Der ewige Notstand: die außerordentlichen Aufnahme-Zentren (CAS)

Der
Logik der „Notstandskoordination“ der Einwanderung folgend besteht, wie wir
bereits mehrmals bekräftigt haben, neben der allarmierenden Situation in den
staatlichen Aufnahmezentren und den Transiteinrichtungen, die oft zur
langfristigen Aufnahme dienen, das Problem der nicht formellen, sogenannten
außerordentlichen Aufnahme-Zentren (CAS). Diese werden immer zahlreicher und
ihre Tätigkeit beschränkt sich immer öfter
auf Kost und Logis.

Es
handelt sich bei den CAS um Einrichtungen verschiedener Art, Hotels,
Frühstückspensionen, Privathäuser oder eigens angemietete Wohnungen. Die
Leitung der CAS, die mit der örtlichen Präfektur ein Abkommen abschließt,
verpflichtet sich für die Vergütung von 30–35 Euro pro Migrant und Tag, die zur
Aufnahme vorgesehenen Dienstleistungen zu gewährleisten.

Die
von den CAS angebotene Aufnahme, die häufig im Zeichen einer fehlenden
Vorbereitung steht, ist zurückzuführen auf die Abkommen mit der Präfektur,
welche als einzige wesentliche Voraussetzung die Verfügbarkeit von Plätzen
fordern. Wer sich um die Aufnahme kümmert, ob er Erfahrung oder eine besondere Eignung
für diesen Arbeitsbereich hat, ist eher unbedeutend. Auch die Wahrscheinlichkeit,
dass die Leitung das Abkommen vor allem aus Profitgründen geschlossen hat und
dass sie am Ende viel mehr erwirtschaftet wird als sie für die Betreuung der
Migranten ausgibt, ist zweitrangig. Im Übrigen sind wirtschaftliche Gründe Priorität für viele, in
der Erstaufnahme tätigen Unternehmen!

In
den CAS mangelt es häufig nicht nur an einer angemessenen Vorbereitung sondern
auch an einem Kontrollsystem der besagten Einrichtungen. Auch wenn diese
Strukturen nur zur Bewältigung eines
Unterbringungsnotstandes in Betrieb genommen wurden, darf es trotzdem
nicht sein, dass Asylantragssteller in vielen dieser Zentren über den ganzen
Zeitraum bis zu ihrer Anhörung bei der Territorialkommission grundlegende
Dienste, wie Rechtsberatung und psychologische Betreuung, verwehrt bleiben.

Folglich
ist es interessant die juristischen Voraussetzungen dieser Aufnahme, die auf
Abkommen zwischen Strukturleitung und Präfektur basiert, zu analysieren. Das
Rundschreiben des Innenministers vom 20. März 2014, Betreff „Andrang von
ausländischen Bürgern als Folge von weiteren Schiffslandungen entlang der
italienischen Küste“ ist diesbezüglich die neueste Maßnahme. Für die Existenz
der CAS und die dafür nötigen Abkommen wird das Rundschreiben zur Zerreißprobe.

Es
enthält zusätzlich zum Notstandsplan, welcher bereits 115 Einrichtungen sprich
5.500 Plätze geschaffen hat, einen weiteren Notstandsplan. In Anbetracht der
anhaltenden Ankünfte und der Notwendigkeit der „staatsweiten Verteilung der
besagten Ausländer“ werden die Präfekturen aufgefordert, für das Auffinden
weiterer Einrichtungen in ihrem Zuständigkeitsgebiet zu sorgen. Es handelt sich
um ungefähr 2400 weitere Plätze. Die zeitliche Frist der Abkommen endet am 30.
Juni 2014, aber wie immer wird kurzfristig gehandelt. Sollte die Frist bis zum
Ablaufdatum nicht verlängert werden, endet auch dieser Notstand wie der
Notstand Nordafrika, bei dem von einem Tag auf den anderen tausende Personen
auf der Straße gelandet sind. Dem Rundschreiben wurde ein maximaler
Verteilungsplan, welcher nach territorialen Bedürfnissen abgeändert werden
kann, beigelegt. Dem zu Folge soll jede der 59 italienischen Provinzen 40
Migranten aufnehmen, mit Ausnahme von Sizilien.

