Drei Tage auf Lampedusa

12.05.2011 – Auf Lampedusa ist schon bei unserer Ankunft sehr schönes Wetter. Die Insel ist ruhig, allerdings sind recht viele Sicherheitskräfte (sowohl Carabinieri, Polizia als auch Guardia Finanza und Guardia Costiera) zu sehen. Wir besuchen den Friedhof, um zu sehen, ob die drei am Montag, 09.05.2011 geborgenen Leichen bereits beerdigt worden sind. Dort angekommen, erfahren wir, dass die Beerdigung morgen stattfinden soll. Eine Fahrt über die Insel verrät uns anschließend, dass das zweite Unterbringungszentrum auf der ehemaligen NATObasis LORAN ganz ruhig und scheinbar leer ist. Laut der lampedusanischen Vereinigung Askavusa befinden sich zur Zeit noch 230- 250 Menschen in der Erstaufnahme CSPA Contrada Imbriacola und es wurde ein Flüchtlingsboot ca. 90 Meilen vor Lampedusa entdeckt. Es wird davon ausgegangen, dass die maltesische Küstenwache das Boot Richtung Lampedusa eskortieren und das Boot in den frühen Morgenstunden (ab 4 bis 5 Uhr) anlanden wird. Die Europaparlamentarierin Cornelia Ernst (Fraktion Linke/ Grüne Linke) und ihr Assistent, Lorenz Krämer, kommen auf Lampedusa an, sie werden in den nächsten zwei Tagen von uns bei ihren Recherchen begleitet.

13.05.2011
Um 7:30Uhr erreicht uns der Anruf, dass ein Boot gesichtet und auf dem Weg in den Hafen sei. Wir fahren zum Hafen und erfahren dort, dass die erste Anlandung bereits um 6 Uhr stattfand. Auf dem Boot waren 166 Personen, unter ihnen 10 Frauen und 4 kleine Kinder. Alle sollen sich in einem sehr guten Zustand befunden haben, alle hatten Schwimmwesten. Sie wurden, so bestätigte uns ein Mitarbeiter der Heimbetreiberkooperative, in die Loran-Basis gebracht. Wir warten an der Mole und es ist nicht sicher, wo das zweite Boot ankommen wird. Außer uns sind zahlreiche Organisationen zugegen, z.B. Croce Rossa Italiana, Medicines sans frontieres (MSF), INMP (eine Gesundheitsorganisation, die sich um Armutskrankheiten kümmert und gerade ein Projekt hier macht, siehe vorangegangene Berichte) und auch einige Journalisten (ein französisches, ein holländisches Team sowie eines vom CNN).
Die Europarlamentarierin Cornelia Ernst und ihr Assistent kommen ebenfalls am Hafen an. Um 9:15 erreicht die Fähre “Palladio” den Hafen und bringt einige (10-15) Uniformierte auf die Insel, die von den anwesenden Aktivisten lachend als “oh, Touristen” begrüßt werden. Mit dieser Fähre werden die 129 auf der Insel verbliebenen minderjährigen Flüchtlinge Richtung Sizilien (Porto Empedocle) gebracht. Wir erfahren, dass gegen 2 Uhr letzter Nacht 6 Boote mit Kurs auf Lampedusa und insgesamt ca. 000 Menschen auf dem Weg sind. Die nächste Anlandung erwarten wir in ca. 1-2 Stunden. Da die Fähre die Mole besetzt, verlagert sich der Empfang der Boote (durch die Guardia costiera, Protezione civile (Zivilschutz), Krankenwagen und weitere Organisationen) zu einer anderen Mole. Gegen 11:20Uhr legt die Fähre ab und so wird die Ankunft des zweiten Flüchtlingsbootes doch wieder an den kommerziellen Hafen verlegt, alle ziehen erneut um. Um 11:30Uhr erreicht das