„oltre la Repubblica“
Dienstag, 2. August: Während des Abends gingen ungefähr 300 Migranten lybischer Herkunft an Land, darunter, laut LaRepubblica, 50 Frauen und 4 Kinder.Mittwoch, 3. August: Beinahe 70 Tunesier werden mit dem Flugzeug übergesiedelt in die CIE (=Zentrum zur Identifikation und zur Abschiebung). Ich bin nicht in der Lage, mit Gewissheit über all die unterschiedlichen Ziele zu berichten, unter ihnen Rom, Turin, Trapani. Im Laufe des Tages ereignen sich noch zwei weitere Übersiedelungen mit insgesamt ungefähr 300 Personen. Es scheint, dass sich die gesamte Zahl an Immigranten, die auf Lampedusa präsent sind, auf 1200 beläuft.
Donnerstag, 4. August: Es werden etwa 900 Personen auf der Moby ausgeschifft, regelmäßig beliefertes Privatboot privater Unternehmen. Die 900 Personen sind praktisch alle subsaharischer Herkunft. Mittels einer langen Reise, die einige Tage dauert, werden sie in verschiedene italienische Orte gebracht, tendenziell dem Ring Cagliari, Genua, Civitavecchia folgend, mit Rückkehr nach Sizilien. Im Wesentlichen werden die zwei Zentren mit Ausnahme einiger Maghrebiner geleert, seien es Erwachsene oder Jugendliche, es scheint vereinzelt Jugendliche zu geben, die seit mindestens Mitte Juli im Zentrum zurückgehalten werden, trotz des gleichen Submissionsbedingungstextes, der vorsieht, dass die Immigranten ungefähr für 24 bis 28 Stunden im CSPA zurückgehalten werden. Im Laufe des Abends kommen etwa 300 Überlebende mit dem Boot an, das für zwei Tage 90 Meilen vor Lampedusa blieb. Die Passagiere erzählen vom Tod von mindestens 100 Personen aufgrund von Hunger oder Durst, deren Leichen ins Meer geworfen worden waren, alle sind in schlechter Verfassung, dehydriert und mit Beinproblemen, einige sehr schlimme Fälle werden in die Ambulanz von Lampedusa eingeliefert und dann ins Krankenhaus von Palermo gebracht. Es scheint als wäre die Eröffnung einer Untersuchung wünschenswert hinsichtlich der Weigerung, seitens eines Schiffes der NATO, das in lybischen Gewässern schon gegenwärtig ist, die Hilfsmittel auf das Havarie-Boot zu bringen.Freitag, 5. August: Am folgenden Tag schnell Bersani passiert, um einen Blick auf das geleerte und gesäuberte Zentrum zu werfen…es handelt sich in jedem Fall um einen oberflächlichen Besuch und einen irrelevanten Gang auf politischem Niveau, sei es national oder lokal.Samstag, 6. August: Bei Tagesanbruch kommt ein Boot an, das die Überfahrt schnell zurückgelegt zu haben scheint, für das die gesammelten Zeugenaussagen beschreiben, dass die Passagiere in scheinbar guter Gesundheit eintreffen.Montag, 8. August: Es werden etwa 400 Subsaharianer ausgeschifft, quasi all die Heimkehrer der letzten dramatischen Ausschiffung. Dieses Mal ist es die Grimaldi Lines, welche die Migranten nach Puglia und Manduria übersiedelt, eine Privatgesellschaft, die mitsamt Moby von den öffentlichen Kassen ungefähr 140.000 Euro aufwärts für jede Reise abzieht (in diesen letzten Monaten ist das mindestens zweimal pro Woche passiert). Es bleiben beinahe 700 Migranten auf der Insel, viele nordafrikanischer Herkunft und überwiegend Jugendliche.Donnerstag, 11. August: Ungefähr 30 Jugendliche werden auf einem Tragflächenboot ausgeschifft, das regelmäßig Touristen von Lampedusa nach Porto Empedocle bringt. Indem ich mit einigen Freunden spreche, die sich zufälligerweise auf dem gleichen Transportmittel befinden, entdecke ich, dass die Jungen an einem von den anderen Touristen getrennten Ort zurückgehalten werden und von Polizeigewalt festgehalten werden. Über die Zahlen hinaus, ist das, was es sich hervorzuheben lohnt, wie besonders junge Subsaharianer in dieser Periode an den Küsten von Lampedusa ankommen, lybischen Ursprungs, Kriegsflüchtlinge, ich weiß nicht, ob unter ihnen auch jemand gezwungen wurde, zu gehen, in jedem Fall viele Jugendliche ohne Begleitung, wenige Frauen und einige Familien. Auch die Tunesier kommen weiterhin an, obwohl sie zahlenmäßig sehr in der Minderheit sind. Trotz des Patrouillierens an den tunesischen Küsten und der Durchführung von Repatriierungen. Es gibt einen klaren Unterschied in der Transferleitung der Insel: die Su saharianer werden regelmäßig, an wechselnden Tagen, in andere italienische Orte gebracht, um in Wohnheimen