Die Geschichte von Abdel Latif, von der Meeresüberquerung auf einem Boot zu seinem Tod in Rom, an ein Krankenhausbett fixiert
Artikel vom 07. Dezember 2021
Open.online – Der 26-Jährige ist im Krankenhaus San Camillo in Rom verstorben, nachdem er auf Sizilien angekommen war, zunächst auf einem Quarantäneschiff festgehalten wurde und dann in das Abschiebezentrum (CPR*) in Ponte Galeria gebracht wurde. Dort wurden seine Arme und Beine tagelang an das Bett gefesselt.
Wahrheit und Gerechtigkeit für Wissem Ben Abdel Latif: diese Forderung wird momentan in Tunesien und Italien hörbar. Er war 26 Jahre alt und wurde in einem Abschiebezentrum in Rom festgehalten. Nachdem er aufgrund einer vermeintlichen psychiatrischen Erkrankung ins Krankenhaus überwiesen wurde, hat man ihn am 28. November tot auf einem Ruhigstellungsbett aufgefunden, an das seine Beine und Arme tagelang gefesselt worden waren. Es ist noch nicht klar, ob er zum Todeszeitpunkt noch gefesselt war, da dies in der Krankenakte nicht vermerkt wurde.
Die internationale Kampagne LasciateCIEntrare hat auf den Fall hingewiesen nachdem dieser vom tunesischen Abgeordneten Majdi Karbai öffentlich gemacht wurde. Der nationale Garant für Menschen, die inhaftiert oder ihrer persönlichen Freiheit beraubt werden, Mauro Palma, hat die Meldung ebenfalls verbreitet. Dies erfolgte im Anschluss an die Mobilisierung des regionalen Garanten Stefano Anastasia, und von Alessandro Capriccioli, Regionalrat der Partei Radicali/+Europa. Zuletzt wurden Demonstrationen vor der italienischen Botschaft in Tunis organisiert, während die Staatsanwaltschaft Rom eine Untersuchung eingeleitet hat.
Die Reise mit dem Boot im Oktober
Latif war im Oktober in Augusta, Sizilien, auf einem Boot angekommen und im Anschluss auf ein Quarantäneschiff gebracht. Dort, „wie auch anderswo in Italien, ist es inzwischen eine gängige Praxis geworden, dass Menschen, die aus Tunesien kommen, nicht in die Lage versetzt werden, einen Antrag auf internationalen Schutz stellen zu können, und auf direktem Wege ins Abschiebezentrum von Ponte Galeria gebracht werden“, erklärt die Kampagne LasciateCIEntrare. Diese veröffentlicht auf ihrer Facebook-Seite auch ein Video, das dem 26-Jährigen zugeschrieben wird, in welchem er die Unterbringung auf dem Quarantäneschiff des Fährenunternehmens GNV beschreibt.
Vom Quarantäneschiff wurde Abdel ins CPR* von Ponte Galeria gebracht, welches sich in der Nähe von Rom befindet. Auch hier erhielt er effektiv keine Möglichkeit, Asyl zu beantragen. Aktivist*innen weisen schon länger auf diesen Zustand hin, er betrifft die administrative Haft von Tunesier*innen. Im Anschluss an Abdels Haft in Ponte Galeria wurde er aufgrund eines Unwohlseins am 28. November zum ersten Mal in ein Krankenhaus gebracht, das Grassi-Krankenhaus in Ostia, und von dort in die psychiatrische Abteilung des San Camillo-Krankenhauses in Rom, wo er letztendlich verstirbt.
„Aus der Krankenakte, die wir einsehen konnten, geht hervor, dass der junge Tunesier psychiatrische Probleme hatte. Die Gesundheitsbehörde (ASL*) hatte eine eingehende psychiatrische Überprüfung seines Gesundheitszustands angefordert, woraufhin er am 23. November in die Notaufnahme des Grassi-Krankenhauses gebracht wurde“, schreibt Alessandro Capriccioli in einer Mitteilung, nachdem er gemeinsam mit dem regionalen Garanten für die Rechte von Menschen, die ihrer persönlichen Freiheit beraubt wurden, das Abschiebezentrum Ponte Galeria besucht hatte. „Von hier wurde der junge Mann nach zwei Tagen an den Psychiatrischen Diagnose- und Pflegedienst des San Camillo-Krankenhauses überwiesen, wo er ruhigstellenden Maßnahmen ausgesetzt wurde. Dies geschah jeden Tag bis zum 27., auch wenn nicht ersichtlich wird, wie lang es jeweils geschehen ist. Schließlich ist er am 28. November aufgrund eines Herz-Kreislauf-Stillstands verstorben.“
Der Garant Mauro Palma hat die Krankenakte Latifs bereits angefragt und erhalten. „Es muss geklärt werden, ob er zum Zeitpunkt seines Todes bereits fixiert war, da dies nicht aus der Akte hervorgeht. Die Bluttests waren in Ordnung, es sah nicht so aus als hätte er gesundheitliche Probleme“, erklärt er der italienischen Tageszeitung Repubblica. Der tunesische Abgeordnete Majdi Karbai nennt die Abschiebezentren „das Guantánamo der Immigrant*innen“.
Auf Facebook berichtet die Aktivistin Federica Borlizzi, dass Karbai von Abdels Familie erfahren hat, „dass er keine gesundheitlichen Probleme hatte“. Falls es jedoch so gewesen wäre, bekräftigt die Juristin, „hätte Abdel in keinem Fall festgehalten werden dürfen, und dementsprechend nicht das Abschiebezentrum in Ponte Galeria betreten sollen. Aber vor allem stellt sich die Frage, warum fünf Tage vergangen sind, bevor der Tod Abdels in der psychiatrischen Abteilung mitgeteilt wurde, wo sie ihn tagelang ruhiggestellt hatten?
CPR*, die „schwarzen Löcher“
Laut Federica Borlizzi sind in den letzten zwei Jahren sieben Menschen in administrativer Haft verstorben. Die Juristin hat gemeinsam mit dem Anwalt Gennaro Santoro einen Bericht mit dem Titel „Buchi neri. La detenzione senza reato nei Cpr“. (dt. Schwarze Löcher. In Haft im Abschiebezentrum, ohne ein Verbrechen begangen zu haben) verfasst, den die Coalizione italiana per le Libertà e i diritti civili (Italienische Koalition für die Freiheit und die Bürgerrechte) herausgegeben hat, ein Netzwerk von 43 zivilgesellschaftlichen Organisationen. „Wir wissen, dass in den CPR* die Gesundheitsversorgung von privaten Firmen übernommen wird, nämlich den Betreibern. Die Pflegekräfte und Ärzt*innen sind unterbesetzt, und die Qualität der Behandlung unwürdig. Wir wissen ebenfalls, dass in den meisten CPR* die Häftlinge mit Psychopharmaka vollgepumpt werden, oft ohne eine angemessene ärztliche Verschreibung. Wir wissen, dass in den meisten CPR* die Haftbedingungen an der Grenze zur menschenunwürdigen Behandlung sind, mit Zellen die keine Alarmknöpfe haben, und ohne angemessene Räume, um die gesundheitliche Überwachung sicherzustellen“, bemängelt die Aktivistin.
„Wir wissen, dass momentan tunesische Bürger*innen zum Ziel von wahrhaftigen Razzien werden. Sie werden von den Quarantäneschiffen in die Abschiebezentren gebracht, um nach wenigen Tagen zurückgeführt zu werden. Wir wissen all dies, und noch viel mehr. Dieser x-te Tod darf uns nicht gleichgültig reagieren lassen. Die Verantwortlichkeiten von Ärzt*innen und Pflegepersonal des Zentrums müssen überprüft werden. Aber vor allem müssen diese höllischen Orte, die Abschiebezentren, geschlossen werden.“
Angela Gennaro
*CPR – Centro permanente per il rimpatrio: Abschiebezentrum
*ASL – Azienda Sanitaria Locale: lokale Gesundheitsbehörde
Übersetzt aus dem Italienischen von Alina Dafne Maggiore