Gespräch mit dem stellvertretenden Bürgermeister von Lampedusa und Linosa, Damiano Sferlazzo
Lampedusa, 28.7.2012
Im Mai wurde eine neue Bürgermeisterin und damit ein neues Stadtparlament gewählt. Dino de Rubeis, der selber schon mehrfach wegen Amtsmissbrauch und Veruntreuung vor Gericht stand, musste gehen. Die neue Bürgermeisterin ist die Präsidentin der Umweltorganisation Legambiente. Die neue Verwaltung ist seit ca. eineinhalb Monaten im Amt.
Ankünfte
Sferlazzo berichtet, dass es am 27.7. zwei Anlandungen auf Lampedusa gegeben habe. Bei der ersten seien 41 Personen am frühen Morgen angekommen. Das Boot soll in Tunesien gestartet sein. An Bord waren nach seinen Informationen (die nicht ganz der der Presse entsprechen) 19 Algerier, 21 Tunesier und ein Marokkaner. Während wir uns unterhalten erhält er weitere Informationen von einem Mitarbeiter des Aufnahmezentrums in der Contrada Imbriacola: einer der Angekommenen leidet unter Diabetes und musste behandelt werden, die anderen 40 wurden sofort mit der regulären Fähre nach Porto Empedocle, Sizilien, eingeschifft.
Am selben Abend erreicht ein zweites Boot mit 19-20 Tunesiern die Insel. Auch sie werden ins Zentrum gebracht. Zum Zeitpunkt des Gesprächs befinden sich also 21 Migranten im Aufnahmenzentrum.
Contrada Imbriacola – Wiedereröffnung, Leitung, Art der Erstaufnahme
Das Zentrum wird immer noch vom Verein „Lampedusa Accoglienza“ geleitet, der Direktor ist weiterhin Federico Miragliotta. Erst vor kurzem gab es ein Treffen mit ihm, mit Cono Gallipò, dem Präsidenten der Kooperative, zu der Lampedusa Accoglienza gehört, und der Kommune, um das weitere Vorgehen der Leitung des Zentrums zu besprechen. Nach der Schließung im September 2011 wurde es mit einer Kapazität von ca. 300 Plätzen am 3.7.2012 wieder eröffnet.
Seit Dezember 2011 erhalten die Angestellten keine Zusatzzahlung mehr von Arbeitsamt. Zurzeit arbeiten immer vier Mitarbeiter pro Woche auf Abruf. Sie müssen in dieser Woche 24 Stunden erreichbar sein, um bei Anlandungen bereit zu stehen. Es handelt sich um prekäre Arbeitsverhältnisse, denn wenn die in einer Woche eingeteilten Personen aufgrund von anderen Arbeiten, die sie zum Lebensunterhalt annehmen müssen, nicht erreichbar sind, werden sie entlassen. Zu diesem Thema wurde eine Sitzung in Palermo einberufen, doch die dazu bestellten Gewerkschafter haben sich nicht dorthin bemüht.
Sferlazzo berichtet weiterhin, dass das Projekt PRAESIDIUM bis zum Jahresende verlängert worden sei, sich aber bisher keine der beteiligten Organisationen auf Lampedusa eingefunden habe (IOM, UNHCR, SAVE THE CHILDREN, evtl. ROTES KREUZ ITALIEN (CRI)). Am nächsten Tag solle der Mediator von IOM ankommen. (Bei unserer Abreise am 1.8. haben wir auch einen Mediator von SAVE an der Mole gesehen).
Lampedusa ist “kein sicherer Hafen”
Für die Wiedereröffnung des Zentrums sollte es eigentlich eine Feier geben, bei der auch die Innenministerin Cancellieri anwesend sein sollte. Doch dazu ist es nicht gekommen.
