Für eine sichere und würdevolle Aufnahme von Migrant*innen. Schluss mit den Quarantäneschiffen

Artikel vom 04. März 2022

Seit der Inbetriebnahme von Quarantäneschiffen sind fast zwei Jahre vergangen und im Laufe der Zeit haben sich ernsthafte Missstände aufgezeigt. Diese wurden von den Mitarbeiter*innen des Roten Kreuzes, die vor Ort institutionell im Einsatz sind, bestätigt.

Wir weisen zum einen auf die Hindernisse hin, die dem Zugang zur Beantragung von internationalem Schutz in den Weg gestellt wurden. Diese stehen im Zusammenhang mit den Praktiken an der Grenze in Zeiten vor der Corona-Pandemie. Zum anderen weisen wir auf das Fehlen von Sicherheit im Zusammenhang mit dem Entzug der persönlichen Freiheit, auf den Mangel an Dienstleistungen, auf die ungerechtfertigten langen Aufenthaltszeiten und auf die unzureichenden hygienischen Bedingungen hin. Darüber hinaus zeigen wir den Umstand auf, dass unbegleitete minderjährige Geflüchtete und vulnerable Personen sich immer noch an Bord der Schiffe befinden, statt deren Rechte in angemessener Weise, zu angemessener Zeit und an einem angemessenen Ort zu gewährleisten. Die Verfahren haben sich in den letzten Monaten nicht wesentlich geändert und es bestehen weiterhin schwerwiegende Mängel bei der Wahrung der Rechte von Personen, die im Staatsgebiet ankommen.

Mit diesem Appell fordern wir die Regierung, das Innenministerium, das Gesundheitsministerium und alle weiteren Beteiligten auf, die Quarantäneschiffe abzuschaffen und Verfahren einzuführen, die die Sicherheit, das Recht auf Asyl, die persönliche Freiheit und die menschenwürdige Aufnahme der Personen, die auf italienischem Staatsgebiet ankommen, zu gewährleisten.

Die Verwendung von Quarantäneschiffen ist eine diskriminierende Praxis, die die Grundrechte ausländischer Bürger*innen, die dieser Praxis ausgesetzt sind, missachtet. Vor allem das Recht auf Gesundheit wird verletzt, wie die zahlreichen Aussagen von Migrant*innen und Arbeiter*innen an Bord der Schiffe sowie die Todesfälle von Bilal Ben Massaud, Abou Diakite und Abdallah Said zeigen.

Diese Maßnahmen erscheinen umso diskriminierender, wenn man sie im Licht des jüngsten Erlasses des Gesundheitsministeriums vom 22. Februar 2022 betrachtet. Dieser sieht für die Einreise von italienischen oder ausländischen Staatsangehörigen eine fünftägige Quarantäne nur dann vor, wenn die notwendigen Dokumente nicht vorhanden sind. Unter diesem Gesichtspunkt wird die unangemessene Ungleichbehandlung verdeutlicht, denn die Verfahren für ausländische Staatsangehörige, die auf dem Seeweg ankommen, unterscheiden sich deutlich von denen für ausländische Staatsangehörige, die auf anderem Weg in Italien einreisen.

Die Menschen auf den Quarantäneschiffen sind nach wie vor stark isoliert, ohne unmittelbaren Zugang zum italienischen Staatsgebiet und ohne umfassenden und angemessenen Zugang zu Informationen über ihre Rechte und deren Inanspruchnahme, ohne angemessen Rechtsschutz durch Fachpersonal, ohne wirksamen Schutz für vulnerable Menschen und ohne Zugang zu professionellen Hilfsdiensten.

Die notwendige Berücksichtigung des Schutzes des Rechtes auf individuelle und kollektive Gesundheit sollte durch andere Maßnahmen durchgesetzt werden. Diese sollten in erster Linie die Wahrung der Grundrechte der ankommenden Personen sicherstellen. Die Maßnahmen würden im Übrigen keine höheren Kosten verursachen als die Quarantäneschiffe, die nicht immer nach transparenten, klaren und effizienten Kriterien eingesetzt werden.

