Newsletter Borderline Sicilia- Mai 2012
• Immer noch ungeklärte Zustände der Migranten auf Lampedusa
• Weitere Anlandungen in Pozzallo (Ragusa)
• Neuigkeiten aus Cassibile (Siragusa)
• Die Situation im C.I.E. Serraino Vulpitta (Trapani)
• Fluchtversuche und Spannungen im C.I.E. von Milo: Journalisten und Polizei greifen ein
• Veröffentlichung des Dekrets zur Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigungen aus humanitären Gründen für nordafrikanische Bürger
• Beobachtungen von Verstößen gegen das Recht auf Verteidigung: Gute Nachrichten
• Tunesische Delegation in Italien: Fortschritte auf der Suche nach vermissten Angehörigen
IMMER NOCH UNGEKLÄRTE ZUSTÄNDE DER MIGRANTEN AUF LAMPEDUSA
Im April haben wir über die wochenlang andauernde und illegale Haft von 24 Somaliern in einem Hotelgebäude auf Lampedusa berichtet, welche zuvor auf wundersame Weise den hundertsten Schiffbruch im Kanal von Sizilien überlebt hatten.
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Am 7. Mai kamen zu den Asylbewerbern auf der Insel weitere 17 Tunesier hinzu, die 10 Meilen vor der Küste von den Carabinieri abgefangen wurden.
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Die Wohnanlage Cala Creta ist Mitte des Monats geleert worden. Die Migranten aus der Subsahara wurden auf Unterkünfte zwischen Sizilien und Kalabrien aufgeteilt. Die Tunesier wurden ebenfalls verlegt, und zwar in den Hafen-Hangar von Pozzallo, wo sie jetzt auf die Heimkehr warten.
Am 23. Mai verblieben insgesamt nur fünf Tunesier auf der Insel, die die letzte Nacht in Lampedusa auf dem Boot verbracht haben, das sie aufs italienische Festland bringen sollte, wo sie dann am nächsten Tag zu ihren Landsleuten in Pozzallo stoßen sollten. Während der Nacht wurden die fünf aber zum Pier ins Freie verlagert, da das Boot voller Wasser lief. Vielleicht ein sadistisches ad-hoc Abschiedsgeschenk der Behörden. Oder vielleicht aus Gründen des öffentlichen Nutzens und wegen der Notwendigkeit, die Räumlichkeiten der Residenz wieder frei und bereit für neue „Ware“ zu haben.
In den nächsten Stunden werden im Innenministerium eine Reihe von Untersuchungen stattfinden, um die Möglichkeit zu diskutieren, die Anordnung, mit dem Maroni Ende September 2011 Lampedusa zu einem „nicht sicheren Hafen“ erklärt hatte, aufzuheben und die Zahlungen für die Organisationen des Präsidiums zu verlängern.
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Letzteres könnte das System der Hilfe, der Unterkünfte, der Aufteilung und Unterbringung der Migranten in der ganzen Region grundlegend erneuern. Der springende Punkt scheint die Lösung der Finanzierung zu sein, vor allem nach dem Flop der Leitung 2011-2012 durch den Zivilschutz.
Inzwischen ist die Lampedusa offiziell bereit wieder geöffnet zu werden. Zu einem späteren Zeitpunkt.
WEITERE ANLANDUNGEN IN POZZALLO (RAGUSA)
Am 28. Mai gab es die erste Anlandung im Jahr 2012 an der Küste von Ragusa. Es kamen 76 Leute, die den Verlust von vier weiteren Menschen auf See meldeten. Das Sterben auf dem Mittelmeer geht weiter, genauso wie die Praktiken der kollektiven Abschiebung und Verhaftungen, die auf oft überhastete Ermittlungen wegen Unterstützung der illegalen Einwanderung folgen und die viele Fragen aufwerfen.
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In einem Sporthalle der Gemeinde werden die Asylbewerber untergebracht und die Kinder warten darauf in angemessene Einrichtungen gebracht zu werden.