Nach Sferlazzo könnte dies seinen Grund in der immer noch nicht erfolgten Aufhebung der Verlautbarung der Regierung, Lampedusa sei „kein sicherer Hafen“ liegen. Das birgt natürlich einen großen Widerspruch: ein wieder eröffnetes Erstaufnahmelager auf einer Insel, die „als nicht sicherer Hafen“ deklariert wurde. Der stellvertretende Bürgermeister hofft, dass diese Deklaration baldigst zurückgenommen wird. Vor ca. 20 Tagen habe sich die Bürgermeisterin Giusi Nicolini mit Vertretern des Innenministeriums getroffen und gefordert, dass mit der Eröffnung des Zentrums dieser Status aufgehoben werde. Aber die Antwort steht immer noch aus.
Cala Creta als “Aufnahmezentrum”
Wir fragen Sferlazzo auch nach den Aufnahmebedingungen in der Touristen-Residence Cala Creta, in der die Ankommenden bis vor kurzem mangels Aufnahmezentrum untergebracht wurden. Er beschreibt die Situation als Notstand und schlecht organisiert. Es habe kein Fachpersonal gegeben, aber die Caritas, für die er zu der Zeit (vor den Bürgermeisterwahlen) noch als Referent tätig war, habe versucht, den Flüchtlingen zu helfen, ihnen Kleidung und Nahrung zu bringen und man habe auch versucht, Druck auf die Behörden auszuüben, um die Flüchtlinge in andere Orte verlegen zu lassen. Er habe auch die nationale Caritas mit einbezogen, um mehr politischen Druck aufzubauen, doch es habe nichts genützt.
Erst nachdem die somalischen Flüchtlinge in einen Hungerstreik traten und im Dorf mit selbstgemalten Schildern protestierten, bewegte sich auch der damalige Bürgermeister Dino de Rubeis. „Das musste ein Ende haben, wir mussten unsere, aber auch die Würde dieser Flüchtlinge verteidigen“, so Sferlazzo.
Der neue Umgang mit der Migration
Sferlazzo berichtet, dass die neue Bürgermeisterin Giusi Nicolini direkt nach ihrem Amtsantritt mit verschiedenen Vertretern und Verantwortlichen zum Thema Migration gesprochen hat. Für die neue Verwaltung auf Lampedusa muss die Insel ein Ort der Aufnahme sein, das steht außer Diskussion. Allein geographisch wird Lampedusa immer ein Ort des Verweilens bleiben. Natürlich ist es nicht möglich, Migranten auf der Insel zu integrieren. Es gibt ca. 6.200 hier gemeldete Einwohner, oft fehlt es an Wasser und Nahrungsmitteln, wenn die Schiffe nicht ankommen, und es gibt nicht einmal ein richtiges Krankenhaus. Aber es muss immer die Möglichkeit bestehen, hier anzukommen, zu verweilen und nach einem Aufenthalt weiterzureisen.
Die Situation des letzten Jahres darf sich natürlich nicht wiederholen. Die Regierung hat Tausende von Migranten auf der Insel belassen und damit eine enorme Spannung verursacht. Er berichtet von einem Tunesier, der letztes Jahr angekommen ist und sich entschied, auf der Insel zu bleiben. Für einige Monate hat er auf Lampedusa gelebt, erst im Winter hat er verstanden, dass es unmöglich ist, hier Arbeit zu finden und ist mit der Hilfe einiger Lampedusaner nach Rom umgezogen.
Tourismus und Migration – was wird sich mit der neuen Verwaltung ändern?