für Jugendhilfe versammelt und eingegliedert zu werden, falls es einzelne Jugendliche sind, oder in die CARA, in die verschiedenen Stationen des Schutzsystem für Asyl-Antragsteller; die Nordafrikaner und speziell die Tunesier werden hingegen in die CIE gebracht, um dann ausgewiesen zu werden oder freigelassen, wie blinde Passagiere, nachdem sie Monate zwischen Mauern, Stacheldraht, Demütigung und Schändung verbracht haben (jetzt bis zu einem Höchstmaß von 18 Monaten!). Die Migranten werden in den beiden Zentren illegal rund um die Uhr festgehalten, umgegeben von verschiedenen Schichten aus Stacheldraht und umgegeben von Jeeps, für eine systematisch hohe Zeitspanne von bis zu 48 Stunden. So müsste es nicht sein, in Anbetracht dessen, dass – sich drehend um den CPSA – sich die Migranten verteilen müssten und frei die beiden Lager betreten und verlassen könnten. Im Kopf bewahre ich die unauslöschlichen Bilder auf, die metallischen Netzschichten, der Kinder, die in Gruppen zusammensitzen, die jungen Männer, allein, zu Fuß und mit über der Brust verschränkten Armen, verlassen in der Untätigkeit einer ungerechten und unverständlichen Haft, einer paternalistischen und vegetativen Sozialstaatlichkeit. Ich habe einen machtlosen Zeugen der unverhohlenen modernen Konzentrationslager gehört, ich überdenke die Geschichtslektionen der Schulbänke, die Zeugenaussagen einer menschlichen Grausamkeit, und mir kommt immer die gleiche Frage in den Sinn…aber wie ist es möglich gewesen, dass das alles wirklich passierte?…jetzt beginne ich es leider tatsächlich zu verstehen… Eingeschiffte und Baracken…blaue Säcke wie Pappkoffer: Als ich das erste Mal an die Mole von Cala Pisana kam, um die Eingeschifften zu sehen, ist es mir gelungen, eine Bedeutung an das Monitoring-Projekt zu geben. Ich habe sie vorbeigehen sehen, Jugendliche und noch jüngere, mit aufrichtigen Gesichtern, mit der Einschiffung voranschreitend, alle mit den gleichen Plastiksäcken in der Hand, und wenn jemand lächelnd aus dem Reisebus die neugierigen Touristen oder Journalisten – auf den Lavasteinen – grüßte, fragte ich mich, wo die flüchtige Grenze zwischen einer freundlichen Empfangsgeste und einer verlegenen Lüge liege: nach der Durchquerung der Wüste, der Kriegsflucht und der Armut, der Nächte in Balia del Mare, die Tage, die damit verbracht wurden, ums Überleben zu ringen oder einen Freiheitstraum zu realisieren, das wirkliche Ziel muss nah zu sein scheinen, die Erde, Europa, und ich, die unsicher auf die Grüße antwortet, an die folgenden Runden denkend, an CARA, an CIE, an die konkreten Grenzen des Asyls…es gelingt mir nicht bis aufs letzte zu lügen, aber es gelingt mir auch nicht, sie anzusehen, ohne auf ihre Anstrengungen und ihre Träume zu antworten, mindestens ein verlegenes Lächeln anzudeuten.Ich beginne mich immer mehr als Teil eines perversen Spektakels zu fühlen und als ich mich dabei ertappe, sie während der Einschiffung und der Ausschiffung zu beobachten – Kamera, Augen und Ohren bereit –, um eine weitere Information zusätzlich zu ergaunern, die Objektive auf der Suche nach einem Scoop, dokumentarische Projekte fast alle gleich…scheint es mir, als wäre ich im Zoo, wo das was zählt nicht die Geschichte wahrer Personen ist, sondern erfundene Bilder, die es jedem Zuschauer gelingt zu sammeln, um sein eigenes Projekt zu realisieren, um die eigene Arbeit zu machen oder um einfach sagen zu können: „das war auch ich und ich habe sie gesehen“.Ich habe immer weniger Lust, hier zu sein und doch gelingt es mir nicht, das Rennen auf der Suche nach ihnen aufzugeben, mehr über sie zu erfahren…ich gehe in die Ambulanz um Informationen zu erhalten und fahre fort mit aufgerissenen Augen in Parallelwelten auf unvorstellbare Erinnerungen und Erlebnisse zu treffen, weit entfernt von dem umliegenden Durcheinander kleiner solidarischer Gesten, Unhöflichkeiten und Inkompetenzen, unterschiedlicher Interessen, gegenseitigen Argwohns. Bisweilen fühle ich mich von dem Gefühl beherrscht, das im Grunde dem Schicksal der Migranten eine winzige Stütze wäre, um ihr Rad herum ein endloses Netz, und verwickelt in politische und ökonomische Interessen.Anna Garrapa, Brigate della Solidarietà Attiva(aus dem Italienischen von Anna Bernhard)