Die Tunesier, die in den vergangenen Wochen ankamen, wurden im Hafen von Ragusas in einem Hangar untergebracht, wo sie auf ihre Abschiebung warten. Keine durch das Innenministerium akkreditierte Organisation (IOM, italienischer Flüchtlingsrat, UNHCR und Save the Children) hat Zugang zu der Anlage, mit Ausnahme des Italienischen Roten Kreuzes, um lebenswichtige Güter und Medikamenten im Auftrag des Zivilschutzes zu verteilen. Im Juni wird das Projekt „Präsidium“ auslaufen. Bei dieser Gelegenheit werden mit dem Innenministerium erneut die Rollen der verschiedenen Organisationen diskutiert, die seit Jahren die Einhaltung der Verfahren zu internationalem Schutz, wie zur Abschiebung aus dem italienischen Staatsgebiet, garantieren oder es zumindest versuchen. Das gleiche gilt für die Garantie der Menschenrechte. Während die Anwesenheit der Hilfsorganisationen einerseits bei vielen Gelegenheiten ungeheuerliche Verstöße gegen die Menschenrechte vermieden hat, so war sie auf der anderen Seite für die italienische Regierung ein gutes Mittel um rechtswidrige Praktiken, was die Aufnahme und die Inhaftierung der Migranten in Sizilien betrifft, zu verschleiern.
NEUIGKEITEN AUS CASSIBILE (SIRACUSA)
Wie jedes Jahr um diese Zeit während der Kartoffelernte kommen Hunderte von Migranten auf der Suche nach Arbeit in Cassibile an. Was sie dort finden ist, wie überall wenn man im Kreislauf der Saisonarbeit steckt, die Ausbeutung billiger Arbeitskräfte, die illegale Anwerbung durch Vorarbeiter, Unterkünfte in verlassenen Häuschen oder direkt in Lagern in der Nähe der Felder auf denen man arbeitet. Obwohl die illegale Anwerbung von Arbeitskräften seit September als Strafbestand im Gesetzbuch steht, scheint kein Rückgang verzeichnet zu werden. Das grundlegende Problem, denjenigen, die sich dafür entscheiden, ihre Ausbeuter anzuzeigen, ausreichend Schutz zu gewähren, bleibt weiterhin bestehen. Und wie jedes Jahr greifen die Institutionen ein, indem sie die finanziellen Mittel bereit stellen, eine vom Roten Kreuz betreute Zeltstadt zu errichten. Diese ist jedoch nur für diejenigen zugänglich, die in Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung sind.
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Aber Cassibile wurde in den letzten Jahren im Zusammenhang mit der Immigration auch zum Schauplatz weiterer Skandale, beispielsweise das von der Vereinigung Alma Mater geleitete „Aufnahmezentrum für Asylsuchende“, das später geschlossen wurde.
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Trotz den noch laufenden Prozessen, erfahren wir, dass unter den Mitgliedern des Oasis-Konsortium, denen die Leitung der Zentren für Identifikation und Abschiebung (C.I.E.) in Modena und Bologna übertragen wurde, auch der ehemalige stellvertretende Direktor des Alma Mater ist.
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DIE SITUATION IM C.I.E. SERRAINO VULPITTA (TRAPANI)
Am 11.Mai 2012 hat die Abgeordnete der Demokratischen Partei Alessandra Siragusa gemeinsam mit Laura Verduci vom Antirassistischen Forum in Palermo und dem Freelance-Journalisten Alessio Genovese das Zentrum für Identifikation und Abschiebung (C.I.E.) Serraino Vulpitta in Trapani besucht. In ihrem Bericht schreiben Verduci und Genovese von menschenunwürdigen Zuständen innerhalb des Gebäudes. In fast allen Zimmern haben die Fenster kein Glas mehr, die Migranten beschweren sich über die Kälte und die Mücken. Die Hygienebedingungen sind sehr schlecht, die Toiletten kaputt. Die Direktorin sagt es wären 41 Personen untergebracht, aber basierend auf den Daten des Berichts der beiden Besucher befinden sich mehr als 50 Personen (43 wären zugelassen) im Zentrum.
Eine Gruppe von Ägyptern lebt in einem separaten Zimmer, sie warten auf ihre Abschiebung. Fast alle Migranten kommen aus anderen italienischen C.I.E. oder direkt aus dem Gefängnis. Einige von ihnen haben gesundheitliche Probleme, viele haben Depressionen und die Vorfälle von Selbstverstümmelung und Selbstmordversuchen häufen sich.
