Ägyptische Migrant*innen werden per Luftbrücke in die Hölle des Diktators Al Sisi zurückgebracht
Artikel vom 17. September 2021
Africa-Express.info – Neun Geisterflüge um hunderte von ägyptischen Geisterbürger*innen zu deportieren. Unbekannt sind ihre Gesichter, ihre Vor- und Familiennamen, ihr Alter, ihre zerbrochenen Hoffnungen und Träume, die wahren Gründe, warum sie ihre Häuser und Familien verlassen und eine lange und gefährliche Reise übers Meer und durch Wüsten unternommen haben.
In Wahrheit wissen wir nicht einmal, wie viele wirklich in nur sechs Monaten abgewiesen oder abgeschoben worden sind, denn die Zählung der Bürokraten ist alles andere als präzise und gewissenhaft. Nicht weniger als 180 Ägypter*innen, aber es könnten auch 350 gewesen sein. Man spricht von „Rückführung und Wiederaufnahme“ aber in drei Fällen befand sich der Zielflughafen nicht in Ägypten, sondern in einem Dritt-Land, 3.000 Km entfernt.
Wir wissen nicht, wem und mit welchen Garantien die ägyptischen Bürger*innen, die das italienische Territorium illegal betreten haben, übergeben wurden und wer in Rom auf welche Weise verifiziert hat, ob sie nicht vor den blutigen Repressionen des Regimes des Generals Al Sisi – unfreiwilliges Verschwinden, Tötungen ohne Gerichtsurteil, Folter – geflohen sind. Seit der tragischen Angelegenheit des Forschers Giulio Regeni und der unbegrenzten Haft für Patrick Zaki, eines Studenten der Universität Bologna, wissen in Italien jetzt alle über die Zustände in Ägypten Bescheid.
Die Bekanntmachungen der Ausschreibungen für den Lufttransport von Migrant*innen, vergeben von der Abteilung für öffentliche Sicherheit des Innenministeriums (zentrale Direktion für Immigration und der Grenzpolizei), zugänglich auf der Web-Seite der Staatspolizei, umreißen ein neues und beunruhigendes Szenario: Zwischen dem 19. März und dem 31. August 2021 haben die italienischen Behörden 652.290€ ausgegeben, um neun Flugzeuge anzumieten und eine unbestimmte Anzahl von ägyptischen Bürger*innen zu deportieren, „Adressaten der Maßnahmen zur Ausweisung oder Zurückweisung des Polizeidirektors“.
Verwerfliche Operationen angesichts des Klimas der Gewalt und der Unterdrückung, das in dem nordafrikanischen Land herrscht und ungerechtfertigte Verschwendung von finanziellen und humanen Ressourcen. „Für die notwendigen Dienste der Entfernung und Begleitung“ der Migrant*innen oder potenzieller Asylantragsteller*innen wurden zwischen 650 und 1.000 Polizeibeamte eingesetzt, mit nicht quantifizierbaren Kosten für die internationale Mission wie auch der Kosten für die Überführung der Ägypter*innen von den Haft- und Ausweisungszentren zu den Einstiegs-Flughäfen.
„Es erfolgt die mögliche Durchführung der Rückführung der ägyptischen Bürger*innen, die illegal auf das nationale Territorium gekommen sind, nach vorangehender Durchführung der notwendigen Maßnahmen zur Identifikation der Subjekte, gemäß dem Kooperations-Abkommen zwischen der Republik Italien und der Arabischen Republik Ägypten bezüglich der Wiederaufnahme vom 9. Januar 2007“. Das liest man in allen neun ausgehandelten Maßnahmen, mit denen die Staatspolizei private Gesellschaften mit dem Lufttransport der Migrant*innen betraut.
„Die Rückführung der Ausländer*innen, Adressaten der Maßnahmen zur Abschiebung, muss immer sofort ausgeführt werden oder, für den Fall, dass die Betroffenen in einem CPR (Zentrum für Rückführung, Anm. d. Aut.) zurückgehalten werden, sobald die Übergangssituationen überwunden wurden, die die Durchführung behinderten, unabhängig von der Verweildauer, unter Umständen schon gerichtlich bestätigt (…). Es ist deswegen die zuverlässige Notwendigkeit für die Maßnahme der Rückführung ägyptischer Bürger*innen ins Auge zu fassen, die bestimmt sind für die Maßnahmen zur Entfernung aus Italien mittels der Anmietung eines Flugzeuges und der zugehörigen Dienste.“
Der erste Wiederaufnahmeflug fand am 19. März 2021 statt und betraf „20/30 ägyptische Bürger*innen“ begleitet von „ungefähr 70/90 Einheiten von Personal der Polizeikräfte“. Das Flugzeug hat in Rom Fiumicino abgehoben und hat, nach einer Zwischenlandung in Palermo, Punta Raisi, seinen Reiseweg unglaublicher Weise „in Hammamet (Tunesien)“ beendet.
Die Kosten für die Anmietung belaufen sich auf 85.000€. Betraut wurde mit dem Flug die PAS Professional Aviation Solutions S.r.l, eine Gesellschaft mit Sitz in Mailand, die im Laufe des Jahres weitere 5 Flüge zum Transport ägyptischer Migrant*innen durchgeführt hat.
Am 13. April haben die Polizeibehörden weitere „20/40 ägyptische Bürger*innen mit einem Direktflug Rom-Kairo in ihre Heimat zurückgeführt; dann wieder am 27. April (Abflug von Rom Fiumicino, Zwischenlandung in Palermo und Ziel, wieder mal, Hammamet-Tunesien, Kosten 92.000€) und am 21. Mai (Abflug Rom Fiumicino, Zwischenlandung in Bari Palese und Palermo und Ankunft in Hammamet, 53.900€).
Am 21. Juni wurde eine weitere Gruppe von Migrant*innen nach dem Flug auf der Route Fiumicino-Palermo-Kairo den ägyptischen Polizeibehörden übergeben; am 2. Juli, mit einem Flugzeug, gemietet von EgyptAir, war der Flugweg für die „Wiederaufnahme“ im Heimatland Fiumincino-Bari-Kairo. Am 13. Juli verzeichnet man dagegen einen Flug mit Start in Triest-Ronchi dei Legionari, Zwischenlandung in Rom Fiumicino und Endziel die ägyptische Hauptstadt.
Die letzte Operation zur „Wiederaufnahme“ von circa 30 ägyptischen Migrant*innen fand am 31. August statt, auf der Route Rom-Bari-Kairo. Im Jahr 2000 gab es von Italien aus gerade mal zwei Flüge zur Rückführung (am 21. Januar und am 7. Februar) und immer auf der gleichen Route Rom-Palermo-Kairo, mit Gesamtkosten von 115.990€.
Die Übereinkunft über die Zusammenarbeit in Sachen Wiederaufnahme und Gegenstück zur irregulären Immigration, übernommen als juristisches Fundament für die Ausuferung der Flüge für die Geisterpassagiere, hat unerklärlicherweise die „Revolutionen“ und die Schläge des Staates überlebt, die Ägypten in der vergangenen Dekade erschüttert haben. Unterzeichnet von dem damaligen Vizeminister Ugo Intini (Präsident des Rates war Romano Prodi, Innenminister Giuliano Amati, Außenminister Massimo D’Alema) und von dem gleichgestellten Vizeminister der ägyptischen Republik, Mohammed Meneisi.
Die Übereinkunft blieb in Kraft trotz der Absetzung des Präsidenten Husni Mubarak am 11. Februar 2011 durch den Obersten Militärrat, angeführt von dem General Mohammed Hoseyn Tantawi; auf ihn folgte im Juni 2020 die umstrittene Wahl von Mohamed Morsi (Moslem-Brüder) und der Militärputsch vom 3. Juli 2013, mit der provisorischen Präsidentschaft des Richters Adil Mahmud Mansur; schließlich kam der General Abdel Fattal Al-Sisi (8. Juni 2014) an die Macht.
In den kritischsten Phasen der Beziehung zwischen den beiden Ländern – nach dem Mord an Regeni – haben die ägyptischen Behörden damit gedroht, die Denkschrift einseitig auszusetzen; die Rekordzahl der Rückgeführten im letzten Halbjahr bestätigen indessen, das die „irregulären“ Migrant*innen eine fundamentale Angelegenheit für die italienisch-ägyptische Allianz sind, auf der gleichen Ebene wie der Import-Export von Waffensystemen, Gas und Öl.
Nach dem, was vom 2. Artikel der Übereinkunft vorgesehen ist, nehmen beide vertragsschließenden Parteien „ihre eigenen Bürger*innen wieder zurück, die nicht den Anforderungen genügen, die durch die in Kraft stehende Gesetzgebung über Immigration festgelegt sind, unter der Bedingung, dass man beweisen oder vernünftigerweise annehmen kann, dass sie Bürger*innen der nachfragenden Partei sind.“
Vernünftige Vermutung über die Staatsangehörigkeit im Blick auf die Anfragen zur Wiederaufnahme, auf die die Parteien innerhalb von 21 Tagen antworten; andernfalls gilt die stillschweigende Zustimmung. Im Artikel 7 zieht man die Möglichkeit in Betracht, dass Bürger*innen von Drittländern das Territorium durchqueren, nach vorheriger Übereinkunft zwischen den Parteien, nicht mehr als drei auf einmal und mit Beschreibung des Wegverlaufes des Transits und des endgültigen Ziellandes.
In dem angehängten Ausführungsprotokoll, sieht der Artikel 2 vor, dass die Wiederaufnahme der Bürger*innen der vertragschließenden Parteien und die Prozeduren für die Durchreise von Bürger*innen aus Drittstaaten bei den Grenzübergängen der internationalen Flughäfen von Rom Fiumicino, Milano Malpensa und Kairo vonstattengeht.
Die Lektüre von Art. 5 ist schockierend: „Jedes Mal, wenn die Parteien in gemeinsamer Absprache zu dem Schluss kommen, dass Fälle von Dringlichkeit und Notwendigkeit oder humanitären Fälle vorliegen, können die Prozeduren zur Feststellung der Identität der Personen, bzgl. derer man die Wiederaufnahme beantragt, auf dem Gebiet der Partei abgewickelt werden, an die der Antrag gestellt wurde (das ist das Land, dem die Anfrage auf Wiederaufnahme gilt, Anm. d. Red.)“. „In solchen Fällen“ – fügt man hinzu – „vereinbaren die Vertragsparteien Zeiten und Modalitäten des Transportes, ebenso wie die Garantien für die Rückkehr derjenigen auf das Territorium der antragstellenden Partei, die sich nicht als Bürger*innen der Partei erweisen, an die der Antrag gestellt wurde.“
Die Migrationspolitik der ägyptischen Regierung steht auf dem Index der größten Organisationen zur Verteidigung der Menschenrechte. Amnesty International enthüllt, wie es im vergangenen Jahr zu unzähligen Fällen von Verhaftungen, willkürlicher Haft und Misshandlung von Flüchtlingen und ausländischen Migrant*innen in Ägypten gekommen ist.
Nicht vorstellbar, dass im Fall der Entdeckung eines möglichen Irrtums bei der Identifikation, die Migrantin / der Migrant zurückkehren kann und in Italien wieder aufgenommen wird. Dann: Unmöglich den Grund für die Verlegung ägyptischer Bürger*innen nach Hammamet in Tunesien zu verstehen. Ein drei Mal wiederholter Druckfehler in ebenso vielen Dokumenten der Polizei? Oder das konkrete Risiko einer Deportation durch militärische Hand ganz nah ans libysche Inferno? Draghi und Lamorgese haben die Pflicht, dies so bald wie möglich zu erklären.
Antonio Mazzeo
Übersetzung aus dem Italienischen von Rainer Grüber