Diskriminierende Vorgehensweise beim Ad-hoc-Umverteilungsmechanismus der EU

Artikel vom 18. März 2021

Während der letzten zwei Jahre hat Borderline Sicilia in Zusammenarbeit mit Borderline-Europe, Equal Rights, dem Flüchtlingsrat Deutschland und Sea-Watch die Umverteilungsbestrebungen analysiert, die seit Sommer 2018 verfolgt werden. Damals ließ der ehemalige Innenminister Italiens, Matteo Salvini, die Landesgrenzen für Schiffe schließen, die im Mittelmeer Rettungen durchführten.

Diese Grenzschließungen wurden seitens der nachfolgenden Regierung mit den sogenannten Malta-Abkommen bekräftigt, die von Malta, Frankreich, Italien und Deutschland unterzeichnet wurden.

Der Vertrag sah den zügigen und rechtzeitigen Transfer von Asylbewerber*innen aus dem EU-Land, das sie zuerst erreicht haben, in einen anderen Mitgliedsstaat vor, der die Bereitschaft aufweist, einen Teil der im Mittelmeer Geretteten aufzunehmen. In diesem Zusammenhang wurde die zurückgelegte Strecke dieser Personen, beginnend in Italien oder Malta, bis zu ihrer Ankunft in Deutschland oder anderen Mitgliedsstaaten rekonstruiert. Anhand der Aussagen der Menschen, die von der Umverteilung betroffen waren, konnten wir zeigen, dass dieses Prozedere vom Europäischen Unterstützungsbüro in Asylfragen und von den Delegationen der Mitgliedsstaaten, die der Umverteilung einiger in den Hotspots von Italien und Malta identifizierten Asylbewerber*innen zugestimmt haben, in willkürlicher und wenig transparenter Weise durchgeführt wurde.

Der Bericht bringt insbesondere die vom Soll abweichenden, menschenunwürdigen Bedingungen in den Hotspots von Italien und Malta, und das Fehlen einer Grundversorgung in den Aufnahmezentren ans Licht, die von den italienischen Behörden zur Aufnahme von Asylbewerber*innen während des Umverteilungsprozesses bereitgestellt wurden. Auf Malta haben sich die Bedingungen für die Schutzsuchenden während ihres Aufenthaltes in den Hotspot-Zentren verschlechtert. Die Grundversorgung ist nicht gewährleistet.

Zudem bezeugt der Bericht, dass der Umverteilungsmechanismus intransparent ist, und im Ergebnis auf Willkür und Ermessen fußt. Die Asylbewerber*innen werden dreimal befragt: Erst von Frontex, dann vom Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen, und letztlich von den Delegationen der Mitgliedsstaaten, die der Umverteilung zugestimmt haben. Die gesammelten Aussagen zeigen auf, dass den Geflüchteten dreimal dieselben Fragen gestellt werden, ohne dass der Grund dieser Wiederholungen etwa seitens des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen verständlich gemacht wird.

Darüber hinaus handelt es sich um Fragen, die – wie aus den Aussagen hervorgeht – Zweifel hinsichtlich der rechtmäßigen Durchführung der Umverteilung aufkommen lassen, denn es gibt Anzeichen einer Diskriminierung aufgrund von Religion und Herkunft. Viele Personen muslimischen Glaubens wurden etwa gefragt, ob sie nach der Umverteilung ihrer Partnerin das Tragen des Hijabs aufzwängen würden, oder Verwandte und Freund*innen anzeigen würden, sollten diese sich im Begriff zeigen, einen terroristischen Anschlag zu begehen. Diese Fragen verfehlen den Zweck. Die Asylbewerber*innen erhielten im Anschluss an die Befragungen keine Mitschrift zur Dokumentation derselben. Vielen wurde während einer dieser drei Befragungen bereits die Ablehnung ihres Antrags mitgeteilt, allerdings ohne Angabe von Gründen oder Informationen über den weiteren Ablauf des Aufenthaltes.