Es erscheint angebracht, Verfahren zum Schutz der Gesundheit aller Personen festzulegen, die keine Quarantäneschiffe vorsehen und keine differenzierten Verfahren für ausländische Staatsangehörige beinhalten. Nur so kann sichergestellt werden, dass ankommende Migrant*innen unverzüglich aufgenommen und im Falle eines positiven Testergebnisses angemessen behandelt werden. In dieser Phase müssen die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Asylrechts, der Zugang zu Kulturmittlern und Nichtregierungsorganisation, das Recht auf persönliche Freiheit und das Recht auf Interessenvertretung gewährleistet sein.

Zwei Jahre nach dem Beginn der Pandemie gibt es keine Rechtfertigung für Notfallmaßnahmen, die die Würde der Menschen und deren Aufnahme gefährden. Außerdem gibt es keine Rechtfertigung für eine Weiterentwicklung und Ausweitung des Hotspot-Ansatzes und die sich daraus ergebenden Verstöße, die schwerwiegende Folgen für das Leben der betroffenen Menschen beinhalten.

Aus diesem Grund fordern wir die Regierung auf, das System der Quarantäneschiffe ein für alle Mal zu beenden und Aufnahmeverfahren für Migrant*innen einzuführen, die den humanitären Standards eines Landes entsprechen, das sich selbst zu einem Ort „deklariert“, an dem das Recht auf Asyl und die Grundrechte aller Menschen geschützt werden.

 

3. März 2022

 

 

Unterzeichnende

Asgi (Associazione per gli studi giuridici sull’immigrazione – Verein für juristische Studien zur Immigration)

Borderline Sicilia

CISS (Cooperazione Internationale Sud Sud – Internationale Zusammenarbeit Süd Süd)

LasciateCIEntrare

Meditteranean Hope Lampedusa

Ambasciata dei Diritti Ancona (Botschaft der Rechte Ancona)

Arci Porco Rosso Palermo

Associazione Lungo la Rotta Balcanica (Verein entlang der Balkanroute)

Associazione per la Pace Padova (Verein für Frieden Padua)

borderline-europe

Bozen Solidale (Solidarisches Bozen)

Centro diaconale La Noce (Diakonisches Zentrum La Noce)

Consulta per la pace, la nonviolenza, i diritti umani, il disarmo (Beratung für Frieden, Gewaltlosigkeit, Menschenrechte, Abrüstung)

Emmaus Palermo odv

FOCSIV/Federazione Organismi Cristiani Servizio Internazionale Volontario (Föderation der internationalen christlichen Freiwilligendienstorganisationen)

Forum Antirazzista Palermo (Antirassistisches Forum Palermo)

Forum Lampedusa Solidale (Solidarisches Forum Lampedusa)

GenderLens APS

Gruppo Lavoro Rifugiati (Arbeitsgruppe Geflüchtete)

Il Grande Colibrì ODV (Der Große Kolibiri ODV)

Legal Team Italia

Movimento per l’Autosviluppo, l’Interscambio e la Solidarietà (Bewegung für Selbstentfaltung, Austausch und Solidarität)

Medici Senza Frontiere Italia (Ärzte ohne Grenzen Italien)

Nena News Near Est News Agency

Next – Nuove Energie X il Territorio (Neue Energien für das Territorium)

Pagine Esteri (Ausländische Seiten)

Redazione – Progetto MeltingPot Europa (Die Redaktion vom Projekt MeltingPot Europa)

Redazione La Bottega del Barbieri (Die Redaktion von La Bottega del Barbieri)

Rete Antirazzista Catanese (Antirassistisches Netzwerk Catania)

Sea-WATCH

Terra Nuova, Centro per la Solidarietà e la Cooperazione tra i Popoli onlus (Zentrum für Solidarität und Zusammenarbeit zwischen den Völkern)

UDI Palermo Onlus (Unione Donne Italiane – Union Italienischer Frauen)

Giulia Tranchina, avvocata, Wilson Solicitors LLP

Manuela Garufi

Enrico Tranchina

Giuseppe Burgio

Sergio Falcone

Pasquale D’Andretta

Vincenzo Iacono

Avinio Damiano

Daniele Barbieri

BandiougouDiawara

Mari D’Agostino, Università di Palermo

 

Aus dem Italienischen übersetzt von Clara-Marie Pache