Besuch im außerordentlichen Aufnahmezentrum von Modica, „Villa Tedeschi“


Foto: Lucia Borghi

Am 29.
Oktober haben wir das in der „Villa Tedeschi“ untergebrachte außerordentliche
Aufnahmezentrum von Modica besucht. Dieses ist, wie durch die Ausschreibung der
Präfektur festgelegt, unter der Führung der Genossenschaft „La Sorgente“. Die
Genossenschaft leitet noch zwei weitere außerordentliche Aufnahmezentren in den
Ortschaften Cava d’Aliga und Chiaramonte Gulfi, in denen ausschließlich
männliche, volljährige Migranten untergebracht sind. In der „Villa Tedeschi“
hingegen befinden sich zur Zeit 20 Personen, sechs Frauen und 14 Männer. Die
gemeinsame Unterbringung von Frauen und Männern in dieser Struktur scheint vor
allem auf ihre günstige Lage zurückzuführen zu sein. Die Einrichtung befindet
sich zwar auf einem ehemaligen Gutshof außerhalb der Stadt, das Krankenhaus von
Modica ist von hier aus jedoch einfach zu erreichen. Das Zentrum ist somit eine
geeignete Unterkunft für die vielen jungen Schwangeren, die im Hafen von
Pozzallo ankommen und von hier aus kontinuierlich medizinisch betreut werden
können.

