Man nennt sie Lampedusanerinnen

Man nennt sie die „lampedusane“, die Frauen von Lampedusa. Aber es sind schwangere Nigeranerinnen, die in Lampedusa an Land gegangen sind und oft als Notfall ins städtische Krankenhaus von Palermo eingeliefert wurden. Bis zum 20.Mai waren es nur Nigeranerinnen, dann kamen 2 somalische Frauen, -Schwestern, eine Pakistanin und weitere Nigeranerinnen. Heute hat die vierte in einer Woche entbunden. In den letzten 2 Monaten sind einige gekommen, auch mit anderen Nationalitäten, die Abteilung Geburtshilfe und Gynäkologie hat sie aufgenommen, entbinden lassen, und sie mittels Sozialarbeiterinnen in die vorgesehenen Einrichtungen gebracht. Aber sieben Frauen sind noch da. Es scheint aber, dass in den 2 Monaten kein Problem gelöst wurde, besonders nicht, was die Krankenschwestern, die sich der Frauen annehmen, als äußerst wichtig ansehen: das erste Problem ist die Verzweiflung, die die Frauen noch vor der Geburt anfällt, wenn sie keine Nachricht von ihren Ehemännern oder Angehörigen haben, mit denen sie an den Küsten Lampedusas angekommen sind. Das zweite ungelöste Problem ist jedoch, dass keiner sie informieren und beruhigen und auf den neuesten Stand bringen kann, da die Sozialarbeiterin nur am Morgen kommt, nicht zwangsläufig englisch spricht, noch weniger arabisch oder somalisch. Die Dolmetscherin begleitet sie ab und zu, ist jedoch, wie die Krankenschwestern sagen, nie länger als eine Stunde am Morgen da gewesen. Manche sind im 8. Monat, manche im 9. Monat. Cinthya, die am 14. Mai entbunden hat, ist drei Tage lang völlig alleine, der Ehemann ist nicht auffindbar. Es gibt zahlreiche Bemühungen, um die Männer ausfindig zu machen, mit ihnen in Kontakt zu treten. Aber die wichtigste Frage für die Frauen, außer der, wieso ihnen bei der Ankunft an der Mole ihre wenigen Dinge weggenommen wurden, ist die, warum sie überhaupt von den Männern und der Familie getrennt wurden. Man muss viel erklären: Frauen und Kinder, schwangere Frauen sind die verletztlichste Gruppe, der man größte Aufmerksamkeit und am meisten Fürsorge schenken muss. Aber man sollte nicht vergessen, dass, auch wenn es wichtig ist, diese Frauen vor den Menschenhändlern zu schützen, sie trotzdem in der Schwangerschaft ihren Mann brauchen. Und dass es zu Depressionen führt, wenn dies nicht der Fall ist. Man nennt sie die „Lampedusane“, die Frauen von Lampedusa, aber wenn sie dann in Palermo sind, wissen sie überhaupt nicht, wo Lampedusa ist und wo sie in diesem Moment sind. Am ersten Tag, an dem ich sie kennen gelernt und begonnen habe, mit ihnen zu reden, wenn ich sie zu gynäkologischen Untersuchungen begleitet habe und sie von den EKGs wenig verstanden haben, warum sie zum Beispiel oft einem sicheren Kaiserschnitt unterzogen wurden statt einer natürlichen Geburt, die ihnen wesentlich näher läge und ihrem Verhältnis zur Schwangerschaft und Körper mehr entsprechen würde, haben sie mich gefragt, ob sie nicht nach Lampedusa gehen könnten, um ihre Männer zu suchen und da sie ja jetzt im Krankenhaus bleiben müssten, ob nicht ich stattdessen hingehen könnte. So hat alles mit dem Atlas angefangen, den ich noch am gleichen Nachmittag mitgebracht habe: Wir haben zusammen geschaut, wo sich Nigeria im Verhältnis zu Libyen, Libyen im Verhältnis zu Italien, wo sich Lampedusa befindet und wo Palermo, in das sie mit dem Hubschrauber geflogen wurden, direkt ins Krankenhaus, wo sie jetzt sind, ohne auch nur den Namen der Stadt zu kennen. Diese geographische Erläuterung hat erstmal ein Lächeln über den nicht leicht zu realisierenden Wunsch ausgelöst, nach Lampedusa gehen zu wollen. No, Lampedusa no is small! Sie haben gelacht, weil sie verstanden haben, dass es keinen Grund gibt, auf diese Insel zu wollen, die sie jedoch unausweichlich mit dem Schicksal ihrer Männer verknüpfen: but my husband is in Lampedusa. Eine Landkarte und eine Zahnbürste, die sie in sieben Tagen Krankenhausaufenthalt noch nicht von den Krankenschwestern erbitten konnten, den diversen „Mammas“, die um ihre Betten schwirren und die sie auch um Binden, Creme und Aspirin bitten möchten, alles in fortgesetzter Pantomime im 9. Monat Schwangerschaft und mit einem Säugling auf dem Arm. Nach und nach tauchen die Ehemänner auf: die ersten Anrufe erzeugen große Freude, aber nachdem Blessy in der Presse gelandet ist, weil sie Zwillinge auf die Welt gebracht hat, sagt sie beim dritten Interview: I need my husband. Sie ist die einzige, die ihn nicht findet. Man versucht zu erklären, man schaltet Vermittler ein, man ruft Freunde und Aufnahmelager an, es werden die Männer, die irgendwohin gebracht wurden, entdeckt, aber man muss warten: überflüssig, ihnen zu versprechen, dass sie sie bald sehen werden. Auch ich wüsste gerne, wann das sein wird. Aber wenn die Wartezeiten genauso lang sind wie die, die für internationalen Schutz gelten, bezweifle ich, dass die viel geliebten Männer von Mineo oder woanders eine Vorstellung von ihren Neugeborenen haben werden, solange diese wirklich Säuglinge sind. Viele von ihnen wollen aber ihrem Kind nicht einmal einen Namen geben, ohne ihn mit dem Mann ausgesucht zu haben: es tauchen die Namen der Mutter auf oder Namen, die an der Wiege im Krankenhaus erfunden wurden. Hely erinnert sich nicht einmal mehr an das Geburtsdatum ihres Kindes. Das bringt die Sozialarbeiterin auf die Palme, die nun eine gute Ausrede dafür hat, dass „die da“ nur von den Männern abhängen, dass sie zunächst den Nachnamen des Vaters haben, dann den des Ehemanns und dass sie den Mechanismus durchschaut haben, nach dem sie nach Italien einwandern können, wenn sie schwanger sind. Es wäre schön, wenn ihnen auch bewusst wäre, dass sie jetzt in Italien sind und dass sie das Recht haben, hier zu bleiben, noch bevor sie das Kind zur Welt bringen, das sie jetzt fest im Arm halten, aus Angst, dass es ihnen jemand wegnehmen könnte. Die Bäuche verschwinden allmählich: nach Cinthya, ist Joy an der Reihe, auch sie wurde mit einen Kaiserschnitt entbunden, deren Sinn sie nicht verstand. Blessy und ihr Zwillinge, „die dunkelhäutigen Zwillinge der Frau, die mit dem Boot kam“, von denen unsere Presse ständig berichtet, füllen oder unterhalten sie die Presse nur? Schade, dass die Presse nie auf eine andere Blessy aufmerksam wurde, Blessy Solomon, die Blessy, die mit ihrer Familie gekommen ist und von der sich jede Spur verloren hat. Ich suche sie in den Abteilungen des Krankenhauses, nachdem ich einen Anruf aus Rom bekommen habe: der Mann ist in Cuneo und weiß nicht einmal, ob seine Frau entbunden hat. Endlich finden wir sie, nachdem wir ein paar Stunden gedacht haben, dass die Blessy, die Micolle im Boot zur Welt gebracht hat, die Blessy ist, die wir gesucht haben. Seltsamerweise ist Blessy im Krankenhaus als „Blessing“ bekannt. Ich weiß nicht, ob die Schwestern und Ärzte sich ansatzweise bewusst sind, dass im Partizip Präsens des englischen Wortes „blessing“ ein „Segen“ steckt, den jeder Kaiserschnitt darstellt. Es kommen zwei Frauen aus Somalia an: Samsan und ihre Schwester, die nur somalisch und arabisch spricht. Ich rede zuerst mit ihr, bevor ich ihre wunderschöne schwangere Schwester kennenlerne: um in der Nähe ihrer Schwester zu sein, schläft sie am Boden des Krankenhauszimmers, was anscheinend kein Problem ist. Aber sie braucht unbedingt Hautcreme, das sei äußerst wichtig für sie, wie sie sagt. Ich frage nicht weiter nach. Dann stelle ich fest, dass jemand vomUNHCR da war und Informationbrochüren über Asylanträge verteilt hat. Fantastisch. Nur leider hat bis jetzt noch keine verstanden, was das ist, und sie bitten mich, die zuständige Frau beim UNHCR anzurufen, die ihre Telefonnummer für den Fall von Nachfragen dagelassen hat: sie brauchen Flipflops, einen Schwamm und einen Nasenring, ohne den es Jummy nicht aushalten kann. Sie ist die einzige, die noch nicht bald entbinden wird. Sie wird hier bleiben, aber auch die, die schon vor 10 Tagen entbunden haben, sind noch hier und warten auf einen Platz in einem Aufnahmelager. Nur die beiden „berühmten“ Zwillinge und Blessy, die Schwierigkeiten hatte, sie zu stillen, sind weg, ich konnte sie noch rechtzeitig kennen lernen und grüßen, aber Blessy ist jetzt in Piana degli Albanesi. Die eine in Piana, die andere bei Biagio Conte, die dritte im Aufnahmelager Buon Pastore, auf alle Fälle haben sie verstanden, dass sie mich fragen können, ob sie mal telefonieren können: mit dem Bruder in Nigeria, der Mutter in Somalia, der Freundin in Libyen und „my husband“, wo ist der? Die junge Somalierin zieht die internationale Telefonkarte heraus, die sie in Lampedusa bekommen hat, die Nigeranerinnen beklagen sich, nie eine bekommen zu haben. Es beginnt der Kampf, die 5 Minuten internationaler Anrufzeit zu nutzen, um von der Sahara bis ins Horn von Afrika zu telefonieren. Am Schluss bringt ein Anruf beim UNHCR sicher keine Binden und Flipflops, eine sympatische Krankenschwester kann das Kopfweh nicht vertreiben, eine plötzlich eingeschaltete Vermittlerin findet nicht die Plätze im Aufnahmelager, die die Sozialarbeiterin sucht, aber die Kinder sind weiterhin auf der Welt und vielleicht lassen sich auch die Männer wieder auftreiben und schnelle Lösungen finden für die sogenannten Notfälle, die nun schon seit Monaten andauern. In Erwartung einer Vermittlerin, die ständig der Krankenschwester zur Seite steht, in Erwartung von Binden, eines Nasenrings für Jummy und eines Ehemanns gehe ich sie weiterhin besuchen, die „lampedusane“, die von Lampedusa immer noch ziemlich wenig wissen.Marta Bellingreri