Erste Tage auf Lampedusa – ein Bericht von Francesco
Ich bin gegen 21 Uhr auf Lampedusa angekommen. In der angemieteten Wohnung der Brigaden und des antirassistischen Forums Palermo bin ich momentan allein, voraussichtlich werden Donnerstag allerdings einige Leute vom antirassistischen Forum ankommen. Mittlerweile habe ich die Mitglieder von Askavusa kennen gelernt und mich einige Zeit mit Gianluca (dem Vorsitzenden von Askavusa) in ihrem Vereinssitz unterhalten. Unter den vielen Menschen, die ich im Sitz von Askavusa kennen gelernt habe, war auch ein Somalier, der in den Aufnahmelagern als Übersetzer arbeitet. Er hat erzählt, dass ein Boot mit ca. 800 Somaliern erwartet wird, aber das Meer ist dieser Tage sehr unruhig und daher wird das Boot kaum vor übermorgen ankommen (ich werde versuchen, diese Aussage noch einmal zu überprüfen). Im Gespräch mit Askavusa stellt sich heraus, dass sich die Beziehung zu den Ordnungskräfte in den letzten Tagen verbessert hat und dass den Aktivisten von Askavusa bei den letzten beiden Anlandungen ohne große Probleme der Zutritt zur Hilfszone und der direkte Kontakt zu den Migranten gewährt wurde. Es wäre interessant genauer zu ergründen, wie genau die Betreiberfirma Lampedusa Assistenza zusammengesetzt und organisiert ist, da sie anscheinend bei den letzten beiden Ankünften nicht anwesend war, um die Migranten zu begleiten.
11.05.2011
Ich mache meine erste Erkundungstour über die Insel und versuche mich zu orientieren. Die Schwierigkeit, die sich für mich hauptsächlich ergibt, ist das Herstellen von Kontakten, die aufgrund der Diskontinuität der Präsenz von Leuten von der BSA oder vom antirassistischen Forum verloren gegangen sind. (Mit diesem Problem sollten wir uns noch genauer beschäftigen, denn ich denke, dass es notwendig ist, keine unbesetzten Tage zu haben und ich halte es außerdem für wichtig, dass immer wenn neue Leute herkommen, um die Beobachtung zu übernehmen, 2 oder 3 Tage für Übergabe genutzt werden können, um keine kontinuierliche Arbeit aufzubauen und nicht immer von vorne anfangen zu müssen). Die Präsenz von Ordnungskräften hat sich stark verringert, wenn ich bedenke, wie mir die Situation bis noch vor 2 Wochen beschrieben wurde. Dieser Eindruck wird mir auch von Askavusa bestätigt.
Ich habe Alexandre (ein kanadischer Aktivist für die Menschenrechte, „Kayak für das Recht auf Leben“) getroffen, den ich bereits gestern Abend bei Askavusa kennen gelernt habe. Er hat mir viele Tipps gegeben und mir erzählt, dass er gehört hat, dass der Zutritt für freiwillige Helfer und für Mitarbeiter in die Aufnahmelagern nicht nur vom Präfekt von Agrigent sondern diese Funktion auch von der Protezione Civile – dem Zivilschutz – ausgeführt wird. Für diesen Fall wurde ein außergewöhnlicher Kommissar nominiert, der wie es ihm gefällt entscheiden kann, so wie es in l’Aquila schon geschehen ist? (Ich werde versuchen, dies zu überprüfen). Ich habe die gesunkenen sowie die am Sa.,08.05. und So., 09.05. angekommenen Boote fotografiert, wovon sich eines direkt an der Porta d’Europa und das andere am Riff am Abhang der neuen Mole befindet. Der Gestank, den man schon aus 10m Entfernung riechen kann, ist unglaublich – ein Überbleibsel der unhygienischen Konditionen, unter denen die Migranten reisen mussten. Abgesehen der 3 Toten von der Anlandung am Sa.,08.05., sind keine Notfälle/ Zwischenfälle auf schlechtes Wetter zurückzuführen, sondern es wurde berichtet, (nach Aussage eines Algeriers oder Tunesiers, dessen Nationalität ich mir nicht sicher bin) dass einige Nigerianer als menschliches Opfer, um den Sturm zu besänftigen, über Bord geworfen worden sind und des weiteren sei in einigen Booten Frauen sexuelle Gewalt angetan worden. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass dieses bloß ein Gerücht ist, um uns Sand in die Augen zu streuen, damit wir etwas anderes nicht sehen. Beachten wir nur die Medien und die Zeitungen, die und wie sie über diese Ereignisse berichteten, macht es den Anschein, als sei es ein Instrument, um die eigentlichen Probleme auf der Insel zu vertuschen. Unter den Gegenständen, die die Migranten an den Booten zurückgelassen haben, sind auch Kleidungsstücke von Kindern und viel Spielzeug. Durch Askavusa wird mir bestätigt, dass mit diesen letzten beiden Booten viele Kinder ankamen. Ich habe am Hafen gehalten, um mit einigen Fischern zu sprechen, ich habe sie gefragt ob sie von ankommenden Booten wissen. Sie antworten, dass aufgrund des unruhigen Meeres keine Boote ankommen dürften, aber dass der Sturm ab heute Abend nachlassen soll. Es wäre demnach möglich, dass in der Nacht oder morgen früh Boote ankommen. Heute bin ich im Ort geblieben, um die Dynamik der Insel besser verstehen zu lernen. Ich habe mit einigen Lampedusanern gesprochen, aber sie sind nicht sehr auskunftsfreudig, besonders was die Situation, mit der sie hier leben angeht. Eine Frau sagt mir, dass dies daran liegt, dass sie Journalisten und Menschen, die Fragen stellen im Allgemeinen nicht vertrauen, weil es schon oft vorgekommen ist, dass die Insel in den Zeitungen in schlechtem Licht dargestellt wurde, was wieder die ohnehin schon schwierige Situation noch den Tourismus positiv beeinflusst. Ich hoffe, morgen eine Fahrt mit dem Lieferwagen von Askavusa machen zu können, um in die anderen Teile der Insel zu gelangen.
Francesco Ciski Sargentini (BSA)