Die Schleuser auf den Booten sind jung und unerfahren
Aus Meridonews – Im November werden die Ankünfte der
Migranten weniger – so ist es jedes Jahr an den Küsten Siziliens. In den ersten
Novembertagen dieses Jahres scheint das aber nicht zu stimmen. In Pozzallo landen
allein am letzten Wochenende 713 Menschen aus Subsahara Afrika. Sie kamen an
Bord des Schiffes «U. Diciotti» der italienischen Küstenwache, die zwei Boote
in Seenot gerettet hatte. Die «U.Diciotti» hatte bereits Passagiere von sechs
anderen Booten an Bord (denen zuvor von noch anderen Schiffen Hilfe geleistet
wurde). Ein Teil der Geretteten wurde nach ihrer Identifikation und den Fotos
zu ihrer Erkennung ins Aufnahmezentrum von Pozzallo gebracht. Die anderen
wurden in andere Zentren der Insel transferiert.
Die Polizeikräfte haben unmittelbar nach
der Anlandung mit der Suche nach den Menschenschmugglern begonnen. Denn die
mobile Einsatzbrigade von Ragusa hatte gemeldet, dass bereits vier vermutliche
Schlepper ausgemacht worden seien: ein 18-jähriger Senegalese, ein 25-jähriger
Mann aus Ghana und zwei Männer aus Gambia von 34 und 39 Jahren. Sie werden
beschuldigt, die illegale Einreise von Ausländern ins nationale Territorium
Italiens ermöglicht zu haben. Kaum zwei Wochen zuvor sind 200 Migranten in
Pozzallo von Bord gegangen, die von zwei Booten in Seenot gerettet worden
waren. Auch damals wurden vier vermeintliche Schlepper identifiziert: ein Mann
aus Gambia, einer aus Mali, einer aus Guinea und einer aus Ghana, alle im Alter
zwischen 18 und 28 Jahren. Tatsächlich nimmt die Zahl der vermeintlichen Schlepper,
die verhaftet werden, kontinuierlich zu. Laut der Polizei waren es in der
Provinz Ragusa im gesamten Jahr 2014 200, dieses Jahr sind es bereits 140.
Statistisch gesehen, ist die vermutete
Identität eines Menschenhändlers leicht auszumachen. Er kommt aus Zentralafrika
und ist zwischen 18 und 30 Jahre alt. Die kriminellen Banden, die den
Menschentransport zwischen Libyen und Sizilien organisieren, scheinen
offenbar über dieses «Mitarbeiterreservoir» zu verfügen.
Viele der Migranten in den Erstaufnahmezentren
werden in andere Strukturen weitergeleitet: z. B. in die SPRAR* Zentren für
Asylbewerber, falls sie auf Bescheid warten müssen, ob ihr Asylantrag
angenommen wird. Einige kommen auch aus Vittoria, 50 Kilometer entfernt von
Pozzallo. Dort treffen wir Chiara Pitti, Koordinatorin für die dortige «Vereinigung
für Menschenrechte». Sie ist in Begleitung von drei Migranten aus Gambia, Mali und Guinea, alle
etwa 20 Jahre alt. Es sind Landsleute von Inhaftierten. Der erste, der das Wort
ergreift, ist seit mehr als einem Jahr in Italien und erzählt von seiner
Überfahrt. Er erinnert sich an die Fragen der Polizei. «Sie fragten nach dem
Bootsführer und Steuermann. Aber ich war am Bug und in der Nacht habe ich
nichts erkennen können». Der zweite berichtet genauer. «Ich habe geantwortet,
dass ich weiss, wer das Boot steuert, denn man hat mich auch gefragt, das zu
übernehmen, aber ich wollte nicht. Ein anderer ist ans Ruder gegangen, es war
einer, den ich in Libyen kennengelernt habe». Beide kamen aus der gleichen
Küstengegend in Libyen.
Der dritte Mann ist schweigsamer mit
unsicherem Blick. Er spricht wenig Italienisch und nicht gut Englisch und
erklärt in seiner Muttersprache Mandinka: « Wir waren 120 Leute. Einer der
Reisegefährten steuerte unser Boot. Wir waren alle in der gleichen Karawane,
durch die Wüste im Niger, alle im gleichen Gefängnis in Libyen, wo wir
geschlagen wurden. Eines Tages holten sie uns und brachten uns auf ein
überfülltes Boot. Ihn haben sie zum Steuermann gemacht. Er war ein mutiger
Mann, ich weiss nicht, wo er jetzt ist». Keiner von ihnen hat dem Steuermann
etwas bezahlt. Keiner der Schleuser auf diesen ramponierten Booten scheint
einer dieser Organisationen anzugehören, die vom Menschenhandel profitieren. Es
ist noch nicht bekannt, wie viele Migranten gleich bei ihrer Einreise abgewiesen
werden. Aufgrund der neuen europäischen Bestimmungen wurden das CSPA** in
Vittoria in einen «Hotspot» umgewandelt, wo auch Beamte der Agentur Frontex
mitarbeiten. Im Oktober wurde über 44 von 500 Migranten die «vorsorgliche
Einreiseverweigerung» – «respingimento preventivo» verhängt. Laut der Meinung
von Migrationsexperten und Aktivisten verstösst diese Praxis in den «Hotspots»
gegen die fundamentalen Menschenrechte und die Normen der Genfer Konvention.
Die Aufnahmestruktur in Pozzallo kann 180
Leute beherbergen, ist aber ständig überbelegt. Manchmal waren es bis 1000
Menschen die da zusammengepfercht waren. Über die frühere Leitung ist ein
Untersuchungsverfahren der Justizbehörden von Ragusa im Gange.
Andrea Gentile
*SPRAR – Sistema di Protezione per
Richiedenti Asilo e Rifugiati: Struktur nach der Erstunterkunft für Asylanwärter
und Schutzbedürftige
**CSPA – Centro soccorso e prima
accoglienza: Erstaufnahmezentrum nach der Ankunft
Übersetzung aus dem Italienischen von
Susanne Privitera Tassé Tagne