zweite Flüchtlingsboot den Hafen, beladen mit 265 Menschen (wie es scheint aus vielen afrikanischen Ländern, Bangladesh und auch Tunesien), unter ihnen auch Frauen und Kinder. Auf den ersten Blick scheint ihr Gesundheitszustand gut, sie sind nicht nass, einige tragen Schwimmwesten. Zwei Menschen müssen allerdings medizinisch versorgt werden. Durch ein Gespräch eines Journalisten mit den Flüchtlingen erfahren wir, dass die Überfahrt 25 Stunden gedauert hat, ruhig war, und dass das Boot in Tripolis abgelegt hat. Die Menschen werden in Gruppen sofort in kleine und große Busse der Heimbetreiberkooperative “Accoglienza Lampedusa” verfrachtet und in das Erstaufnahmeheim Imbriacola gefahren. Um 12Uhr erreicht das dritte Boot mit 191 Flüchtlingen (unter ihnen 1 Kind und 20 Frauen) den Hafen. Der Gesundheitszustand der Menschen scheint diesmal auf den ersten Blick etwas schlechter zu sein. Aber auch diesmal werden die Flüchtlinge direkt nach der Ankunft durch Busse (2 Kleinbusse und 2 große Busse) in eines der Aufnahmelager gefahren. Wie wir hinterher erfahren, in die Loran-Basis. Wir erfahren in der Zwischenzeit, dass auf Pantelleria ein Boot mit tunesischen Flüchtlingen anlandet. Um 13 Uhr kommen 2 weitere Boote an, diesmal allerdings Schlauchboote der Guardia Costiera, auf die die Flüchtlinge umgebootet worden sind, auch hier sind (schwangere) Frauen und kleine Kinder an Bord (30 Frauen, 2 Kinder). Die Menschen kommen an und werden durch Busse ins Lager Imbriacola gebracht. Auf diesen beiden Booten befinden sich 142 Füechtlinge. Inzwischen (13:20 Uhr) sind demnach 764 Menschen angekommen, ein weiteres Boot mit 500 Menschen an Bord ist bereits angekündigt. Wie wir erfahren, hat dieses Boot allerdings Leck geschlagen und so werden sie auf Schiffe der Guardia Costiera umgebootet und in Gruppen in den Hafen gebracht. Das erste dieser Boote (das 6te Boot heute) erreicht Lampedusa um 13:40 Uhr, mit 80 Menschen an Bord, ca. die Hälfte von ihnen (46) sind Frauen, von denen wiederum 10 schwanger sind. Mehrere Frauen und ein Mann müssen medizinisch versorgt werden, eine der Frauen hat angeblich Wehen. Um 14:20Uhr erreicht das zweite der Boote (das 7te heute), mit 100 Flüchtlingen an Bord, den Hafen. Ab nun erreichen alle 10 Minuten 4 weitere Boote die Mole (insgesamt kommen 493 Menschen an, diese werden allerdings nicht wie vorher mit den Bussen in das Lager Imbriacola gefahren, sondern warten im Schatten in der Hafenstation an der Mole auf das weitere Vorgehen. Erst nach und nach werden sie im Laufe des Nachmittags in das Heim gebracht. Eine Fähre soll, so der Zivilschutz, unterwegs sein, um die Flüchtlinge aufzunehmen und dann nach Italien (Sizilien/italienische Häfen) zu bringen.

Die Ankünfte des heutigen Tages:
1° 166
2° 265 – 16 Frauen, 3 Kinder
3° 191 – 20 Frauen, 1 Kind
4° 142 – 30 Frauen, 2 Kinder
5° 493 – Angekommen mit sechs Booten der Behörden, mindestens 46 Frauen, ca. 10 von ihnen schwanger
6° 14 Tunesier, auf Lampedusa angelandet
7° 8 Tunesier auf der unbewohnten Insel Lampione angelandet und dort abgeholt.

