„Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!“
Vielleicht müssen wir, um weniger heuchlerisch zu sein, diesen Satz in verschiedene afrikanische Sprachen und Dialekte übersetzen und ihn den ankommenden Migranten zu überreichen (diejenigen, die in der Wüste oder im Meer gestorben sind, haben die Bedeutung dieser Worte, die über Dantes Tor zur Hölle stehen, ja am eigenen Leib erfahren), um ihnen verständlich zu machen, was sie, einmal an den italienischen und europäischen Küsten angekommen, erleiden werden müssen.
Küsten, die immer mehr militarisiert werden, mit Mauern, die immer höher werden und Stacheldrahtzäunen, die denjenigen, die sich weigern die Hoffnung aufzugeben die Hände aufschneiden. Doch die Hoffnung stirbt Tag für Tag und Millionen Menschen verlieren sich in der Stille und werden zu Geistern auf fremder Erden. Ein Wunsch nach Freiheit, der sich in eine andere Form des Gefängnisses verwandelt, denn das System der Aufnahme zielt darauf die raffgierigen Europäer weiter zu bereichern und denkt nicht an die Frauen, Männer und Kinder, die um Hilfe rufen. Wir stellen uns taub und das System, das Schutz geben sollte, lässt keine Hoffnung zu.
Um in Italien zu bleiben, das System des Schutzes ist überall undicht und wenn wir nun die aktuelle europäische Situation hinzunehmen (geschlossene Grenzen und das Schengenabkommen, das sich bewährt hat) wird der Tod im Meer oder in unseren Straßen für die Migranten immer wahrscheinlicher. So auch vor einigen Tagen in Marsala, wo zwei Migranten auf der Straße angefahren und zurück gelassen wurden. Aber da sie Söhne eines niederen Gottes waren, kam kein weiterer Protest oder Empörung auf.
Leider wiederholen sich solche Szenen wie in Marsala immer wieder. Die Migranten werden immer mehr isoliert, sie werden unsichtbar, sie verlieren die Hoffnungen in der eigenen Seele, sie sind zunehmend unfähig auf all die Übergriffe und Unterdrückungen, denen sie ausgesetzt sind, zu reagieren.
In den letzten Tagen waren wir bei den Ankünften in Palermo und Trapani dabei, wo die Strukturen die Zahlen und das Gewicht der Ankünfte, Dank der zahlreichen freiwilligen Helfer am Hafen, gerade noch tragen.
In Palermo hat die Aufnahmemaschinerie die Migranten mit Notunterkünften versorgt, die von der Caritas zu Verfügung gestellt wurden. Dass diese unzureichend waren, ist daran zu sehen, dass die Migranten das CAS* sofort wieder verließen und sich auf machten eigene Ziele zu verfolgen. Unter ihnen viele syrische Familien.
In Trapani wurde das berühmte CARA** von Salinagrande, das von tausenden Migranten durchlaufen wurde, nun endgültig geschlossen. Es galt als das Symbol des italienischen Aufnahmesystems, in dessen Mauern der Weg so vieler Asylbewerber endete, fern von allem und jedem, viele Jahre lang.
Die Präfektur hat den Kampf nach 6 Monaten Aufschub gewonnen und hat das Ministerium überzeugt das CARA zu schließen und neue Zentren zu errichten, viele davon in Marsala, denn dort ist die Hochburg der Untergebrachten in der Region Trapani, oder alte CAS wieder zu eröffnen, die in irgendeiner Art Problem mit der Verwaltung hatten, wie z.B. das in Poggioreale.
