Das Spezialaufnahmezentrum für Jugendliche von Mazara del Vallo: Sollte man es wirklich als solches bezeichnen?
Das Erstaufnahmezentrum für Jugendliche, welches
sich im ehemaligen Hotel Conte Ruggero II befindet, wird seit vergangenem Juni
von der Kooperative Fiori di Pesco
geleitet. Zugelassen ist es als Zentrum höchster Spezialisierung für die
unmittelbare Erstaufnahme, gemäß der Regionalverordnung des 25. Mai, was positiv
seitens der Gemeinde von Mazara del Vallo vermerkt wurde.
„Fiori del Pasco“ ist eine der vielen
Kooperativen, welche eigens für die Umstrukturierung von Hotelanlagen, wie die des
vier Sterne Hotels Conte Ruggero II, in Aufnahmezentren ins Leben gerufen
wurden. Laut diverser Stimmen innerhalb der Gemeinde und der Lokalpresse gehören der Verwaltung
dieser Kooperative auf direkte oder indirekte Weise Personen an, die bereits
andere Erstaufnahmezentren in der Provinz leiten.
Zur Zeit befinden sich 60 Jugendliche in
diesem Zentrum, welche vorwiegend aus Gambia, Mali, Nigeria und dem Senegal
stammen und zum Großteil im Zeitraum von Juni bis Juli diesen Jahres angekommen
sind. Ihre Durchschnittsaufenthaltszeit im Zentrum
überschreitet folglich die drei Monate, welche für eine Übersiedlung in ein SPRAR-Projekt*
vorgesehen sind.
Es war nicht einfach, das Vertrauen der
Jugendlichen zu gewinnen, die ich im Innenhof angetroffen habe und sie dazu zu
bewegen mir zu erzählen, weshalb sie am 25. September die angrenzende Straße
Richtung Zentrum blockiert haben, im gemeinsamen Protest gegen lange
Wartezeiten bei der Prüfung ihrer Anträge, fehlende Kleidung und einen
schlechten Umgang.
Nur nachdem ich ihnen eine umfassende
Darstellung meiner Person und des Vereins Borderline
Sicilia sowie detaillierte Informationen in Bezug auf das Asylverfahren
gegeben hatte, ist es mir gelungen, ihr Vertrauen zu gewinnen und ihren
Erzählungen zu lauschen. So habe ich erst am Ende unserer Begegnung
herausgefunden, dass es nachvollziehbare Gründe für ihren Widerstand gab.
Das erste große Anliegen, von welchem sie mir
berichten, bezieht sich auf den Besitz von Dokumenten: Sie sagen mir, dass
keiner von ihnen eine zeitlich-begrenzte Aufenthaltsgenehmigung hat. Ich frage
sie, ob sie das C3-Formular ausgefüllt haben und erkläre ihnen, um was es sich
handelt. Keiner von ihnen scheint ein Problem damit zu haben, meine Frage zu verneinen
und sie fügen hinzu nur für die Identifizierung ins Polizeipräsidium gebracht
worden zu sein.
Es wird deutlich, dass sie keine Vorstellung
haben wie das Verfahren der Asylbeantragung funktioniert und als ich sie frage,
ob ein Treffen mit einen Rechtsberater stattgefunden hat, berichten sie mir,
dass sie einen Anwalt getroffen hätten, welcher nur einmal im Zentrum erschienen
sei. Dieser habe ihnen ausschließlich Informationen zur Einrichtung gegeben und
habe darauf hingewiesen, dass ihr Aufenthalt hier aufgrund ihrer „Notfallfunktion“
nur zeitlich begrenzt sei.
Natürlich haben sie angefangen mich zu
fragen, warum sie noch dort seien und erzählen mir, dass wenn sie versuchen
würden Informationen von den Angestellten zu erhalten, Dokumente einzufordern oder
nach Taschengeld zu fragen (welches nur aufgrund ihrer Proteste von monatlich 30
Euro über 40, auf schließlich 50 Euro erhöht wurde) man ihnen antworte, dass
wenn sie Probleme hätten, das Zentrum dafür sorgen würde, sie zurück nach
Afrika zu schicken oder man sie der Regionalbehörde melden würde um eine
Ablehnung ihrer Asylanträge zu erwirken.
Leider sind diese Art der Drohungen keine
Neuigkeit innerhalb dieser Zentren in welchen man versucht die Ordnung mit
Psychoterror zu bewahren, aber in diesem Falle, vorausgesetzt die Aussagen der Jugendlichen
bewahrheiten sich, ginge es in Richtung einer verwerflichen Einschüchterung.
Alle Anwesenden bestätigen mir diese Aussage,
bekräftigend nochmals dass sie jedes Mal eine hässliche Antwort erhalten, wenn
sie ein Anliegen vortragen und es schwarz auf weiß haben wollen, ob sie tatsächlich
nach Afrika zurückgesendet werden können.