Das Gebäude
des außerordentlichen Aufnahmezentrums „Villa Tedeschi“ ist sehr groß und
verfügt über mehrere Gemeinschaftsräume, darunter ein Fernsehraum, ein
Speisesaal, ein Aufenthaltsraum und eine Wäscherei. Zudem stehen den Bewohnern
große Außenflächen zur Verfügung, wie zum Beispiel der Gemüsegarten. Es gibt
sieben geräumige Schlafzimmer mit jeweils drei Betten und eigenem Badezimmer. Einige
Zimmer haben auch einen kleinen Balkon. Als ich mich dem Gebäude nähere,
bemerke ich sofort die vielen Fahrräder, die die Bewohner nutzen, um in die
Stadt zu fahren. Die große Stille wird nur vom Summen eines Radios und von den
eingeschalteten Fernsehgeräten gestört. Ich werde von der Koordinatorin und
etwas später von einer Mitarbeiterin begrüßt. Die Verantwortliche des Zentrums
schildert mir die Situation. In diesem außerordentlichen Aufnahmezentrum
arbeiten vier Mitarbeiter, ein Koch und eine Reinigungskraft. Der Koch kam
selbst vor einigen Jahren als Asylantragsteller in ein Zentrum der Genossenschaft, jetzt ist er regulär
angestellt und wohnt in der Struktur. Die vier Mitarbeiter sprechen entweder
Englisch oder Französisch oder beides, wie die Koordinatorin selbst, die auch
Beraterin ist. Für die juristische Beratung stehen den Gästen drei Anwälte zur
Verfügung, die mit dem Zentrum zusammenarbeiten, während sich die Teams von Msf (Ärzte ohne Grenzen) und Medu um die psychologische
Unterstützung der Bewohner kümmern, sowie um die ärztlichen Attests für die
Asylkommission, falls nötig. Die Migranten, die zur Zeit im Zentrum
untergebracht sind befinden sich in sehr unterschiedlichen Situationen und
kommen hauptsächlich aus Mali, der Elfenbeinküste, dem Senegal aber auch aus
Nigeria und Gambia. Eine junge Frau ist marokkanischer Herkunft. Zwei der
Bewohner sind seit gut zwei Jahren im Zentrum und warten im Moment auf den
Abschluss ihrer Berufungsverfahren, die auf die Ablehnung ihrer Asylanfragen
folgten. Der Großteil der übrigen Insassen hatte vor kurzem die Anhörung bei
der Kommission oder sie warten auf die Anhörung. Die letzten Neuankünfte zogen
im August diesen Jahres ein und wer beispielsweise im Juli ins Zentrum kam,
bekam einen Anhörungstermin im November. Begrenzte Wartezeiten im Vergleich zu
anderen außerordentlichen Aufnahmezentren. Die Koordinatorin berichtet, „sobald
ein neuer Gast einzieht setzten wir uns mit dem Polizeipräsidium und der
Präfektur in Verbindung, um die Identifikation zu vervollständigen und das
Formular C3 auszufüllen. Im Schnitt einen Monat später bekommen die Personen
die Personalbescheinigung, mit der wir gleich für die Steuernummer und den
Sanitätsausweis anfragen. Alle Bewohner haben einen Hausarzt, zu dem sich in
der Zwischenzeit ein höchst vertrauenswürdiges Verhältnis entwickelt hat und
mit dem wir gut zusammenarbeiten.“ In der Struktur befindet sich zur Zeit eine
junge Schwangere, für die bereits nach einer geeigneten Unterbringung gesucht
wird. Währenddessen erhält sie, dank der Bereitschaft der Ärzte und der
gegenseitigen Wertschätzung, alle nötigen medizinischen Kontrollen. Auch der
Kontakt zu den Italienischlehrern der Gegend ist gut, „Normalerweise wird
zweimal wöchentlich ein Italienischkurs abgehalten, aber in diesem Jahr haben
sich die Lehrer einer nahegelegenen Schule dazu bereiterklärt, den Unterricht
direkt hier abzuhalten und in Kürze beginnen ein Alphabetisierungskurs sowie ein
Sprachkurs für Fortgeschrittene bei dem die Teilnehmer das Level 2 erreichen, mit
dem sie den Mittelschulabschluss machen können,“ so die Koordinatorin. „Im
bescheidenen Rahmen und mit sehr viel Mühe versuchen wir den Migranten
verschiedene Aktivitäten nahe zu legen, die natürlich ihre Integration
unterstützen, wie zum Beispiel das Erlernen der Sprache, auch wenn nicht alle
den Italienischkurs besuchen wollen. Sofern möglich, beteiligen wir uns auch an
lokalen Veranstaltungen, wie zum Beispiel an Projekten organisiert von Legambiente oder Musikabende und
Feste. Wir würden gern mehr machen, aber unsere Ressourcen sind beschränkt,
auch weil wir ein außerordentlichen Aufnahmezentrum sind. Wir müssen uns um
sehr viel kümmern, weil wir den Schutz jeder einzelnen Person garantieren
wollen und uns täglich mit jedem Bewohner auseinandersetzten. Gleichzeitig ist
es für uns unumgänglich den Bewohnern ihre Privatsphäre zu gewähren.“ Im
Abstand von zehn Tagen wird ihnen das Taschengeld in bar ausgezahlt, 2,50 Euro
pro Tag. Dies wird in Kürze auf Bestimmung der Präfektur abgeändert und künftig
nur noch im 15 Tage Rhythmus an festgelegten Daten ausgeteilt. Einige Bewohner
tauchen auf und verlangen nach Aufmerksamkeit, einige gehen draußen umher und
wieder andere reparieren die Fahrräder. Eine junge Nigerianerin kommt auf mich
zu, sie zeigt mir ihr Zimmer und erzählt mir von ihrem Alltag hier im Zentrum:
„Ich bin seit sechs Monaten hier und es geht mir gut. Am Nachmittag, gehe ich
auch gern nach Modica, für einen Stadtspaziergang. Das einzige Negative, die
Zeit vergeht nicht und ich habe hier noch keine Freundschaften geschlossen und
in meinem Heimatland will ich zu niemanden mehr Kontakt haben.“ „Zu Beginn
denkt man nur an die Papiere und die Zeit will nicht vergehen,“ bestätigt mir
auch der Koch, der zuerst in einer anderen Einrichtung, geleitet von der selben
Organisation wohnte. „Ich habe mich sofort dazu bereit erklärt dem
Küchenpersonal zu helfen, auch deshalb, da ich verstanden hatte, dass das
zubereitete Essen den Gästen nicht gut schmeckte, wir waren nicht an
italienisches Essen gewohnt. Die Arbeit in der Küche hat es mir erlaubt, nicht
ständig nur an meine Papiere zu denken und dann hatte ich Glück, dass sie hier
noch einen Koch brauchten und mich auswählten.“ In der Küche hängt das sehr
abwechslungsreiche und ausgewogene Wochenmenü, welches der Koch mit den Gästen
abspricht. Ich weiß, dass ich als Koch eine gute Arbeit haben kann und deshalb
möchte ich mich ausbilden und weitere Kurse besuchen. So lerne ich auch neue
Leute kennen.“ Der Wunsch nach lokalen Kontakten ist allgegenwärtig auch bei den
Gästen die ich im Fernsehsaal treffe. B., der vor kurzem von der Ablehnung
seines Asylantrags erfahren hat, vertraut mir an, dass er sich schämt
Italienisch zu sprechen. „Ich kann verstehen aber nicht gut sprechen, deshalb
bin ich still. Das Problem ist, dass ich keine italienischen Freunde habe,
sonst würde ich es schaffen die Sprache zu lernen. Mittlerweile suchen sie
einen Anwalt für mich und ich weis, dass ich in Berufung gehen kann, um in
Italien zu bleiben und wegen der Dokumente. Trotzdem mache ich mir Sorgen,
solange ich nicht mit den Italienern spreche, kann ich hier sein oder irgendwo
anders, es würde nichts ändern.“ Vor einigen Monaten hat B. zusammen mit
anderen Männern an einem abendlichen Musikfest
(Arte Migrante, organisiert vom literarischen Café Hemingway),
teilgenommen. Bei diesem Anlass hat ihm jemand eine Gitarre geschenkt auf der
er jetzt oft spielt. „Solche Ereignisse sind schön, denn ich suche den Kontakt
zu den Leuten, aber auch die Einheimischen müssen den Kontakt zu uns suchen,
wie es einige machen, ansonsten können wir nicht zusammen kommen,“ kommentiert
einer seiner Freunde. „Ich weiß, dass es Zeit braucht, aber man sollte
zumindest damit anfangen.“ Aber wie viele, möchte man fragen, verstehen die
Dringlichkeit und haben den Willen dazu? Wie viele Jahre müssen noch vergehen
bis man bemerkt, dass die Aufnahmepraxis oder jene Praxis, mit der viele
Zehnter Papier gefüllt und ebenso viele Millionen Euro verrechnen werden,
lediglich aus Wörtern besteht, solange sie nicht die Rechte garantiert und das
tägliche Zusammenleben fördert.

Lucia
Borghi

Borderline Sicilia

Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner