Rund um das Aufnahmezentrum von Mineo
Gestern erreichte uns die Nachricht neuer Verdächtigungen der Korruption und Anstiftung zur Korruption im Interessenskreis um das Aufnahmezentrum (CARA*) in Mineo. Die Ermittlungsbescheide sind bei den fünf Verdächtigen eingegangen, die Arbeitsplätze in der Kommunalregierung versprochen haben sollen – darunter die Namen des Bürgermeisters von Mineo und von Paolo Ragusa, ehemaliger Vorsitzender der Kooperative Sol. Calatino.
In der Zwischenzeit werden weiterhin Migranten ins CARA gesendet, sowohl infolge neuer Ankünfte, als auch von anderen Zentren, als wäre nichts geschehen. Die Überfüllung im Zentrum wird somit implizit akzeptiert und von den Institutionen verbürgt, die sich nicht mal mehr gezwungen sehen, Erklärungen zu liefern.
Derweil kämpfen Tausende von Migranten weiter gegen das Sich-Selbst-Vergessen und die Reduzierung des Menschen zu einer Zahl. Gefühle, die durch einen verlängerten Aufenthalt in einem derartigen Ort nur verstärkt werden. Außerhalb des CARA beginnen die Migranten keine Zahlen mehr zu sein und das Land kennenzulernen, in dem sie angekommen sind, auch wenn nicht oft auf dem besten Wege. Wir treffen viele von ihnen in Catania, oft die Absage der örtlichen Kommission fest in der Hand haltend und auf der verzweifelten Suche nach einem Anwalt, der sie durch die Widerrufsprozedur leiten und ihnen wenigstens zuhören könne, wenn auch nur für zwanzig Minuten. Manche zögern nicht, ihre ganze Frustration und ihr Misstrauen gegenüber einem System zu äußern, das sie in einen Limbus von über einem Jahr gezwungen hat, um dann in einem Gespräch über sie zu urteilen, zu dem sie niemand mit einer angemessenen Rechtsberatung begleitet hat. Viele erfahren erst im Moment des Widerspruchs von der Wichtigkeit die Kommission von den erlebten Erfahrungen in Kenntnis zu setzen und die Zeichen auf ihren Körpern zu zeigen, die kein Arzt hat je bescheinigen können: Aber niemand hat es ihnen gesagt.
A., seit eineinhalb Jahren im CARA, beschwert sich über den stechenden Schmerz, der ihn auf der Suche nach etwas Anderem als den üblichen „OKI-Tütchen“ (leichtes Schmerzmittel) zum Arzt gebracht hat, mit einem zerstörten Rücken nach monatelanger Arbeit auf den Feldern: „Wenn ich kein Geld habe, kann ich nichts machen, weder mich bewegen noch es nach Hause schicken. Ohne Geld und ohne Dokumente wissen alle, welche Jobs du machen kannst“. Wie ihm geht es vielen, mit denen wir vielleicht nie sprechen werden können, die im CARA keinerlei Dokumente besitzen, und jeder Form der Ausbeutung ausgeliefert sind.
Dennoch gibt es immer noch solche Menschen, die auch in der nachvollziehbaren Verzweiflung durchhalten und versuchen, mit dem Gefühl der Ohnmacht und dem fixen Gedanken an die Dokumente zu leben, die nach Monaten und Monaten immer noch nicht zu sehen sind. M. ist nach der Volljährigkeit in Mineo angekommen, wohin er von einem Heim für Jugendliche gesendet wurde, wo er seine ersten 5 Monate in Italien verbracht hat. Wir lernen ihn außerhalb des CARA kennen, während er dank eines Flyers des Antirassistischen Netzes Catania mit großem Staunen von den Bedingungen, den Rechten und den Pflichten derer erfährt, die internationalen Schutz erbitten und in einem CARA residieren,. „Mir geht es hier gut, die einzige Sache ist, dass wir fern von jedem Dorf und jeder Stadt sind. Hier sind nur wirklich zu viele Menschen. Aber hier ist es besser als im PalaSpedini und vielleicht auch besser als in dem Ort, an dem ich vorher war“. Erklärungen, die uns ziemlich fassungslos zurücklassen, die aber auch von anderen Freunden von M. unterstützt werden, die ebenfalls gemeinsam mit ihm nach der Vollendung ihres 18. Lebensjahres angekommen sind.