Dann erzählen sie mir von der Schule. Sie
wissen, dass diese für sie wichtig ist und sagen mir, dass es keinen internen
Kurs gibt, sie aber wohl alle in einem Abendkurs für Italienisch in Mazara 2 eingetragen
seien, welcher von einem Professionellen Regionalzentrum organisiert wird. Hier
hielten sie sich jeden Tag von 15 bis 19 Uhr auf. An dieser Stelle sollte
erwähnt werden, dass dieses Gebiet, welches sich circa 4 Kilometer vom ex-Hotel
Ruggero befindet, seit Jahren eine Hochburg von Drogenhandel und
Lokalkriminalität ist.
Die Jugendlichen beklagen
die schlechte Qualität der Kleidung und des Essens sowie ablaufende Hygieneprodukte.
Einer von ihnen zeigt mir einen Ausschlag am Rücken und erzählt mir, dass drei
weitere Jugendliche das selbe Problem haben. Er ist überzeugt, dass dies auf die Seife zurückzuführen ist und als
ich ihn frage, ob er jemandem von seinem Problem berichtet habe, sagt er, dass
es sowieso keinen Sinn habe. Ich frage also nach einer Einschätzung bezüglich
der gesundheitlichen Leistungen und sie erzählen mir, dass sie zum Arzt
begleitet werden, die Angestellten aber nur sehr langsam reagieren würden, wenn
sie auf ein Problem hinweisen. Sie erzählen mir, dass ein Freund seit acht
Tagen aufgrund einer Magenoperation in einem Krankenhaus ist und keiner der Angestellten
ihn bisher besucht habe. An diesem Punkt erreicht uns die Erzieherin, welche
sich zugleich einmischt, das soeben Gesagte abstreitet und einen der
Jugendlichen anschreit, dass dies nicht wahr sei und er nichts wisse. Der Junge
ruft daraufhin den Freund, der sich im Krankenhaus befindet an, welcher mit
Lautsprecher die Aussage seines Freundes bestätigt und darum bittet, mit mir zu
sprechen, um mir zu berichten, dass er tagelang mit niemandem kommunizieren könne,
noch nicht mal mit den Krankenschwestern.
An diesem Punkt stößt auch
die Sozialarbeiterin dazu, welche behauptet, den betreffenden Jugendlichen am
Tag zuvor im Krankenhaus besucht zu haben und ihm sogar Wechselkleidung
mitgebracht zu haben. Es erreichen uns schließlich der Vorstand und der
Vermittler, die mir signalisieren, sie aufzusuchen, sobald ich meine
Unterhaltung mit den Jugendlichen beendet habe.
Im Laufe des letzten Teils
dieser Unterhaltung habe ich von zwei weiteren besonderen Fällen erfahren: Es gibt
einen Jugendlichen, der bereits vor 14 Monaten in Italien angekommen ist und der
nach einem Jahr Aufenthalt in der Wohngemeinschaft „San Francesco“ in Agrigent,
nach deren Schließung für einen Monat in ein sizilianisches Zentrum umgesiedelt
worden war, bevor er hier her kam. Folglich befindet sich dieser Junge 14
Monaten nach seiner Ankunft immer noch im Erstaufnahmesystem. Ich frage ihn, ob
man ihm erklärt habe, warum er so oft umziehen müsse und er berichtet mir, dass
ihm nie irgendetwas erklärt worden sei und er momentan nicht wisse wie lange er
noch auf seinen nächsten Umzug warten müsse.
Ich finde anschließend
einen weiteren Jungen, welcher etwas jünger als der Durchschnitt der im Zentrum
lebenden Jugendlichen erscheint, aber ich schaffe es nur seine Herkunft zu
ermitteln. Er ist aus Eritrea und spricht kein Englisch und es sind die anderen
Jugendlichen, die mir erklären dass er mit niemandem kommuniziert, weil er
keine der üblichen Sprachen spricht. Es versteht ihn keiner und insofern bleibt
er isoliert.
Ich verlasse die Jugendlichen
und gehe zum Koordinator, welcher sich mir gegenüber sehr hilfsbereit zeigt und
gleichzeitig eine große Unübersichtlichkeit bezüglich der Koordinierung des
Zentrums sowie der Asylantrags-Prozeduren an den Tag legt. Als ich ihn nach
Erklärungen bezüglich der C3-Ausfüllungen frage, weist er auf die Präfektur hin.
Als ich ihn darauf aufmerksam mache, dass es sich um eine Aufgabe der
Polizeibehörde handelt, frage ich ihn, warum noch keiner der Jugendlichen einen
entsprechenden Antrag ausgefüllt hat. Er sagt mir, dass er diesen nicht kennen
würde und dass ich diesbezüglich mit dem Sozialassistenten sprechen solle. (Was
ich gern tun würde, aber dieser ist bereits nach Hause gegangen. Ich lasse alle
Kontaktdaten meiner Person und des Vereins dort, signalisierend, dass ich
bereit bin wieder zu kommen, aber bis heute habe ich noch keinen Rückruf
erhalten).