Die Ankünfte dieses Tages belaufen sich auf 1279. Im Zentrum befanden sich noch 121 Flüchtlinge nach dem Abtransport der Jugendlichen. Somit befinden sich am Abend 1400 Migranten in den beiden Lagern. Diese Zahlen werden von den Organisationen IOM und UNHCR bestätigt. Laut IOM sind die derzeitigen Herkunfsländer Nigeria, Somalia, Senegal, Togo, Sierra Leone, Guinea Bissau und Guinea Conakry, Burkina-Faso, Niger, Mali, Elfenbeinküste, Eritrea, Bangladesh und Ghana. In einem Treffen der Europarlamentarierin und der Mitarbeiterin von IOM erfahren wir, dass die meisten der angekommenen Migranten ex-Gastarbeiter in Libyen waren. IOM fragt sich, warum derzeit recht wenige Eritreer unter den Migranten sind, bekannt ist, dass sie sich dort noch aufhalten müssen. Weitere politische Flüchtlinge kommen aus Somalia und der Elfenbeinküste. Problematisch sei nun, wie mit den Ex-Gastarbeitern umgehen, da sie aus einem Bürgerkrieg geflohen sind, der nicht in ihrem eigenen land stattfindet. Es wir zu klären sein, welchen Status sie hier in Italien erhalten können oder auch nicht. Auf die Frage, ob auch einige der Angekommenen freiwillig zurückkehren möchten sagt IOM, dass das bei Migranten aus Bangladesh vorgekommen sei. Die Information, die Flüchtlinge würden für die Überfahrten in Libyen nicht mehr bezahlen, kann laut IOM nicht bestätigt werden. Auch das Rote Kreuz spricht von ca. 500-1000 €, IOM von Bezahlungen auch in Naturalien wie Handy und ähnlichem. Es habe sich etwas verändert, aber gratis sei es nicht.
IOM teilt uns mit, dass die LORAN ca. für 180 Menschen Platz biete, sich dort jetzt aber ca. 450 Personen befänden. IMBRIACOLA kann ca. 800 Menschen Platz bieten. Erst werden, so IOM, die Flüchtlinge in die LORAN gebracht, dann in das andere Lager. Am Nachmittag sprechen wir auch noch mit dem Roten Kreuz. Der diensthabende Arzt spricht deutsch mit uns und berichtet von der Anlandung am vergangenen Sonntag. Ein Boot mit 585 Migranten war in der Nähe des Hafens auf Felsen aufgelaufen, die schwere See hat die Rettungsarbeiten stark behindert, drei Menschen starben. Das Rote Kreuz arbeitet mit Freiwilligen in 20-Tages-Schichten vor Ort, der lokale Gesundheitsdienst ASP koordiniert die Arbeiten vor Ort (es sind auch andere medizinische Organisationen vor Ort tätig). Das Gesundheitsministerium hat eine Verordnung erlassen, in der aufgeführt wird, auf welche Krankheiten und Symptome die Flüchtlinge untersucht werden müssen. Das Rote Kreuz hat Dolmetscher für Arabisch, Französisch und Englisch zur Verfügung. Man erklärt uns, dass auf Betreiben des Roten Kreuzes ein runder Tisch einberufen wurde (am heutigen Tag), da die Kooperation mit den anderen Einsatzkräften bisher nicht so gut läuft – so habe das Rote Kreuz z.B. Bis heute nicht die Telefonnummer des Zentrums gehabt oder die der jeweiligne Einsatzleiter der Polizei etc.

14.05.2011
Wir erfahren in einem Gespräch mit einem Mitarbeiter der Protezione Civile – Zivilschuz – , dass heute Nacht zwischen 1 Uhr und 3Uhr zwei Boote mit 199 und 216 Menschen an Bord angekommen sind (die 199 seien subsaharianischer Herkunft und aus Tripolis gestartet, die 216 seien Tunesier), die alle in das Lager Imbriacola gebracht worden sind. Das dritte Boot, das angesagt war, so hören wir, ist in Sizilien (Licata) mit etwas mehr als 200 Migranten angelandet, nachdem es in den maltesischen Gewässern aufgehalten und hinausbegleitet worden war. Gegen 10.30 treffen wir die Vertreter des Europäischen Parlaments und mit dem Lieferwagen von den Brigaden fahren wir in Richtung der Aufnahmelager. Sowohl beim CSPA, als auch zur LORAN-Basis lässt man uns ohne Blockade passieren. Diese gab es letzte Woche noch. Die Europaparlamentarierin Cornelia Ernst und ihr Assistent können mit mir als Dolmetscherin beide Zentren betreten. Währenddessen wartet der Rest unserer Gruppe vor dem Tor an der Strasse.