Zudem konnte durch die Recherchearbeit aufgeklärt werden, dass der Umverteilungsprozess lange andauert. Obgleich die Verträge von Malta eine Frist für die Dauer der Umverteilung setzen, die vier Wochen beträgt, wurde uns bestätigt, dass Personen bis zu ihrer Umverteilung teilweise eineinhalb Jahre in Italien bleiben mussten.

Sobald die Asylsuchenden dann nach Deutschland umverteilt wurden, stand ihnen ein schneller Asylprozess bevor, während dem ihnen keine Information über die Rechtslage zuteilwurde, und keine Rechtsmittel zur Verfügung standen. Schließlich wurden sie sogar mit einer Abschiebung bedroht. Etwa 90 Prozent der nach Deutschland Umverteilten haben gerichtlich keinen Internationalen Schutz zugesprochen bekommen, und viele haben bereits einen Ablehnungsbescheid erhalten.

„Wir fühlen uns gefangen und betrogen, und wir haben das Gefühl, nur nach Deutschland gebracht worden zu sein, damit wir von dort aus wieder in unsichere Orte ausgewiesen werden konnten. Wir sind keine Objekte, sondern Menschen, die auch wie Menschen behandelt werden müssen, und nicht wie Objekte in einem ungerechten System, das einigen mehr Wert beimisst als anderen“, sagt Musa Khalifa aus Nigeria, der nach Deutschland gebracht wurde und nun womöglich ausgewiesen wird.

Sorge bereitet, dass diese Ad-hoc-Umverteilung als Model für den neuen Migrationspakt von 2020 dient, in dem ein auf Solidarität basierender Mechanismus festgelegt wird, der die Umverteilung oder eine Form von gegenseitiger Unterstützung bei der Abschiebung in die Heimatländer vorsieht. Er enthält deshalb die konkrete Möglichkeit, dass diejenigen, deren Antrag abgelehnt wurde, in Mitgliedsstaaten der EU gebracht werden, die mit den außereuropäischen Zielländern Rückführungsübereinkommen abgeschlossen haben. Damit kann eine eingehende Prüfung der Geschichte der betroffenen Personen vermieden werden. Momentan ist der Inhalt des Migrationspaktes noch ein Vorschlag, der – aufgrund der Kritikpunkte, die dieser Bericht zutage bringt – modifiziert werden kann und muss.

Zusammenfassend hat die durchgeführte Recherche die folgenden kritischen Punkte hervorgehoben:

  • Die Schutzsuchenden haben keinen adäquaten Zugang zu rechtlicher Beratung oder zu Informationen über das Umverteilungsprozedere, während sie monate- oder jahrelang in den Hotspots festgehalten werden.
  • Der Umverteilungsmechanismus beeinträchtigt das Wohlergehen der Schutzsuchenden, und das Auswahlverfahren zeigt eine deutlich diskriminierende Praxis auf.
  • Das Prozedere nimmt bis zur Umverteilung zu viel Zeit in Anspruch.
  • Nicht alle Asylbewerber*innen sind tatsächlich umverteilt worden; ein Teil von ihnen ist in Italien bzw. auf Malta verblieben.
  • Der Großteil der nach Deutschland Umverteilten hat nach einem schnelleren Prozess eine Ablehnung des Asylantrags erhalten und wird womöglich nun ausgewiesen.

 

Daher fordern wir:

  • die vollständige Transparenz des Umverteilungsprozesses und des Asylprozesses für die betroffenen Personen
  • dass Personen, die in Europa Schutz suchen, keiner Diskriminierung ausgesetzt sind
  • dass Menschen in Grenzstaaten nicht inhaftiert und festgehalten werden
  • sicheres Reisen aus und durch Europa
  • den garantierten Zugang zum Recht auf Schutz

 

Der vollständige Bericht, sowie das zugehörige Videomaterial und weiterführende Informationen sind unter dem folgenden Link abrufbar:

https://eu-relocation-watch.info/

 

Das Projekt wurde von Stiftungsfonds zivile Seenotrettung finanziert.

 

Giuseppe Platania
Borderline Sicilia

 

Aus dem Italienischen übersetzt von Franziska Lorusso