo wird aufgefordert, die dargelegten Geschehnisse zu überprüfen und festzustellen, ob es sich hierbei um strafrechtlich relevante Vorkommnisse handelt; insbesondere, ob sich die an Bord der drei Schiffe AUDACIA, MOBY FANTASY und MOBY VINCENT festgehaltenen ausländischen Bürger in einem Zustand der gesetzeswidrigen Freiheitsbeschränkung befunden haben bzw. befinden; ob die Voraussetzungen für den Verdacht auf den Straftatbestand der Nötigung bestehen; ob den ausländischen Bürgern gegenüber administrative Maßnahmen getroffen und bekannt gemacht wurden, die diesen Freiheitsentzug durch die Polizeibehörden rechtfertigen und ob diese Maßnahmen rechtzeitig der richterlichen Prüfung im Sinne der geltenden internen und europäischen Normen unterzogen wurden; ob in Bezug auf die Daten der genannten Maßnahmen unter besonderer Beachtung des Zeitpunktes des Erlasses und Bekanntgabe derselben, der Verdacht auf eine Straftat im Sinne des Art. 476 des Strafgesetzbuches, d.h. auf materielle Fälschung in öffentlichen Urkunden durch Amtsträger besteht; ob im Zusammenhang mit Vorgehensweisen, die in offenem Widerspruch zur Ausübung des Rechtes auf Verteidigung, welches beschränkt bzw. komplett negiert wurde, Verdacht auf Straftaten besteht; ob Verdacht auf Straftaten hinsichtlich des gesetzeswidrigen Freiheitsentzuges Minderjähriger besteht, wobei Unklarheiten hinsichtlich der Frage bestehen, ob diese begleitet oder unbegleitet sind; ob Verdacht auf Straftaten im Zusammenhang mit den Schlägen besteht, die sowohl der ausländische Bürger Naji Hsen, der noch im Krankenhaus Palermo behandelt wird, als auch der Sozialarbeiter Alexander Georges von Unbekannten auf Lampedusa in den Tagen, die auf den Brand in der Contrada Imbriacola folgten, erhalten haben.
(Auf der Facebook-Seite des Juristen Vassallo Paleologo kann man den vollständigen Text des Berichtes downloaden und auf ähnliche Situationen in anderen Teilen Italiens anwenden.)
In der Zwischenzeit hat der Innenminister Roberto Maroni, der heute morgen in einer Anhörung der parlamentarischen Kommission gesprochen hat, verlautbaren lassen, dass Lampedusa zum ‘unsicheren Hafen’ erklärt wurde. Das bedeutet, dass die geretteten Schiffbrüchigen bis zur gegenteiligen Anweisungen in andere Häfen überführt werden, d.h. in Porto Empedocle (Provinz Agrigent), sowie es bereits letzte Woche nach den Übergriffen geschehen ist. Maroni stellte ebenfalls Details des neuen Abkommens mit Tunesien vor, welches 10 Flüge pro Woche mit jeweils 50 Passagieren vorsieht, gegenüber zwei wöchentlichen Flügen mit jeweils 30 Plätzen, wie es das Abkommen des letzten Aprils vorsah. Am 23. Oktober wird jedoch in Tunesien die neue verfassungsgebende Versammlung gewählt, und es wird sich zeigen, ob diese dem Abkommen zustimmt.
Sicher ist, dass die Führung der Schifffahrtsgesellschaft Moby bekannt gegeben hat, dass die Miete der Schiffe, die bis zum 31. Dezember als schwimmende Auffanglager genutzt werden, vom Innenministerium bezahlt wurde. Und wenn man bedenkt, dass in den herkömmlichen Auffanglagern Fluchtversuche und Aufstände in immer kürzeren Abständen zu verzeichnen sind, ist es nicht auszuschließen, dass das, was wir in Palermo sehen, nur ein Experiment ist, dessen Wiederholung wir bald beobachten können. Auch deshalb ist die Meinung der Staatsanwaltschaft von großer Bedeutung.
Aus dem Italienischen von Maria Döbert