Am 10. Juli waren wir in Agrigento, um die Möglichkeit zu überprüfen einige Einrichtungen zu kontrollieren, denn nach langer Zeit wurden wir dazu autorisiert. Während der Zeit des Wartens bis wir schließlich freien Zugang von der Präfektur bekamen, haben wir mehr als ein nur paar afrikanische Jungen vor dem Eingang des Gebäudes bemerkt. Wir sprachen mit einigen von ihnen und auch mit der Mediatorin, die sie begleitete. Wir haben erfahren, dass sie in der Einrichtung Next Project in Aragona untergebracht waren und nach Agrigento gekommen waren, um gewaltfrei zu protestieren. Der Grund ihrer Unzufriedenheit und ihres Frustes war das Fehlen eines Anhörungstermins bei der regionalen Kommission. Wie wir hörten, waren sie alle (hauptsächlich aus dem Senegal, Nigeria und Ghana stammend) im März 2014 auf Lampedusa angekommen und wurden dann nach Aragona verlegt. Seitdem warten sie auf die Vorladung der Kommission, die bisher nicht eingegangen ist und sie somit in einer ewig stillstehenden Warteschleife der Unsicherheit festhält. Es wurde sich auch über Spannungen innerhalb der Einrichtung, aufgrund von fehlenden Dokumenten, beschwert: die Untergebrachten fühlen sich unverstanden und machtlos und laden ihren Frust bei den Mitarbeitern ab; Frust der auch dem dürftigen Essen und der unregelmäßigen Ausgabe des Taschengeldes geschuldet ist, wie die Jungen einstimmig berichten.
Die Gruppe wurde schließlich über einen Repräsentant und einem Verantwortlichen der Einrichtung von einem Funktionär der Präfektur angehört, dieser leitete Verbindlichkeiten bezüglich eines Anhörungstermins. Er garantierte ihnen einen Termin zwischen Juli und August. All das zeigt, dass die Einrichtung der neuen regionalen Kommission in Agrigento, wie vorher gesehen, alles verlangsamt hat, es kann fast zwei Jahren dauern bis die Asylbewerber angehört werden oder ihre Papiere in Händen halten. Der letzte Punkt bleibt jedoch eine große Illusion, denn in dem Großteil der sizilianischen CAS und nicht nur (auch in den SPRAR***) passiert nichts, um Prozesse der Interaktion voran zu treiben, es hält sich nur die Wut und der Frust, die unsichtbare Verzweifelte kreieren, die nicht selten, wie vor Kurzem in Modica, zum Selbstmord führen.
Am 11. Juni haben wir Pozzo di Giacobbe besucht. Das kleine Zentrum befindet sich außerhalb von Aragona und ist seit 2013 in Betieb. Hier kommen aktuell 17 Männer unter, die aus Bangladesh, Pakistan, Nigeria, Gambia, Senegal, Ghana, Mali und Eritrea kommen (darunter ein Dublin Fall). Das Zentrum ist in optimalen Zustand, sauber, halbwegs geräumig. Die kleine Anzahl der Untergebrachten vereinfacht den menschlichen Umgang und den gegenseitigen Respekt zwischen Bewohnern und Mitarbeitern, besonders mit dem Sozialassistenten, der während unseres Besuches anwesend war. Der vereinbarte Vertrag zwischen Präfektur und CAS wird in allen Punkten eingehalten. Aber auch hier gibt es, wie am Vortag von den Jungen von Next Project berichtet, viel Frustration auf Seiten der Bewohner, weil sie noch keine Anhörungstermine haben. Ein pakistanischer Bewohner hat dieses Problem besonders aufgeworfen und die Folge waren psychische Nachwirkungen (Schlafstörungen, Rastlosigkeit, Angst), die in Frustation münden, auch in Verbindung mit einem Gefühl der Machtlosigkeit nicht in der Lage zu sein der eigenen Familie helfen zu können, die im Heimatland zurück geblieben ist und die zum Großteil von den Hilfe ihrer Verwandten in Europa abhängig sind.