Er bietet mir an, die
Anlage zu besichtigen, welche aufgrund der Tatsache, dass es sich um ein vier
Sterne Hotel handelt, einen schönen und sauberen Eindruck macht. Er bringt mich
in den Gemeinschaftraum und in die Mensa wo die Speisen eingenommen werden,
welche von der internen Küche zubereitet werden.
Wir gehen in die Küche, wo
gerade gearbeitet wird. Auch diese erscheint sehr sauber und neben zwei
Angestellten finde ich dort auch einen der jungen Gäste, welcher beim Kochen
hilft. Sie sagen mir, dass es sich um einen Freiwilligen handele und dass er
bei der Essensvorbereitung helfe. Ich habe keine Gelegenheit näher mit ihm zu
sprechen. Das Tagesmenü beinhaltet Reis mit Hühnchen und Kartoffeln und die
Portionen sind umfangreich. Die Jugendlichen hatten die Qualität des Essens
bemängelt, welches zu oft Pasta beinhalte, die ihnen aber nicht schmecke,
schwer verdaulich sei und oft nicht ausreichend sättigend.
Ich spreche den Koordinator
auf die Drohungen bezüglich der Rücksendung nach Afrika und die Bestechung der
Entscheidungsbehörden an, von welcher mir viele der Jugendlichen berichtet
haben. Er streitet ab, dass einer der Angestellten sich einer solchen Praxis
bedient habe und versichert mir, zu verifizieren, ob eine solches Verhalten
üblich unter den Angestellten sei und im Falle dafür zu sorgen, dass dies nicht
mehr vorkomme.
Als ich den Protest
anspreche, sagt er mir, dass es nur fünf Jugendliche seien, die diesen
vorantragen würden. Als ich darauf hinweise, dass die Polizei eingeschritten
ist, gibt er zu, dass es eigentlich 30 Jugendliche gewesen seien, dass er aber
den Eindruck habe, dass nur fünf von ihnen wirklich überzeugt seien. Er gibt
zu, dass er selbst die Polizei gerufen habe und bestätigt den Mangel des Dienstes
für sprachliche und kulturelle Vermittlung, welcher von einer einzigen Person
übernommen wird, welche nur wenig Vertrauen seitens der Jugendlichen genießt.
Neben dem Koordinator
besteht das Team aus einem Sozialarbeiter, zwei Erziehrinnen, einem Mediator
für Sprache und Kultur, dem Küchen- und Reinigungspersonal sowie der
Hausmeisterei. Eine sehr spärlich besetzte Gruppe angesichts der Tatsache, dass
sie sich um 60 Minderjährige kümmern muss, zudem fehlen Psychologen und Rechtsberater.
Ich weise auf den Fall des
eritreischen Jungen hin, mit welchem ich nicht kommunizieren konnte und erfrage
wie mit dieser Situation umgegangen wird. Er versichert mir, dass der
Vermittler, welcher selbst aus Gambia stamme und Englisch, Bambara und Mandinga
spreche, den Jungen mehr oder weniger verstehe. Das Fehlen einer angemessen
Sprach- und Kulturbetreuung für diesen Jungen führt nicht nur dazu, dass er nur
schwer mit anderen in Kontakt treten kann, sondern könnte sich auch negativ auf
die Protokollaufnahme seines Asylantrags auswirken.
Ich frage den Koordinator
anschließend nach Informationen im Bezug auf Integration und er sagt mir, dass
man gerade ein Fußballspiel organisiert habe und berichtet von einem
Fitnessstudio mit Geräten, das er mir zuvor gezeigt hatte. Er fügt hinzu, dass
das Team von „Save the Children“, welches sich seit zwei Monaten im
Stadtzentrum aufhält, ihn kürzlich kontaktiert habe, um ihm einen Extrakurs
innerhalb des Zentrums vorzuschlagen.
Es erweckt nicht wenig
Erstaunen, dass in einem Zentrum, welches noch immer den grundlegenden Verpflichtungen
zum Schutz seiner jungen Gäste nicht nachgekommen ist, die nach Monaten noch
immer auf die Protokollierung ihres Asylantrags und den Umzug in ein SPAR* warten,
extra-Projekte angeboten werden, auch wenn deren Art nicht näher erläutert wird.
*SPRAR – Sistema di
protezione per rifugiati e richiedenti asilo: Schutzsystem für Asylsuchende und
Flüchtlinge, kommunales Aufnahmesystem auf freiwilliger Basis (keine staatliche
Verpflichtung), ca. 3000 – 3500 Plätze in ganz Italien. Soll zur Integration
der Flüchtlinge dienen.
Aus dem Italienischen von
Giulia Coda