Sferlazzo erzählt, dass sie nach der Wahl eine Situation vorgefunden haben, die sich weitaus schlimmer darstellte als erwartet. Das bestätigt auch ein Beigeordneter, der uns bei dem Gespräch Gesellschaft leistet. Nun sind sie damit beschäftigt, alles von Null an aufzubauen: die bürokratische Maschinerie der Kommune funktionierte überhaupt nicht mehr, gar nichts lief mehr. So müssen sie nun erstmal alle anderen, grundsätzlichen Probleme angehen, eine funktionierende Struktur schaffen, bevor sie sich mit einzelnen Themen beschäftigen können. Auch wenn schon eine Menge Projekte in Planung waren, können diese erst einmal nur auf Eis gelegt werden, bis die Stadtverwaltung wieder richtig arbeitet. „Wir müssen diese Maschinerie strukturieren und vor allem die Angestellten motivieren.“ Als erstes muss einmal das sinnlose Geld-Rauswerfen gestoppt werden. Er gibt ein Beispiel: ein Angestellter der Kommune, z.B. ein Beirat, ein Gemeindesekretär, kann nicht mehr 200.000 Euro im Jahr verdienen, Lampedusa bietet diese hohen Verdienstmöglichkeiten nicht. Die Löhne müssen den finanziellen Möglichkeiten dieser Insel angepasst werden, und die sind im Moment desaströs.
Die nächsten Schritte, ein ökologisch vertretbarer Tourismus und das Thema Migration, müssen gemeinsam mit den Lampedusanern angedacht werden. Im Winter sollen Gruppen und Einzelpersonen zusammengerufen werden, um gemeinsam Konzepte zu entwickeln.
Natürlich sind auch die Flüge von enormer Wichtigkeit für Lampedusa. Die Eröffnung des neuen Flughafens allein darf nicht zum Anstieg der Touristenzahlen führen, vorher müssen Konzepte für eine neue Art des Tourismus her.
Die Frage der Flüge bleibt kritisch. Die Fluggesellschaft Meridiana wird (wie jedes Jahr) nach sechs Monaten neue Verträge verhandeln, das heißt, die Flüge werden Ende Oktober eingestellt. Doch dann soll es endlich eine öffentliche Ausschreibung für alle Fluggesellschaften geben, die sich um Flüge nach Lampedusa bewerben können. Vielleicht kommt auch ein Gemeinschaftsprojekt über drei Jahre zustande, das würde sehr helfen.
Ex-Militärbasis LORAN, Frontex, Ordnungskräfte, Wasser, Krankenhaus
Laut Aussage des stellvertretenden Bürgermeisters ist die LORAN-Basis (die als Zweitlager für Flüchtlinge diente) derzeit geschlossen und alle weiteren Sanierungsarbeiten sind gestoppt. Die dort noch liegenden Flüchtlingsboote werden in den nächsten zwei Monaten zur Verschrottung nach Sizilien gebracht.
Über FRONTEX und deren Einsatzzentrale auf der Insel Pantelleria weiß Sferlazzo nichts, aber er wird sich darüber informieren.
Die Anzahl der Ordnungskräfte ist deutlich zurückgegangen und hat sich auf das „vor 2011“-Niveau eingependelt.
Trinkwasser ist und bleibt ein Problem. Es muss aus Sizilien gebracht werden, dafür bestehen Verträge mit der Landesregierung. Auf Lampedusa gibt es vier große Zisternen, die mit Wasser aus den Trinkwasserschiffen gefüllt werden. Oftmals kommen die Schiffe nicht, auch fehlt es an Mitarbeitern. Als sich die neue Stadtregierung bildete fehlte es an so genannten „Wassermännern“, an Fachleuten, die sich um die Leitungen und die Zisternen kümmern. Aufgrund eines kaputten Leitungsrohres ist ein ganzes Stadtviertel ohne Wasserversortung geblieben. Auch das ist ein wichtiges Thema, wenn es zu vielen Anlandungen kommt.
Für den Ausbau des Krankenhauses der Insel solle man lieber kleine Schritte machen, so Sferlazzo. Es wäre schön, ein richtiges Krankenhaus zu haben, aber es nützt nichts, wenn es dann nicht richtig funktioniert. Also ist es besser, erstmal mit dem Ausbau einzelner Abteilungen anzufangen, z.B. für die chronisch Kranken (z.B. Chemotherapie). Wenn sie diese auf der Insel machen könnten, müssten sie den Stress und die Kosten für die Flüge nach Palermo nicht mehr tragen.
Das Gespräch führte Judith Gleitze, Borderline Sicilia/borderline-europe