Contrada Imriacola
Wir betreten das Lager und sehen viele Menschen in Gruppen versammelt dort sitzen. Sie warten, so sagt man uns, auf ihre Identifizierung. Es sitzen immer die zusammen, die mit einem Boot gekommen sind. Es ist sehr voll. Man erklärt uns, dass alle Menschen, die draußen stehen, nur auf ihre Identifizierung warten und nicht draußen übernachtet haben. Es scheint zu stimmen, denn die Zeltplanen, die noch in der Woche zuvor in den Bäumen hingen, sind weg. Laut dem Leiter des Zentrums Imbriacola von der Lampedusa Accoglienza befinden sich hier 1500 Personen, 430 seien in der LORAN untergebracht. Letztere Zahl wird durch den dortigen Leiter bestätigt. Aber diese Zahlen stimmen nicht ganz mit unseren Berechnungen überein: mit den Booten von heute Morgen waren 1815 anwesend, abzüglich der 28 Tunesier, die im Laufe des Vormittags weggebracht wurden, müsste die genaue Zahl 1787 sein. Es befinden sich etwa 150 Frauen und acht kleine Kinder hier. Wir sprechen mit dem Kommissar (Quästor) von der Polizia di Stato, Dr. Marcello, mit dessen Stellvertreter sowie mit dem Leiter des Zentrums. Wir dürfen den ersten Hof und die Krankenstation betreten. Von dort werden wir am Weitergehen gehindert, „es könnte gefährlich werden“(!) Von der Krankenstation sehen wir das zweite Tor nicht. Der Manager erklärt uns die Struktur der CSPA: es habe die Form eines „L“ – an der kurzen Seite befinden sich die zwei Gebäude für Männer, die durch ein Tor getrennt werden können.
Wir sehen von außerhalb den Bereich für Kinder und Familien – er scheint überfüllt zu sein, wir können nicht gut sehen, ob auch erwachsene Männer unter ihnen sind. Der ganze Hof ist voller Personen, ein Durcheinander von Migranten und Polizisten. Die Atmosphäre ist aber dennoch sehr ruhig. Die Polizei erläutert das Verfahren: 1) werden die Migranten in einer einfachen Art identifiziert, mit Bild, mit einer Kennkarte und einer Nummer und einer Karteikarte, auf der alle Informationen von den Migranten festgehalten werden; sie werden kurz zu ihren Personalien befragt und ihr Gepäck wird durchsucht (um sicherzustellen, dass sie keine gefährlichen Gegenstände mit sich führen), dann anschließend werden sie richtig identifiziert (das sahen wir heut morgen) – alle von einer Bootsanlandung werden zusammengebracht, um auf das folgende Vorgehen zu warten: Foto, digitale Fingerabdrücke und Überprüfung, ob sie bereits im SIS / Eurodac-System zu finden sind. Ihre Daten stehen für die öffentliche Sicherheit zur Einsicht zur Verfügung, das heißt für das Schengen-System (wie es Marcello nennt) und für die Einsicht durch das Innenministerium. Die besonders Schutzbedürftigen durchlaufen ein anderes Verfahren sagt Marcello, ohne zu erklären, wie. Das Zentrum wird von der Armee bewacht, aber die Soldaten arbeiten nicht im Inneren des Lagers, hier tun Carabinieri und die Polizei Dienst. Es gibt mehrere Dolmetscher, die Englisch-Französisch-Arabisch sprechen. Es scheint, als ob die Dolmetscher der Verwaltung des Lagers angehören, aber ich bin nicht sicher, ob sie nicht vor allem auf die von der IOM oder dem UNHCR zurückgreifen. Man bestätigt uns, dass es einige Psychologen, zwei Ärzte und zwei Krankenschwestern gibt. Krankheiten im Allgemeinen sind: Kopfschmerzen, Übelkeit, Magenbeschwerden – laut dem Direktor gibt es keine ernsthaften Krankheiten. Die Krankenstation ist voll von Matratzen und Menschen, welche auch dort schlafen. Die Gebäude: Es gibt drei große Gebäude, davon ist eines für Frauen und Kinder gedacht