Am 23 April haben sich einige Vertreter der Kampagne „lasciateCIEntrare“ (dt. lasst uns rein!) vor Vulpitta eingefunden. Sie konnten so über die Entfernung mit den festgehaltenen Migranten kommunizieren:
„Wie viele seid ihr? – Mehr als 60, wir sind 8 pro Zimmer – Kommen euch eure Anwälte besuchen? – Ja es gibt Anwälte, aber sie, naja sie.. – Wie viele Tage seid ihr schon hier? – Sechs Monate, acht Monate, achteinhalb Monate… – Gibt es jemanden der in Milo war? – Ja, er war sechs Monate dort, nun ist er seit zwei Monaten hier. Wir kommen aus Turin, Mailand, Bari.. Aus ganz Italien bringen sie Leute hierher. – Seid ihr dem Richter vorgeführt worden? – Wir haben keinen Richter zu Gesicht bekommen… Journalisten, kann ich euch was sagen? Seit mehr als einer Woche hängen sich Leute auf, verstümmeln sich, einer hat sich den Bauch aufgeschlitzt, ein anderer die Hände.. Die Menschen hier sterben, sie sterben! Sie helfen uns nicht, absolut gar nicht. Die Leute sterben vor Hunger, wegen Depressionen, weil sie hier seit sechs oder acht Monaten sitzen, eingeschlossen, ohne zu wissen wie es weitergeht. Die Anwälte kommen nie, denn sie gehören auch zu ihnen. Sie rufen nie an, nichts funktioniert. Wir können das auch alles aufschreiben, ich bin der erste der das unterschreiben würde…“
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FLUCHTVERSUCHE UND SPANNUNGEN IM C.I.E. VON MILO: JOURNALISTEN UND POLIZEI GREIFEN EIN
Seit dem 27 Mai haben Hunderte Insassen des C.I.E. von Milo durch Fluchtversuche ihre Freiheit zurückgewonnen.
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Gerüchten zufolge scheint es, dass die im Zentrum verbliebenen Migranten dafür bestraft wurden, auch wenn sie nicht einmal dabei waren. Auch die Polizeikontrollen äußern bereits lautstark ihren Unmut über die menschenunwürdigen Umstände unter denen sie gezwungen sind, im Zentrum von Trapani zu arbeiten.
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In der Pressemitteilung SIULP Palermo wird gefordert: „Es kann nur eine Lösung geben – die übrigens schon vehement gefordert worden ist – nämlich mehr Personal im C.I.E. in Milo einzusetzen. Eine Einrichtung für die Verfahren zur Identifizierung und Abschiebung von Zuwanderern einfach nebenbei laufen zu lassen, wäre reine Energieverschwendung, sowohl von Arbeitskräften als auch von Geld, wenn man nicht auch über die grundlegenden Sicherheitsbedürfnisse nachdenken würde.
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Aktuelles zu den Bedingungen in denen die Migranten im Zentrum von Milo leben, oder besser gesagt überleben, berichten einige Journalisten der TMNews und eine Delegation von zwanzig weiteren Journalisten, denen es in den letzten Tagen gelungen ist, das Zentrum zu betreten.
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VERÖFFENTLICHUNGEN DES DEKRETS ZUR VERLÄNGERUNG DER AUFENTHALTSGENEHMIGUNG AUS HUMANITÄREN GRÜNDEN FÜR NORDAFRIKANISCHE BÜRGER
Einen Monat nach Ablauf der Aufenthaltsgenehmigungen aus humanitären Gründen gemäß DPCM vom 5. April 2011 (http://www.siciliamigranti.blogspot.it/2012/04/mancata-proroga-dei-permessi-umanitari.html) hat die Regierung endlich das Dekret zur Verlängerung um weitere sechs Monate erlassen. In einem Rundschreiben des Innenministeriums wird dargelegt, dass außer, dass sich die Aufenthaltsgenehmigungen automatisch erneuern, die Polizeipräsidien verpflichtet sind, die Papiere zu erneuern, falls der Betroffene es bei der Zuständigen Ausländerbehörde beantragt. Der Text des Erlasses: gazzetta ufficiale
Text des Rundschreibens: meltingpot
Offen bleibt allerdings immer noch, wie im Falle der Flüchtlinge aus Libyen vorgegangen werden soll, die 2011 in Italien ankamen. Sie haben größtenteils eine eine Aufenthaltsgenehmigung aus humanitären Gründen erhalten. In der Tat häufen sich die Ablehnungen der Asylkommissionen für internationalen Schutz, die Tausende Menschen in die Illegalität zwingen.
