Harte Zeiten für die Caritas Palermo: die Grenzen der Gutwilligkeit
Auch wenn es schwer fällt während eines Notstandes das Adjektiv ‘organisiert’ zu verwenden, schienen die von der Caritas geleiteten Aufnahmezentren doch immer recht ordentlich. Freiwillige Mitarbeiter erwarteten ankommende Flüchtlinge am Hafen, mit Wasser und Sandalen. Dann wurden die Flüchtlinge in die verschiedenen Strukturen, entweder in das „Villaggio Ruffini, in die Kirche San Carlo oder nach Falsomiele, gebracht, wo ihnen meist Dusche, Kleidung und Essen angeboten wurde. Auch die Pfarrei Brancaccio stellte Unterkünfte zur Verfügung, um während der Sommermonate den ständigen Neuankünften gewachsen zu sein.
Danach wurden Verlegungen in verschiedene Erstaufnahmezentren und in Außerordentliche Aufnahmezentren vorgenommen. Die Außerordentlichen Aufnahmezentren von San Carlo/Santa Rosalia, San Curato d’Ars und etwas außerhalb von Palermo das Zentrum Giacalone waren für einen dauerhaften Aufenthalt vorgesehen. Unsicher war lediglich der Verbleib im Punto Incontro Giovani, welches wegen einer fehlenden Verlängerung kurz vor dem Ende stand. Die Personen, welche hier gegenüber der Villa Julia, bis vor einem Monat untergebracht waren, wurden alle schnell in andere Zentren übersiedelt und neue Migranten, welche unter Krätze litten, sind für einige Tage hier untergebracht worden. Es war ebenfalls vor einem Monat, als das System zu schwanken begann.
Die Nichteignung und das Nichtbestehen von Erstaufnahme-Strukturen in der sizilianischen Hauptstadt ist offensichtlich. Die von der Kurie geleitete Einrichtung in Ruffini wurde geschlossen, wie es scheint auf Grund von Ärger in der Nachbarschaft. Schon seit einiger Zeit gab es Beschwerden über Lärm und über das‚ fehlenden Schamgefühl‘ der Flüchtlinge, während sie sich duschen. Vielleicht um Respekt gegenüber den Nachbarn zu demonstrieren, wurde dafür gesorgt, dass nur noch das Badezimmer im Erdgeschoss benutzt wird, dessen Fenster von den angrenzenden Wohnungen aus nicht direkt ersichtlich sind. Aus demselben Grund, wurden wahrscheinlich auch die Duschen im Hof des Gebäudes abgebaut. Obwohl ungeeignet, war diese Struktur die einzige, die ausschließlich für die Erstaufnahme (während der ersten 48-72 Stunden nach Ankunft) benutzt wurde. “Zum Glück” hat es seit dem 24. September keine weiteren Ankünfte in Palermo gegeben.
Am 10. September gegen 21 Uhr kamen Polizisten nach San Carlo und überbrachten ein Schreiben der Präfektur. Panik machte sich breit unter den Flüchtlingen, die sofort verstanden, dass es im Brief um ihre Umsiedlung ging. Aber sie konnten es nicht glauben, als man ihnen sagte, dass es sich dabei um eine freiwillige Umsiedlung handle. Es schien als müssten sie am folgenden Tag aufbrechen. “Ich bin aus Palermo”, sagte einer von ihnen auf Italienisch und erklärte, dass er nicht weggehen wolle. Ich fragte, wieso sie der Angelegenheit so misstrauten, handle es sich doch um eine Übersiedlung aus freiem Willen. Die Männer berichten, dass sie gesehen haben, wie Pfarrer Sergio am selben Abend mit zwei Frauen des Zentrums aufgebrochen ist. “Er hat sie weggebracht weil er nicht wollte, dass sie von der Polizei abgeholt werden. Würde es sich um eine freiwillige Übersiedlung handeln, hätte es ausgereicht, dass sie die Verlegung ablehnen.” Ich vermute, dass es sich bei den beiden Frauen um jene zwei Personen handelt, welche einige Tage zuvor, nach ihrer Verlegung in eine andere Einrichtung, wieder ins Außerordentliche Aufnahmezentrum von Palermo zurückgekommen sind. Ein anderer Bewohner meint, “Ich glaube, wenn es von der Polizei durchgeführt werden muss, wird es schon seine Richtigkeit haben.” Es herrschte Chaos. Aber am nächsten Tag (Donnerstag) hat sich nichts getan und auch nicht am übernächsten. Die Männer haben angefangen die gepackten Koffer wieder auszupacken. Der tägliche Aufschub der Abreise hat begonnen. Zuerst schien es, als würden einige Mitarbeiter die Männer zu einer Verlegung in ein anderes Zentrum ermutigen, danach haben andere die Entscheidung einiger Migranten, im San Carlo zu bleiben, begrüßt.