und hat 60 Plätze. Die Tunesier werden immer separat untergebracht (was allerdings mit den Minderjährigen unter ihnen ist, ist nicht klar…). Es gibt weiterhin zwei Männerhäuser, die mit einem Tor voneinander getrennt werden können. Die Tunesier werden immer von den anderen (wegen der Vereinbarungen zwischen Italien und Tunesien) getrennt, für sie gibt es andere Verfahren – sie werden als Wirtschaftsmigranten angesehen, die repatriiert werden, so erklären Marcello und sein Kollege. Natürlich könnten sie einen Asylantrag stellen wenn sie das wollten, erklären die beiden. Der Leiter gibt ein Beispiel: Wenn eine schwangere Tunesierin ankommt, wird sie nicht wie die anderen Tunesier separat behandelt, sondern als besonders Schutzbedürftige, so wie die anderen nicht-tunesischen Flüchtlinge. Wir fragen nach für den Fall einer holländischen Frau, die mit einem Tunesier verheiratet ist, der in der CSPA sitzt und was man in diesem Fall tun kann – sie sagen, man könne nichts machen. Bei der Erörterung dieses Fall stellen wir fest, dass die Tunesier nicht mehr von Lampedusa abgeschoben werden können, weil der Vize-Konsul / Konsul nicht mehr herkommt, der muss jedoch zur Identifizierung anwesend sein. So werden die tunesischen Flüchtlinge von hier nach Palermo überstellt. Ich frage, ob man nicht wirklich etwas für das Paar tun kann – wenn er repatriiert wird und ein Wiedereinreiseverbot für Europa/ Schengen hat, werden viele weitere Probleme für das Paar entstehen. Es ist anzunehmen, dass sie, sollten sie kein Verbot erhalten, wieder nach Europa einreisen können. Wir können nicht überprüfen, ob es stimmt, aber wir haben auch von anderer Seite gehört, dass die Tunesier eine Art Anordnung wie eine „Zurückweisung“ erhalten und keine formelle Abschiebung. Es handelt sich hier um keine legal gedeckten Dokumente (sie können z.B. keine Klage gegen die Zurückweisung einlegen, da sie das Papier erst an Bord des Flugzeugs erhalten, aber es ist insofern hilfreich für Tunesier, da sie ohne ein Verbot nach Europa zurückkehren könnten.) Der Direktor sagte, dass die größten Gruppen momentan sind: aus Somalia, Nigeria, Tunesien, Ägypten, Kongo, Mali, Burkina Faso, nur ein paar aus Eritrea und sehr wenige aus Sierra Leone. Sie versuchen, die Migranten innerhalb von maximal 3,5 Tage in andere Einrichtungen zu transferieren, die Überstellungen werden von sämtlichen Institutionen entschieden (Ministerium, Polizei …), nicht nur von der Protezione civile wie Marcello nach einer meiner Fragen behauptet. Problem ist, dass die Zentren in ganz Italien schon ziemlich voll sind, so dass es meist einige Zeit braucht, um freie Plätze zu finden. Wir wissen noch nicht, wo die gestrigen Angelandeten hin gebracht werden. Minderjährige sind im Zentrum separat untergebracht, sagt man uns. Aber da es sehr voll ist, können wir uns nicht vorstellen, wie dies funktionieren soll … sie werden immer mit der Fähre weggebracht, ohne andere Erwachsene, wie wir gestern auch am Hafen sehen konnten. Rechtsberatung für Asyl wird hauptsächlich – wohl eher nur – vom UNHCR übernommen, nach Aussage des UNHCR können sie aber nicht alle beraten und sie können auch nicht garantieren ob/ wie es dann in den Zentren im Rest von Italien weitergeht (angenommen es können tatsächlich alle einen Asylantrag stellen). Anschliessend fahren wir zur LORAN Basis, wo wieder der Parlamentarierin, ihrem Assistent und Judith Eintritt gewährt wird. Dieses Mal werden sie durch das gesamte Gebäude geführt und dürfen Fotos machen.