Lesen Sie hier: meltingpot
BEOBACHTUNGEN VON VERSTÖßEN GEGEN DAS RECHT AUF VERTEIDIGUNG: GUTE NACHRICHTEN
Im Newsletter vom März haben wir von dem Beschluss der Anwaltskammer von Catania berichtet, mit dem alle Anträge der Prozesskostenhilfe von Asylbewerbern eingestellt wurden. Die Anwaltskammer stellte eine Anfrage an den Präsidenten des Gerichtshofs über die Eignung der zu den Anträgen beigefügten Unterlagen.
Lesen Sie hier: siciliamigranti
Da diese Maßnahmen offensichtlich rechtswidrig waren, hat die Vereinigung für juristische Studien zur Immigration (A.S.G.I), durch zwei sizilianische Mitglieder, gegen den Beschluss des regionalen Verwaltungsgerichts Berufung eingelegt, diese Forderung jedoch wenige Tage später wieder rückgängig gemacht. Es bleibt zu hoffen, dass mit dem Widerruf der Verfügung vom 7. Februar, die Anwaltskammer noch einmal die Anträge der Asylbewerber auf rechtlichen Beistand auf Kosten des Staates überdenkt. Außerdem sollten sich die Asylsuchenden bei Ablehnung direkt an das Gericht wenden können, um ihnen so ausreichend Schutz zuzusichern.
Der Beschluss vom 15.05.2012: siciliamigranti
TUNESISCHE DELEGATION ITALIEN: FORTSCHRITTE AUF DER SUCHE NACH VERMISSTEN ANGEHÖRIGEN
Im Januar waren Mitglieder der tunesischen Delegation in Palermo angekommen. Sie waren auf der Suche nach ihren vermissten Angehörigen. Wie sie sagen, verschwanden diese nach ihrer Ankunft an der Küste von Sizilien. Angehörige der vermissten junge Tunesier – die wochenlang vor dem tunesischen Konsulat in Palermo protestierten, sich mit dem Leiter der Einwanderungsbehörde von Agrigento getroffen und einige sizilianische Aufnahmezentren besucht haben – sind in Rom gewesen, wo sie sowohl mit Vertretern der tunesischen Botschaft als auch des Innenministeriums gesprochen haben.
Selbst Napolitano empfing sie, wandte sich an eine der Mütter und sagte: „Signora, weinen Sie nicht“. Die Delegation ist sich sicher, dass die Antwort auf die Anfrage an die italienische Regierung, zur Überprüfung der digitalen Fingerabdrücke der verschwundenen Familienmitglieder (die nach monatelangem Warten schließlich ankamen), zu nichts geführt hat. Die Vertreter der Delegation „2511“ haben sich nach Tunesien zurückgezogen, wo sie sich jetzt mit dem Innenministerium beratschlagen.
„In der Zwischenzeit“ so das Komitee „waren auch wir letzte Woche für ein paar Tage in Tunesien um unsere Mütter und Familien zu treffen (…) und um zu versuchen, mit den Institutionen zu sprechen. Von denen haben wir dann weitere Wahrheiten oder Unwahrheiten erfahren: der Vergleich der Fingerabdrücke ist beendet und das Ergebnis ist negativ; während der Vergleich bei 60% liegt, wird das Ergebnis erst als Ganzes übermittelt werden, aber das negative Ergebnis wurde bereits gemeldet.“ Da die tunesischen Familien in Italien die Ergebnisse des Vergleichs, der zwischen den digitalen Fingerabdrücke und der Datenbank der 2011 gelandeten Flüchtlinge in Sizilien, noch nicht wissen, hat die Delegation „2511“ öffentlich erklärt, sie fordere einen offiziellen Bericht bei einer Pressekonferenz sowie weitere Untersuchungen der Angelegenheit.
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