Mein Traum ist die Gegenwart – Ein Interview mit Yvan Sagnet
Yvan Sagnet kommt aus Kamerun. 2007
kommt er nach Italien um zu studieren und schreibt sich am
Polytechnikum in Turin ein. Im Sommer 2011 arbeitet er in Nardò in
Apulien, auf dem Gut Boncuri um sich das Studium zu finanzieren; dort
werden Arbeiter für die Tomatenernte eingestellt. Und dort wird er
sich der unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen zu denen die
„Vorarbeiter“ die Hilfsarbeiter zwingen, bewusst und erfährt
über den ersten autonomen Streik der Hilfsarbeiter in Italien. Wir
haben Yvan in Vittoria, anlässlich einer Diskussion über das Thema
„Territorium und Rechte“, organisiert von der CGIL FLAI
(italienische Landwirtschaftsgewerkschaft) und der Sozialen
Kooperative Proxima, getroffen.
Yvan, du bist die
treibende Kraft des Protestes von Nardò gewesen. Ein weiteres
Ereignis von dem die Medien berichteten – und von dem man im
Zusammenhang über das Problem des „Vorarbeiten“ gesprochen hat –
ist der Aufstand von Rosarno gewesen. Was sind deiner Meinung nach
die beiden Unterschiede und Analogien zwischen diesen beiden Typen
von Protesten?
Yvan: In Rosarno ist der
Protest aus einer Auseinandersetzung zwischen einem Arbeitgeber und
einem Arbeitnehmer entstanden, und dann hat die ganze Welt gesehen
was für ein Ausmaß an Ausbeutung, Sklaverei und krimineller
Infiltration dahinter steht. In Nardò ist der Wiederstand aus den
Arbeitsbedingungen, aus der Geschlossenheit der Arbeitnehmer
entstanden. Eine Gruppe von Arbeitern, die sich zusammengetan haben
um ihre Rechte einzufordern. Es waren nicht einzelne Personen, wie in
Rosarno. Daher gibt es einen bedeutenden Unterschied, auch in den
Resultaten die die beiden Streiks erzielt haben. In Nardo haben wir
bessere Ergebnisse erzielt, auch weil die Arbeiter geeint waren. Wir
haben das Gesetz über das Vorarbeiten, die Verhaftungen der
Unternehmer und der Vorarbeiter erreicht. Was haben wir hingegen in
Rosarno, zwei oder drei Jahre nach der Revolte, abgesehen davon dass
man darüber gesprochen hat, erreicht?
Die Einführung des
Straftatbestands des „Vorarbeitens“ ist eine Errungenschaft des
Jahres 2011. Wie haben sich die Dinge in Folge der wichtigen
legislativen Neuigkeit verändert?
Yvan: Es ist ein
wichtiges Ergebnis, da nach mehr als einhundert Jahren des
„Vorarbeitens“ in diesem Land die Revolte von Nardo zur
Einführung dieses Straftatbestandes, der die Arbeiter schädigt,
geführt hat.
Man muss jedoch dieses
Gesetz, das im Moment nur die Vorarbeiter bestraft, vervollständigen.
Man müsste es erweitern um auch die Arbeitgeber, welche die
hauptsächlichen Verantwortlichen dieser Plage sind, zu bestrafen.
Wir wussten, dass wir keine konkreten Ergebnisse nach nur einem Jahr
erzielen konnten, da das „Vorarbeiten“ eine komplexes Phänomen
und stark im Territorium verwurzelt ist. Es ist nicht so, dass wir
mit der Einführung des Straftatbestandes und einem Jahr des Kampfes
alle Rechte erhalten könnten. Nein, es ist täglicher Kampf des
Einsatzes, der Anzeigen; man muss den Arbeiter ansprechen, ihn
unterstützen und zur Anzeige ermutigen und ihn in seinen Beschwerden
zur Seite stehen.
Es ist Basisarbeit, die
viel Einsatz abverlangt. Und innerhalb eines Jahres ist es schwierig
alles zu organisieren. Es fehlen noch viele Schritte bis die
Umsetzung des Gesetzes wirksam wird.
Welche Vorstellung hast
du dir von den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Landarbeiter in den
Feldern Ragusas gemacht?
Die Bedingungen sind die
selben wie in anderen Teilen Italiens. Es ändert sich sehr wenig an
den Umständen der Arbeiter in Apulien, in Rosarno, in der Gegend von
Siracusa oder Ragusa. Sie sind für alle gleich. Sie sind unter
bezahlt. Sie schlafen in den verlassenen Gehöften. Ihre Rechte
werden nicht respektiert. Daher muss die Schlacht weitergehen.
In dieser Phase einer
schweren Wirtschaftskrise ist der einfachste Einwand, den man bei der
Thematik der Einwanderung machen kann, derjenige dass, „wenn es
schon keine Arbeit für die Italiener gibt, wie soll es dann welche
für die Ausländer geben“. Wie würdest du, der diese Situation
der Einschränkung der Rechte, an der eigenen Haut gespürt hat,
antworten?
Yvan: An die Krise, vor
allem in der Landwirtschaft, glaubt man nicht besonders. Weil es die
Nachfrage gibt. Wir verbrauchen alle Tage, also gibt es den Markt der
landwirtschaftlichen Produkte und auch die Nachfrage. Nur das es in
diesem für das Land besonders wichtigen wirtschaftlichen Sektor zu
einem Mangel an Regeln von Seiten des Staats gekommen ist, was dazu
geführt hat das sich eine Profitkultur gebildet hat. Es ist
unmöglich dass ein Kilo Orangen oder Tomaten aus Pachino beim
Hersteller für sieben Cent gekauft und in einem Supermarkt in
Norditalien zu 3,50 Euro verkauft wird. Darüber sollte man
nachdenken. Andererseits teile ich nicht die Auffassung, dass weil es
die Krise gibt, die Menschen keine Rechte haben sollten. Man sollte
in die Zukunft dieses Landes schauen, welche von italienischen und
ausländischen Bürgern gebaut werden wird. Man sollte versuchen eine
Gesellschaft zu bauen, die auf dem Respekt der Rechte aller Bürger,
ungeachtet ihrer Herkunft aufbaut. Was auf dem Spiel steht, ist die
Zukunft unseres Landes.
Du hast vor kurzem ein
Buch mit dem Titel „Liebe deinen Traum“ veröffentlicht, in dem
du von der Erfahrung von Nardò erzählst. Was ist jetzt dein Traum?
Yvan: Mein Traum war es
nach Italien zu kommen, in dieses Land in das ich mich wegen der
Fußballspieler, die ich verfolgte und verehrte, verliebt habe als
ich klein war. Mit einer besseren Gegenwart werden wir sicherlich
eine bessere Zukunft haben. Eine Zukunft die unseren Träumen
entspricht.
– Von
Daniela Sammito, aus: Il Clandestino, Januar 2013 –
Vom Italienischen ins Deutsche von
Alessandro Pastore.