Schließlich war klar, dass es sich bei den angekündigten Umsiedelungen, um Verlegungen in Schutzeinrichtungen für Asylantragsteller und Flüchtlinge (SPRAR) handelt. Als dann auch deutlich wurde, was eine Schutzeinrichtungen für Asylantragsteller und Flüchtlinge ist und welche Dienste sie Migranten bietet, änderten einige Skeptiker plötzlich ihre Meinung und konnten es nicht mehr abwarten zu gehen. Die Möglichkeit einen Italienischkurs zu besuchen und Zugang zur Arbeit zu haben klingt verlockend. Aber der Hauptgrund für ihren Sinneswandel war die Aussicht auf ihre Dokumente. Einige Bewohner hatten einen Mitarbeiter, der vielleicht erschöpft war von den vielen Fragen, sagen hören, dass sie hier im San Carlo keine Zeit hätten, ihre Asylverfahren zu verfolgen.
In der Tat scheinen die Mitarbeiter fast immer sehr vielbeschäftigt. Aus diesem Grund musste ein Ägypter mit besonderen Bedürfnissen zwei Wochen auf einen Rollstuhl warten und aus demselben Grund konnte ein Flüchtling nicht zu einer Visite ins Krankenhaus begleitet werden, obwohl er wiederholt Begleitung angefragt hatte. Als Letzterer alleine und zu spät im Krankenhaus eintraf musste er folglich einen neuen Termin für seine Visite beantragen. Keiner der Angestellten schien Zeit zu haben ihn zu begleitet. Eine Mitarbeiterin hatte dem Mann sogar gleich empfohlen mich anzurufen, um mich zu fragen, da ich doch mit ihm befreundet bin. Wenn man sich bereits an die Freunde der Migranten wendet, kann man sich vorstellen welcher Personalmangel und welche Überbelegung im Zentrum herrschen muß. Aber dies scheinen nicht die einzigen Probleme der Strukturleitung zu sein.
Nach dem Kontrollbesuch von UNHCR (Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen) wurden einige der Betten ins Durchgangszimmer, welches an das Büro angrenzt, gebracht, da die Inspektoren befunden haben, dass zu viele Personen pro Zimmer untergebracht sind. Aber nicht alle Anordnungen wurden umgesetzt. Obwohl die Vertreter von UNHCR bei ihrem oben erwähnten Besuch dringlichst empfohlen haben Informationsunterlagen zur Rechtslage der Migranten auszuteilen, wurden noch keine Fotokopien gemacht. Weitere Kritik hebt nicht nur die Schwächen der Caritas, sondern die Schwächen des Aufnahmesystems im Allgemeinen hervor. Ein Beispiel dafür ist der oben beschriebene Aufenthalt eines Menschen mit besonderen Bedürfnissen in einer nicht dafür ausgestatteten Einrichtung. Oder der mittlerweile viermonatige Aufenthalt eines Nigerianers der unter offensichtlichen psychischen Beschwerden leidet.