Die langen Wartezeiten, der Stillstand, die Machtlosigkeit und der Frust führen häufig, wie auch während unserer Besuche, zu Konflikten mit den Mitarbeitern der Zentren, denn sie sind diejenigen, die zu den Migranten den engsten und direktesten Kontakt haben. Eine oft paradoxe Situation, bei der nicht die Praktiken der Mitarbeiter im Zentrum stehen, welche zwischen den Gästen und der Institution vermitteln und so weit wie möglich filtern müssen, sondern es geht um die Verzweiflung der ersten und die Ineffizienz der zweiten. Auch in anderen Zentren der Region bestehen weiterhin einige kritische Punkte, wie die Dezentralisierung der CAS und die daraus folgende Isolierung der bewohnten Zentren auch von Dienstleistungen, so bleibt die Interaktion und Integration zwischen Migranten und Einwohnern schwierig.
Die einzige Interaktion ist für die Italiener von Vorteil, denn so wie es häufig passiert, nutzen sie die verzweifelte Arbeitskraft der Migranten, um bei wenig Ausgaben ein gutes Resultat zu erzielen. Wenige Euro am Tag für 12 Stunden Arbeit, so in Marsala, Aragona und in ganz Sizilien. Häufig führt das Fehlen der Dokumente dazu, dass der Migrant als Schachfigur benutzt wird und von gewissenlosen Menschen, die zu allem fähig sind, wenn es um einen höheren Ertrag geht, erpresst wird. Und dieses italienische Aufnahmesystem erlaubt es diesen herzlosen Menschen nicht nur, es belohnt die besonders Unbarmherzigen sogar!
In Agrigento sind am 10. Juni 384 Migranten angekommen und nachdem sie die Hygieneprozedur durchlaufen und in der berühmten Zeltstruktur von Porto Empedocle untergebracht waren, wurden sie bald in die Nähe von Villa Sikania verlegt worden. Auch hier sind viele, nachdem sie sich nach der langen Reise über das Meer ausgeruht und gestärkt hatten, aufgebrochen, um eigene Ziele zu verfolgen, wahrscheinlich Richtung Nordeuropa, während eine große Anzahl noch dort geblieben ist. Villa Sikania ist ein Umverteilungszentrum der Präfektur von Agrigento und von dieser Einrichtung aus, die verwaltet wird durch den Verein Cometa, der mit Acuarinto verbunden ist und in der Zeit zwischen Juli bis Dezember 2014 allein 2 Millionen Euro bekommen hat, werden sie weiter verteilt.
Die Zahl der Syrer ist sehr hoch, auch mit kleinen Kindern. Desweiteren sind es vorwiegend junge Männer aus dem Senegal, Nigeria, Bangladesh, Gambia und Mali. Die Abfahrt einiger wurde jedoch verzögert, aufgrund der Ankunft hunderter Personen, die kürzlich auf Lampedusa angekommen sind. Der Einsatz Platz auf der Insel zu schaffen wird den Austausch von Migranten mit einigen Gästen von Villa Sikania vorsehen. Während zuvor in Agrigento und im Umland die Identifikation noch nicht abgeschlossen werden konnte, diese wird nun auf dem Parkplatz vor Villa Sikania durchgeführt. Die meisten geben ihre Fingerabdrücke ohne jeden Protest, während die Syrer dazu neigen sich dagegen zu wehren und als erste ihre Reise Richtung Norden fortsetzen.
Viele haben die Hoffnung bereits verloren, aber zum Glück hat hier und da noch jemand den Willen zu weinen und weiter zu träumen, trotz der tödlichen Langsamkeit.
Caterina Bottinelli – Alberto Biondo
Borderline Sicilia
*CAS: Centro di accoglienza straordinaria, außerordentliches Aufnahmezentrum
**CARA: Centro di accoglienza per richiedenti asilo: Aufnahmezentrum für Asylsuchende
***SPRAR : Sistema di protezione per rifugiati e richiedenti asilo: Schutzsystem für Asylsuchende und Flüchtlinge, kommunales Aufnahmesystem auf freiwilliger Basis
Aus dem Italienischen übersetzt von Viktoria Langer