Die
Abkommen bezüglich der außerordentlichen Aufnahme-Zentren sehen folgende Leistungen
vor:

  • Verwaltung:
    Kontrolle und Überprüfung der vollen Funktionalität und Effizienz der Struktur
  • Allgemeine
    Betreuung der Person: Verhaltensregeln im Inneren der Struktur, Wäscherei
  • Umwelthygiene
  • Ausgabe
    der Mahlzeiten
  • Ausstattung
    mit folgenden Gütern: Bettgestell, Matratze, Produkte zur Körperhygiene,
    Bekleidung, tägliches Taschengeld von 2,50€ und eine Telefonkarte zu 15€ bei
    der Ankunft
  • Dienstleistungen
    zur Förderung der Integration: Information zur Einwanderung und den Rechten und
    Pflichten von Migranten, sprachliche und kulturelle Betreuung

Wie
bereits aus dieser Liste abgeleitet werden kann, wird die Kontrolle und
Überprüfung der vollen Funktionalität und Effizienz der Struktur der Strukturleitung
selbst anvertraut. Auch die Garantie einer Rechtsberatung für die
Asylantragssteller ist schwach.

Die
Abkommen mit den CAS, welche auf dem Papier wie es scheint ausreichend
durchdacht scheinen, sind im Wesentlichen überhaupt nicht ausreichend, um eine
angemessene Aufnahme zu garantieren. Sie messen weder grundlegenden Diensten
wie der Rechtsberatung genügend Bedeutung zu, noch garantieren sie ein
Kontrollsystem der zu erbringenden Leistungen. Dies alles ist der
Ermessensfreiheit der Strukturleitung überlassen. So kommt es, dass im Wesentlichen
weder die Zusammenarbeit mit territorialen Diensten, noch jene mit kulturellen
Mediatoren, Rechtsberatern, Psychologen oder Ärzten garantiert wird. Die
Tätigkeit des Personals vor Ort beschränkt sich meist auf die Ausgabe der
Mahlzeiten und die „Überwachung“ der Struktur.

Überfliegt
man die Abkommen, findet man als Voraussetzung, dass die Zweckmäßigkeit der
Einrichtung im Moment der Inbetriebnahme von der Präfektur überprüft werden
muss, allerdings ist nicht klar definiert
von wem, wie und wann. In einer weiteren Klausel behält sich die
Präfektur die Befugnis vor, „jederzeit direkte Überprüfungen durch ihre
Beauftragten veranlassen zu können, um die exakte Erfüllung der Leistungen
sicherzustellen.“ Aber wie bei den staatlich
geführten Zentren auch wurde kein einheitliches Kontrollsystem entwickelt und
es wurden keine dafür nötigen Ressourcen vorgesehen. So wird auch die Kontrolle
dieser Strukturen dem Belieben jeder einzelnen Präfektur überlassen. Kontrollen
geschehen meist nur sobald humanitäre Organisationen auf gravierende Mängel
hinweisen.

Aus
dieser „Analyse“ ergeben sich verschiedene Fragen und Überlegungen. Die erste
Frage, die sich stellt, lautet aber: Warum wird weiterhin ein
Notstandsaufnahmesystem dieser Art finanziert, ohne jegliche Planung und
Professionalität, welches den Respekt der Rechte der Migranten nicht garantiert
und fortwährend ein mangelhaftes und zerbrechliches Asylsystem füttert, während
die Schutzprogramm-Zentren für Asylantragssteller und Flüchtlinge (SPRAR) noch
über 6.500 freie Plätze verfügen?

Giovanna Vaccaro

Die Redaktion von Borderline Sicilia

Aus dem
Italienischen von Elisa Tappeiner