Unterdessen haben die Verlegungen begonnen und die Bewohner verlassen die Einrichtung in kleinen Gruppen, je nach Verfügbarkeit der Schutzeinrichtungen für Asylantragsteller und Flüchtlinge. Einige der frei gewordenen Plätze im San Carlo wurden von Migranten, welche zuvor im Zentrum Giacalone untergebracht waren, neu besetzt. So habe ich erfahren, dass Giacalone geschlossen wurde. Weshalb? Einige der ehemaligen Bewohner berichten mir, dass die Einrichtung vor einiger Zeit ohne Köche da stand. Daraufhin hat Don Sergio vier Bewohner in der Küche eingesetzt gegen eine Entschädigung von 400 Euro im Monat. In den ersten zwei Monaten wurden die neuen Köche wie vereinbart bezahlt während sie den dritten und vierten Lohn nur nach mehrfachem Drängen und mit langer Verspätung erhalten haben. Die betroffenen Asylantragsteller haben sich danach geweigert weiterhin den Küchendienst zu übernehmen. Wenig später haben die Verlegungen begonnen.
Die Abfahrten vom San Carlo hingegen gehen stockend weiter bis heute (8. Oktober 2014). Ursachen dafür sind unvorhergesehene Meinungsänderungen der direkt Betroffenen, zu Ende gehende Verfügbarkeit der Schutzeinrichtungen für Asylantragsteller und Flüchtlinge oder verspätete Mitteilung von Seiten des Zentralen Dienstes. Jene Bewohner die bis heute geblieben sind, sind sehr gestresst. Sie haben weder gewusst an wen sie sich wenden sollen noch wer Schuld an dem Ganzen hat. Gewiss jedoch haben sie jegliches Vertrauen zu den Mitarbeitern verloren und das nicht nur auf Grund der andauernden Umsiedlungsmaßnahmen. Drei Mal hintereinander wurden Migranten von einem Mitarbeiter aufgefordert die Dokumente “zur Bestätigung der Einverständnis zur Verlegung” zu unterschreiben. Jedes Mal waren die Betroffenen gezwungen sich mit ihrer baldigen Abreise zu konfrontieren. Ein schmerzhafter Prozess, denn in ihrem Fall handelte es sich um die Entscheidung zwischen einer unbequemen Gegenwart und einer ungewissen Zukunft. Mir haben sie die berüchtigte Liste gezeigt und mich gebeten aus dem Italienischen zu übersetzen: September 2014: Hem-den, Sandalen, Zahnpasta, Shampoo, Hosen, Zahnbürste … Die Männer waren entrüstet und haben erklärt viele der in der Liste aufgezählten Artikel nicht erhalten zu haben. Von diesem Moment an hat sich der Wunsch zu gehen in Eile und Unduldsamkeit verwandelt. Ich habe gesehen, wie sich das Verhalten der Bewohner des Zentrums verändert hat, wie sie immer unhöflicher geworden sind. “No buono”, nicht gut, ist zum meist gebrauchtesten Ausdruck geworden. Die direkte Kritik gegenüber Mitarbeitern und der Verantwortlichen haben die Atmosphäre in der Einrichtung belastet. Die Mitarbeiter sind ungeduldig geworden und beschweren sich über fehlenden Respekt von Seiten der Bewohner. Ein Mitarbeiter ist dabei so weit gegangen, dass er mit der Möglichkeit drohte, besonders unangenehme Bewohner in die Heimat zurück schicken zu lassen (in Wirklichkeit unmöglich), da sie gewalttätig und ungeeignet sind, sich in die italienische Gesellschaft integrieren zu lassen. Der Vorschlag des Mitarbeiters entblößt nicht nur die Verschärfung der Lage, sondern auch den Mangel an Fachkompetenz mancher Mitarbeiter.
Redaktion Borderline Sicilia
Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner