Bericht aus Lampedusa, 30.09.-2.10.2011

Seit gestern haben viele Touristen die Insel verlassen und wir versuchen nun uns intensiver mit den Bedürfnissen von dem Verein Askavusa und den Bewohnern von Lampedusa im Allgemeinen auseinanderzusetzen. Wir sprachen mit Askavusa, die uns sagten, dass sie beabsichtigen, ein neues Festival über Silvester zu organisieren (28.12.-02.01.). Es soll im Rahmen der Kampagne „Ich gehe nach Lampedusa“ durchgeführt werden und dazu dienen, verantwortlichen Tourismus für die Winterzeit anzuziehen. Der Höhepunkt des Festivals soll ein großes Konzert mit traditionellem Essen sein, unterstützt durch die Brigade der Solidarität. Derzeit gibt es jedoch noch viele Zweifel an der Realisierbarkeit der Idee. Für dieses Ereignis sucht der Verein daher mehr Unterstützung, weil es erlauben würde, ein positives Bild der Insel abzugeben.Askavusa hat sich seit 2005 verpflichtet, Mittel für ein dauerhaftes Museum der Migration zur Verfügung zu stellen, das die Fundstücke der Landungen von Migranten auf künstlerische und historische Weise würdigen soll. Das Kulturdezernat von Lampedusa hat nicht nur nie auf Anfragen der Initiative geantwortet, es hat stattdessen die Idee des Projektes von Giacomo Sferlazzo (aus dem Jahre 2008) kopiert und ein neues Projekt in einer Privatvilla in Rom vorgestellt. Dieses Projekt sieht ein Migrationsmuseum ohne die Involvierung Askavunas vor und plant die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern aus anderen Teilen der Erde. Das Projekt wird durch den Ministerrat, der Region Sizilien und vielleicht noch anderen Einrichtungen finanziert. Giacomo hat durch Zufall von dem neuen Projekt erfahren und ist zur Präsentation gefahren, um seine Vorwürfe zu äußern, dass der Beigeordnete für Kultur die Bewohner von Lampedusa einer wichtigen Gelegenheit beraube, das Potential der Insel zu demonstrieren und dass er dies beweisen könne. Man kann das Video der Präsentation bei Facebook ansehen. Der Verein Askavusa versucht den Rechtsweg zu nutzen, um den Anspruch auf den Titel des Projekts zurückzuerhalten.

Darüber hinaus zahlen die Jugendlichen von Askavusa 400 Euro monatlich Miete für den Sitz der Initiative und beklagen, dass es an einer Politik fehle, soziale Treffpunkte und Freizeitangebote für Jugendliche bereitzustellen. Oft vergeuden die jungen Leute ihre Zeit mit den Konsolen ihrer Videospiele oder hängen auf den Strassen herum. Zudem sind die Zustände am einzigen Gymnasium teilweise ungenügend, sodass die Schüler Abendkurse belegen müssen, um den Lektionen folgen zu können. Die Jugendlichen von Askavusa wünschen sich einen Probenraum für Musiker und Bands und diskutieren derzeit, wo man dieses Angebot realisieren könnte. In der Vergangenheit haben sie bereits versucht, Unterstützung von der Stadt zu erhalten und haben dafür sogar Unterschriften gesammelt (z.B. für eine Skateboard-Rampe), jedoch wurden ihre Anfragen nie berücksichtigt. Darüber hinaus gibt es auch keine Einrichtungen, um jenseits der Schule die Ausbildung fortzusetzen und der Zugang zu dem nationalen Gesundheitssystem ist schwierig (beispielsweise ist eine Geburt mit sehr hohen Kosten verbunden). 

Das Festival „O’Scià“ endet und die Bewohner von Lampedusa haben sich dieses Jahr gegenüber Baglioni und den anderen Organisatoren des Festivals erneut sehr dankbar gezeigt. Allerdings waren die Bezüge und Hinweise zum Phänomen der Migration äußerst rar und oberflächlich. Baglioni kommentierte die schwierige Situation, die die Insel durchlebt hat und sagte, dass es ihr Verdienst gewesen sei, bei den Bewohnern der Insel wieder ein Gefühl der Einheit zu wecken, um den Herausforderungen mit Respekt und Brüderlichkeit gegenüber allen Menschen zu begegnen; ein Schauspieler verlas eine Rede von Martin Luther King und in einem Video rezitierte Franco Battiato einige Verse eines Arabischen Poeten, Ibn Hamdts, der im 11. Jahrhundert auf Sizilien lebte. Viele Künstler haben ihre Verbundenheit mit Lampedusa zum Ausdruck gebracht und sagten, dass sie wegen der Insel stolz seien Italiener zu sein. Das Lob von Lampedusa war Hauptthema des Festivals, zusammen mit ständigen Verweisen auf die andauernden Unterschiede zwischen dem Norden und Süden Italiens. Es wurde zudem auf die Zustände in den benachteiligten Ländern der Welt hingewiesen, auf Länder, die von Kriegen betroffen sind und auf die Aufnahmesituation von Migranten. Allerdings beschwerten sich viele Leute, dass ein Fest, das explizit für Migranten und die Interkulturalität organisiert wurde, nur so wenig Raum für das eigentliche Thema ließ.

Als das Festival gerade endete, hörte man die Sirenen der Polizeiautos und es verbreitete sich das Gerücht von neuen Ankünften irregulärer Migranten. Besonders ältere Bewohner befürchteten, dass diese Migranten letzten Endes aus Hunger stehlen könnten. Es handelte sich bei dem Einsatz der Polizei jedoch um ein tunesisches Fischerboot, das in Seenot geraten war und gerettet wurde. Mir bestätigte ein Mediator von der Organisation „Save the Children“, dass das Aufnahmezentrum derzeit leer sei. Nur am 29. (oder 28.) sind 22 tunesische Migranten in Linosa gelandet und nachdem sie eine Weile auf dem Sportplatz versammelt wurden, wurden sie in andere Zentren transferiert. Der Verantwortliche von „Save the children“ war im Mai im Rahmen eines Projektes in den Flüchtlingslagern in Tunesien und Libyen und traf dort die gleichen Freunde an, die er bereits fünf Jahre vorher auf der Reise von Eritrea nach Europa kennen gelernt hatte. Sie hatten es leider nicht geschafft und waren immer noch da. Ich habe zudem einen tunesischen Jungen kennengelernt, der im Januar angekommen ist und mittlerweile humanitären Schutz erhält. Der Priester hatte ihm dabei geholfen, mittlerweile verkauft er Keramik. Er sagte, dass er Ghannouchi unterstütze und einer Partei angehöre, die ich nicht identifizieren konnte. Anscheinend hat der Priester in seinen Predigten die Gewaltausbrüche der letzten Tage verurteilt und lobt oft die Aufnahme der Migranten. Leider wurde jedoch zweimal in der Kirche gestohlen, und es wird vermutet, dass Migranten dies aus Trotz getan haben könnten.
 
Daniela Caldarella für das Antirassistische Forum von Palermo
aus dem Italienischen von Elias Steinhilper