LORAN Basis
Hier treffen wir am Eingang auf Carabinieri, die den Leiter Marcello gar nicht kennen! Dies zeigt uns, dass die Beamten der verschiedenen Einheiten nicht über die jeweiligen Zuständigkeiten informiert werden und es untereinander nur wenige Kontakte gibt – dies wird uns später auch ein Arzt des Roten Kreuzes bestätigen. Die LORAN ist immer noch militärisches Sperrgebiet: Es gibt die Carabinieri, außerdem überwachen Soldaten und Polizisten in Rundgängen das Gelände von außerhalb, aber nicht innerhalb der Basis. Stacheldraht ist überall … Die Küstenwache hat immer noch den Zugang zu diesem Sperrgebiet, uns wird gesagt, dass sie auch immer noch Dinge dort gelagert haben. Der Schichtleiter des Aufnahmezentrums, Pietro Biancuzzo, begleitet uns und erweist sich als sehr auskunftsfreudig. Auf die Frage, ob die Struktur des Gebäudes für den neuen Zweck, nämlich ein Aufnahmezentrum für Flüchtlinge (es war vorher ein NATO – sowie ein Küstenwachen und ein Stützpunkt der Küstenwache), angepasst worden sei, antwortet er, dass sie einige Arbeiten gemacht haben, aber so genau wisse er das nicht …. es riecht überall extrem nach Schimmel … Der Zustand des Gebäudes insgesamt ist nicht gut. Alles ist voller Matratzen, Überbelegung insgesamt, sagt auch der Schichtleiter – sie schlafen überall, auch in der Mensa, in den Fluren, er sagt weiter, dass sie versuchen, alle drinnen unterzubringen, niemand muss draußen schlafen. Die Kapazität beträgt 220-250 Personen (nicht 180 wie IOM erzählte, aber es scheint, dass 180 eher passt, in Anbetracht der Überfüllung), momentan befänden sich aber 430 Personen hier. Kinder, Frauen, Familien werden in den kleineren Räumen separat untergebracht. Die anderen sind in verschiedenen großen Zimmern untergebracht. Im Erdgeschoss müssen die Frauen jedoch durch den großen Raum der Männer gehen, um auf ihre Zimmer zu gelangen. Aber die Bäder seien für die Frauen getrennt, erklärt Biancuzzo. Tunesier sind hier keine untergebracht. Nationalitäten: einige Eritreer, Kongo, Nigeria, zentral-afrikanische Ländern und Bangladesh (sie sind in einem großen Raum zusammen untergebracht). Die LORAN ist ursprünglich für Familien und andere vulnerable Gruppen gedacht, aber wenn es so viele sind, wird es schwierig, dies einzuhalten. Dann bestätigt Biancuzzo, dass die Migranten der ersten Anlandungen hierher und erst dann in die Imbriacola gebracht werden. Also kann es nicht vorrangig als Zentrum nur für besonders Schutzbedürftige dienen. Jetzt befinden sich die Menschen der ersten beiden Anlandungen von gestern (13.05.) in der LORAN. Erst wurden auch tunesischen Minderjährige hergebracht, jetzt sei das aber nicht mehr so. Alle humanitären Organisationen (UNHCR, IOM …) pendeln zwischen Imbriacola und der LORAN – wir fragen, ob die Flüchtlinge Asylanträge hier stellen können: „Manchmal kommt auch die Ausländerbehörde her und setzt sich mit ihnen in mein Büro, aber ich weiß nicht, was sie dann tun“ antwortet der Leiter – er hat nicht die geringste Ahnung, ob seine „Gäste“ Asylanträge stellen können und wie es funktioniert. Übersetzer/Kutlurmittler gebe es für Französisch, Arabisch und Englisch. Ein Arzt und die Krankenschwester haben 24 Stunden Dienste, schlafen hier und wechseln wöchentlich. Sozialarbeiterseien ca.: sechs bis zehn in der Imbriacola, drei bis vier in der LORAN tätig. Die Zahl kann erhöht werden, wenn nötig, sagt Biancuzzo. Psychologen gibt es fünf oder sechs für beide Zentren zusammen. Die Migranten werden mit militärischen und zivilen Schiffen nach Sizilien, Sardinien und auf das Festland transferiert, manchmal auch mit Flugzeugen, er kennt die Bestimmungsorte nicht – denkt aber, dass die Präfektur entscheidet, wo sie gebracht werden … Er sagt, dass die Schiffe manchmal auch in Etappen fahren und die Menschen an verschiedenen