Besuch im CAS* von Piazza Amerina
In den vergangenen Tagen sind wir in das Viertel Santa Croce zur Piazza Armerina zurückgekehrt. Wir wollten einige Bewohner*innen des neuen Zentrums treffen, das vom Verein Solidarietà geleitet wird. Dieses Zentrum hat starke Spannungen zwischen Bürger*innen und Ordnungsamt hervorgerufen und wir hatten Gelegenheit, schon mehrere Male darüber zu schreiben. Zu unserer Erleichterung konnten wir zuallererst feststellen, dass die Transparente, die für die Proteste des Bürger*innenkomitees aufgehängt worden waren und von denen einige für die Bewohner*innen des Zentrums beleidigende Sätze trugen, endlich abgehängt worden sind.
Die betreffende Einrichtung ist ein kürzlich errichtetes dreistöckiges Wohnhaus. Außer diesem Gebäude verwaltet der Verein Solidarietà noch zwei Wohnungen im Zentrum der Stadt, in denen ungefähr 10 Asylsuchende wohnen; dazu auch eine ehemalige Agrotourismus-Einrichtung, in der ungefähr 20 Personen leben. Diese Einrichtung befindet sich sehr abgelegen auf dem Land. Sie ist mit der Stadt weder durch öffentliche Verkehrsmittel noch durch eine begehbare Straße verbunden, da Beleuchtung und Bürgersteig fehlen.
Wir haben einige Asylsuchende getroffen und mit ihnen gesprochen. Schon in den ersten Worten taucht das Problem auf: Es ist die Müdigkeit über die lange Zeit des Stillstands, in der sie seit mehr als zwei Jahren leben. Nachdem sie lange auf die Kommission gewartet haben und als nicht schutzwürdig betrachtet wurden, warten sie nun auf den Ausgang des Widerspruchsverfahrens. Es ist wichtig daran zu erinnern, dass praktisch alle Bewohner*innen aus anderen Aufnahmezentren in der Provinz hierher verlegt worden sind, nachdem diese aufgrund der Anwendung der neuen Ausschreibung geschlossen wurden. In dieser sich äußerst lange hinziehenden Wartezeit ist das vordringliche Problem, so sagen sie, das bezüglich der Dokumente; die möchten sie schließlich bekommen, um sich woanders ihr Leben aufzubauen.
Tatsächlich geht aus dem, was sie uns erzählen und was wir schon seit einiger Zeit feststellen konnten, hervor, dass viele dieser Menschen, die seit langer Zeit in dieser Gegend leben, gelegentlich in der Landwirtschaft, in Restaurants oder im Handel arbeiten. Das Problem ist, dass es sich in allen Fällen um Schwarzarbeit handelt und folglich um Ausbeutung und um das Fehlen von Garantien.
Wir haben festgestellt, dass die Schwarzarbeit immer mehr als Teil der Asylsystems zu betrachten ist. Wir sind tatsächlich auf Häuser gestoßen, in denen bestimmte Ausgaben zu Lasten der Bewohner*innen des Zentrums gingen; um diese zu decken, mussten sie auf dem Land arbeiten.
Allgemein bleibt die Tatsache, dass sich die übergroße Mehrheit der Menschen seit zu langer Zeit in einer Situation der Passivität befindet. Der Satz, der immer wiederkehrt, lautet: „Man kann nicht jahrelang nur essen und schlafen. Das ist kein Leben.“
Wir fragen die Gäste, ob dieses Projekt auch Integrationsmaßnahmen beinhaltet, wie zum Beispiel Kurse oder Praktika. Die Antwort ist negativ. Der Italienischkurs sei planmäßig jeden Tag vorgesehen, aber da viele von ihnen arbeiten gingen und andere im Bett blieben, sei der Lehrer oft gezwungen, die Unterrichtsstunde abzusagen.
Die Erbitterung über die lange Zeit der Passivität hat bei vielen von ihnen dazu geführt, dass sie das Aufnahmeprojekt verlassen haben. Ein Beispiel: In der Wohnung neben dem Hauptgebäude, die auch ein Teil des Aufnahmeprojektes ist und zu der drei große Zimmer gehören, sollten zwölf Personen leben. Im Augenblick wohnen dort nur fünf, weil die Anderen, wenige Tage nach der Verlegung in dieses Zentrum, beschlossen haben, wegzugehen.
Als wir nach einer Beschreibung des Projektes fragen, sprechen sie von einem Team, das aus zwei Übersetzer*innen, einem Angestellten für die bürokratischen Angelegenheiten, dem Italienischlehrer und einem Fahrer besteht. Diese arbeiten in den drei verschiedenen Aufnahmeeinrichtungen des Projektes, die von der Vereinigung betrieben werden. Die Bewohner*innen erhalten wöchentlich ihr Taschengeld in Form von Warengutscheinen, einlösbar in den Geschäften.
Es gibt niemanden für die psychologische Unterstützung und auch keine*n Berater*in in Rechtsfragen.
Schließlich bitten wir sie, uns zu erzählen, wie es ihnen in dem Viertel geht und welche Beziehung sie zur Nachbarschaft haben. Ihre Antwort ist beruhigend: Sie sprechen von Menschen, die freundlich zu ihnen sind und erklären, dass sie gar kein Problem haben mit den Leuten im Viertel. Es scheint daher, dass sich die Proteste der Bürger*innen nur gegen die Institution gerichtet haben, die die Verantwortung für die Verwaltung der Aufnahme tragen.
Vor kurzem wurde auch das Viertel „Monte“ von Protesten des Bürger*innenkomitees heimgesucht. Diese richteten sich gegen die Eingliederung von sechs Asylsuchenden. Nach einer Begegnung zwischen dem Präsidenten der Vereinigung Don Bosco 2000, der Verwaltungsgesellschaft des Aufnahmeprojektes, die für die Wohnung verantwortlich ist und dem Präsidenten des Bürger*innenkomitees scheint es, als seien die Spannungen gemildert. Es wurde auch der Wille geäußert, „die Begegnungen zwischen den beiden Organisationen fortzusetzen; Ziel ist, an der Basis Prozesse für neue Unternehmungslust zu initiieren und vor allem, das Phänomen Migration kennenzulernen.“ Dies ist ein Beispiel dafür, wie Information und Einbeziehung der Bürgerschaft zu einem wichtigen Instrument zur Integration der Migrant*innen wird.
Giovanna Vaccaro
Borderline Sicilia
*CAS – Centro di accoglienza straordinaria, außerordentliches Aufnahmezentrum
Übersetzung aus dem Italienischen von Rainer Grüber