Nennt sie nicht Wirtschaftsflüchtlinge – Medu berichtet vom Exodus in Richtung Europa

Von Redattoresociale.it

Auf einer interaktiven Karte die Reise der Geflüchteten; von der Wüste bis zu den Schiffen. 90% sind Opfer von Gewalt, Misshandlung oder psychologischen Traumas. „Die Unterscheidung in Wirtschaftsmigrant*innen und Geflüchtete kann eine so komplexe Wirklichkeit nicht veranschaulichen.“
Rom – Wenn Shiva das Meer malt, dann ist es stets schwarz. Für sie, die als zehnjähriges Kind Liberia verlassen hat, ist das Mittelmeer ein Bild des Todes und des Schmerzes, das sie mit den eigenen Augen gesehen hat, als sie wie durch ein Wunder einen Schiffsuntergang überlebt hat. Aus ihren Zeichnungen zusammen mit den Augenzeugenberichten der vielen sich in Italien von Sizilien bis Ventimiglia befindlichen Migrant*innen setzt sich die interaktive Karte Esodi (Exodus), erarbeitet von Medu, den Ärzten für Menschenrechte, heute in Rom vorgestellt, zusammen. Insgesamt 1000 Interviews aus der Sicht der Protagonist*innen (870 Männer und 130 Frauen, davon 133 Minderjährige), die von der Reise nach Europa, in den meisten Fällen begleitet von Traumata, Folter und Gewalt, berichten.

„Diese Menschen erzählen von der Tragödie und der Hoffnung unserer Zeit“, betont Alberto Barbieri, Präsident der Ärzte für Menschenrechte. „Es gibt sehr viele Geschichten, gleichartige aber unterschiedliche Augenzeugenberichte, die uns darüber berichten, wie alle Betroffenen schweren Prüfungen begegnet sind: die Durchquerung der Sahara, die Gewalt, die Folter in den Gefängnissen durch Menschenhändler und Poliziste*innen, insbesondere in Libyen und anschließend zuletzt bei der Überquerung des Mittelmeeres. Reisen, die von der Notwendigkeit des Überlebens geprägt sind.“

Die interaktive Karte von Medu zeigt einen unfreiwilligen Exodus auf, der auch das jüngste Argument der blanken Trennung zwischen Wirtschaftsgmigrant*innen und Asylsuchenden zu Fall bringt.
„Weniger als 10 % von ihnen erklären aus wirtschaftlichen Interessen gekommen zu sein. Mehr als 90% haben Folter und Gewalt, erniedrigende und unmenschliche Behandlungen erlitten“, fügt Barbieri hinzu. „Trotzdem steigt die Anzahl der Migrant*innen konstant, denen der internationale Schutz verweigert wird. 2016 sind 62 Prozent der Anträge zurückgewiesen worden“, erklärt er, „da die strenge Trennung zwischen Geflüchteten und Wirtschaftsmigrant*innen ein Schematismus ist, der nicht in der Lage ist eine so komplexe Wirklichkeit wiederzugeben”.

Laut Flavia Calò, Verantwortliche des Teams Medu in Sizilien, zählt zu den Problemen auch die Schwierigkeit des Migranten, der Migrantin, welche*r ein Trauma erlitten hat, seine/ihre Erlebnisse vor einer territorialen Kommission, die den Auftrag hat über den Asylantrag zu entscheiden, zu erzählen. Sie erklärt: „Es kommt vor, dass die von der Kommission gestellten Fragen diese Personen überfordern. Nicht alle sind in der Lage, zu erzählen, was ihnen widerfahren ist. In Fällen der Folter kommt vor allem das Schamgefühl. Man müsste mit psychologischer Unterstützung ein Vertrauensverhältnis aufbauen, aber dies erfolgt in den meisten Fällen nicht.“

Unter den Zeugenaussagen, die auf der Karte wiedergegeben sind, befindet es auch diejenige von Ibra. Er hat von seiner Reise von Niger nach Libyen berichtet: „Ich bin gemeinsam mit mehr als 100 Personen mit einem Lkw abgereist. In dem Lkw befanden sich gleichzeitig Essen und Tiere“, erklärt er. „Während der Reise haben wir verschiedene Checkpoints angetroffen und sind geschlagen worden. Wenn man in den Händen der Menschenhändler*innen ist, hat man keine Wahl. Man weiß nicht, was mit einem geschehen kann.” Ein Kapitel auf der Karte ist dem Drama der Frauen gewidmet: ein Großteil von ihnen ist Opfer von sexueller Gewalt und Menschenhandel. (ec)
Übersetzung aus dem Italienischen von Lan Gatti