Orten in Italien von Bord lassen. Wir können einen Blick in die Einrichtung werfen: Flure, kleine Zimmer, Mensa und große Zimmer sind im Erdgeschoss. Im ersten Stock gibt es einen großen Raum, ähnlich eines Korridors, der voller Matratzen ist, dann gibt es zwei Flure mit kleineren Räumen. Es gibt zwei Höfe: einer wird zum Spielen genutzt. Die Migranten bleiben draußen, um zu essen (jeder bekommt Lebensmittel – Schweinefleisch-frei, wird uns versichert) und essen im Freien oder auf den Matratzen. Die Mensa wird nur verwendet, wenn es Platz gibt. Im zweiten Hof gibt es zwei oder drei Container mit sanitären Anlagen, alles ist voll mit Wäsche, die zum Trocknen in den Büschen und über dem Zaun hängt. Hinter dem Hof sieht man den Bootsfriedhof – hierher haben sie per LKW die Boote der Migranten gebracht, es sind viele. Hinter den Booten liegen die Küste und das Meer. Biancuzzo sagt, er habe gehört, dass die Boote schon bald weg gebracht werden sollen (dies ist möglich, auch wir haben gehört, dass die Regierung am 13.Mai versprochen hat, 1Mio. € für die Entsorgung bereitzustellen). Alles in allem, trotz der Überbelegung, ist die Atmosphäre recht ruhig, die Migranten lachen mit uns und scherzen. Einige erkennen wir von ihrer Anlandung an der Mole wieder. Aber wir sehen, dass die LORAN nicht geeignet ist, um so viele Menschen unterzubringen.
Am Nachmittag gehen wir zum Hafen, um zu überprüfen, ob weitere Boote angekommen oder angesagt sind, aber ein Mitarbeiter vom Roten Kreuz (CRI) verneint. Wir erfahren, dass es gestern einen runden Tisch mit allen Beteiligten in Lampedusa für eine bessere Herangehensweise und eine bessere Organisation der ankommenden Flüchtlingsboote gegeben hat. Erst gestern erhielt das Rote Kreuz zum ersten Mal die Telefonnummer der CSPA! Ein Arzt sagt uns, dass eine gute Organisation notwendig sei, und dass er hofft, dass es von nun an besser funktionieren wird. Letzte Woche, bei meinem (Judith Gleitze) ersten Besuch auf Lampedusa, erzählte ein Mitarbeiter der Protezione Civile, dass sie alles organisieren wollen. Es scheint, dass das CRI nicht so glücklich damit war. Am Nachmittag sehen wir ein seltsames Vorgehen von zwei Marineschiffen vor der Hafeneinfahrt, die neben sich jeweils eines der Fischerboote führen, die aus Tunesien eingetroffen sind. Zwei weitere tunesische Fischerboote – eines zieht das andere – laufen aus dem Hafen aus. Mit dem Fernglas können wir sehen, dass sich Mitarbeiter des Militärs mit weißen Ganzkörperanzügen auf den Schiffen befinden. Eine Frau erzählt uns später, dass sie auch an einer anderen Bucht Militärschiffe mit Fischerbooten daneben gesehen hat. Man fragt sich, was sie mit diesen Booten vorhaben – im Meer versenken? Abtransportieren, um sie an anderen Orten zu entsorgen? Wir machen an der Cala Pisana (andere Mole) Halt, um zu sehen, ob die Fähre für die Überführung der Flüchtlinge auf das Festland gekommen ist, aber es ist immer noch nichts zu sehen. Eine Frau, die einen Theaterkurs organisiert, erzählt uns, sie habe um 20 Uhr die Fähre gesehen, überprüfen können wir dies nicht mehr. Wir passieren noch einmal den Friedhof, um die neuen Gräber der drei Toten von der Anlandung der letzten Woche zu sehen. Die Beerdigung war gestern. Die Gräber sind auf dem alten Friedhof zu finden. Die Namen der Toten sind nicht bekannt. Um den Bericht des CNN, der sowohl die Bootsankünfte als auch die Beerdigungen filmte, zu sehen, sind hier die Links (in englischer Sprache): CNN 1, CNN 2
Am Abend treffen wir uns alle im Vereinssitz von Askavusa. Keine Anlandungen, endlich ein ruhiger Abend.

Judith Gleitze und Katherine Jürgens, forum antirazzista di palermo/borderline-europe/Francesco Sargentini, BSA
Foto: C. Pagano, K. Jürgens, C. Ernst, J. Gleitze, F. Sargentini, F. Jugert, L.Krämer (von li nach re)