Andere hingegen rasen mit ihren Fahrrädern vorbei, auf dem Weg zur Arbeit oder zum Italienischkurs, oder sie springen in die illegalen Taxen, die sie für 5€ pro Fahrt ins Zentrum bringen. „Ich denke, dass ich bald anfragen werde, ob ich in die Fußballmannschaft darf“, sagt C. „dann kann ich gratis reisen, wenn wir außer Haus spielen“. Strategien und Gedanken, um nicht die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu verlieren, die mit so viel Entschlossenheit gesucht wurde. Aber bis wann können diese anhalten?
Ein Junge aus dem Senegal fragt uns, nachdem er aufmerksam den Zettel mit dem Leitfaden zum internationalen Schutz gelesen hat, den wir ihm überreicht haben, wozu der Zettel nützt. Er ist nunmehr seit 18 Monaten im CARA in Mineo und hat das Vorsprechen vor der Kommission vor ein paar Monaten abgehalten und negative Antwort bekommen; er hat sich daraufhin an einen Anwalt in Catania für den Widerspruch gewendet, der, wie es scheint, nicht vor Ende August eingelegt wird. Nach langem Warten will dieser junge Senegalese einen Aufenthaltsbescheid abwarten, der ihm wenige Monate nach Einlegen des Widerspruchs ausgestellt werden soll, um dann das CARA in Mineo zu verlassen und nach Deutschland zu gehen. Er weiß, dass das Risiko groß ist, nach Italien zurückgeschickt zu werden, doch das Wichtigste für ihn ist, nicht nach Mineo zurückgeschickt zu werden und sowieso „c’est la chance“ – ich muss diese Gelegenheit nutzen.
Bevor er das Mittelmeer durchquert hat, war er in Libyen und hat nicht aus freien Stücken beschlossen abzureisen, sondern wurde nach Italien eingeschifft. Es gibt viele Dinge, die er an der Aufnahmesituation nicht versteht. Er glaubte, in ein besseres Land zu gehen, und doch musste er sich eines Besseren besinnen: Im CARA sind keine Arztbesuche möglich und es wird keine Kleidung gestellt, das, was er trägt, musste er im Müll suchen; die Wartezeiten sind sehr lang und in der Zwischenzeit wird ihm keinerlei Dokument ausgestellt; nach der negativen Antwort war er gezwungen, Mineo zu verlassen und bis zum Widerspruchsverfahren auf der Straße zu schlafen.
Er macht verwirrte Bemerkungen zu den Gründen, weswegen man ein Recht auf internationalen Schutz hat, hauptsächlich den Krieg erwähnend, und kann sich nicht erklären, weswegen er, obwohl es in seinem Land Krieg gibt, keinen Schutz gewährt bekommen hat. Noch weniger kann er sich erklären, warum er sich an einen Anwalt wenden muss. Diejenigen, die töten, stehlen, das Gesetz brechen, wenden sich an einen Anwalt, und er hat nichts von alledem begangen.
Er versteht nicht den Nutzen des Mini-Leitfadens zum Internationalen Schutz, den wir ihm überreicht haben. Auch andere vor uns haben ihm erklärt, wozu er Anrecht hätte, und er sieht trotz alledem, dass alles gleich bleibt, dass sich niemand darum kümmert, dass die Dinge sich ändern. Er sagt, dass wir die Situation ändern sollten, da sie, wenn sie protestierten, von der Kommission mit der Ablehnung bestraft würden.
Das, was er gerade erlebt, erregt und frustriert ihn so sehr, dass er uns in einem gewissen Moment unseres Gesprächs sagt, dass es besser gewesen wäre, im Meer zu sterben, als an diesem Ort zu bleiben.
Giulia Freddi e Lucia Borghi
Borderline Sicilia Onlus
*CARA: Aufnahmezentrum für Asylsuchende
Übersetzung aus dem Italienischen von Alina Maggiore