Salinagrande: zwanzig Asylbewerber in einer Hütte mit Asbestdach
Eine im siebten Monat schwangere Frau, die nie untersucht wurde. Berichte über die Gewalt im Zentrum zur Identifikation und zur Abschiebung (C.I.E.) in MiloAls wir beim Aufnahmezentrum für Asylsuchende (C.A.R.A.) in Salinagrande (Trapani, Stadt im Westen von Sizilien) ankommen, um kurz nach dreizehn Uhr, sind die Tore verschlossen und ringsherum ist alles wie ausgestorben. Im Innern des Zentrums für Asylbewerber hingegen erkennen wir einige Mitarbeiter und Sicherheitskräfte in Bewegung. Nur wenige Migranten sind im Innenhof, wahrscheinlich sind sie noch in der Mensa. Schon nach wenigen Minuten werden einige von ihnen auf uns aufmerksam, zwei recht junge Tunesier, und bitten die Wächter, herausgehen zu dürfen. Sie wollen wissen, ob wir auf der Suche nach Arbeitskräften sind. „Arbeit? Arbeit?“, fragen sie uns. Wir antworten, dass wir zu einem Verein aus Palermo gehören und in Trapani sind, um Aussagen über die Lebensbedingungen im Aufnahmezentrum einzuholen. Sie beginnen sofort begierig zu erzählen.
Unser Übersetzer hat eine Aufenthaltserlaubnis auf Grundlage außerordentlichen internationalen Schutzes für die Dauer von einem Jahr erhalten und es ist ihm auch gelungen Arbeit zu finden, wenn auch nur Schwarzarbeit. Da er keine Unterkunft hat, schläft er zusammen mit etwa zwanzig Asylbewerbern in einem verlassenen Haus auf dem Land, nicht weit vom Aufnahmezentrum entfernt. Auch dort ist es sehr eng, erzählt er uns, und wer keinen Platz findet, der behilft sich da, wo es gerade passt; er war auch in den Zentren zur Identifikation und zur Abschiebung (C.I.E.) in Vulpitta, in Chinisia und in Milo, und ist zum zweiten Mal in Italien. Er führt immer noch ein schwieriges Leben, doch trotz allem ist er überzeugt, Glück gehabt zu haben, da er überlebt hat. Er erzählt uns von seinen Erfahrungen im Zentrum zur Identifikation und zur Abschiebung. Er beschreibt Vulpitta als ein sehr altes und heruntergekommenes Gebäude, in dem die Toiletten in einem äußerst schlechten Zustand sind, er sagt, er habe gefroren und oft sei auch das Wasser ausgeblieben. Er lebte in einem sehr kleinen und überfüllten Raum, doch von dem Mitarbeitern im Zentrum wurde er menschlich behandelt. In dem Zeltlager in Chinisia, wo er nur ganz kurze Zeit war, war es viel schlimmer; er beschreibt uns die harten Bedingungen im Lager: stickige Hitze in den Zelten, wenig Wasser, niemand gab Informationen, niemand hörte zu. Die schlimmsten Erfahrungen jedoch hatte er in Milo. Dort herrschten fürchterliche Bedingungen, die Polizei war gewalttätig und repressiv, bedrohte sie und griff sie wiederholt grundlos an. Die Migranten waren voller Angst und eingeschüchtert. Ein junger Tunesier ergreift das Wort, er ist vor wenigen Monaten achtzehn geworden und ist vor einem Jahr nach Italien gekommen, als er noch minderjährig war, nach einer fürchterlichen Überfahrt, die fünf Tage gedauert hatte. Sein Boot hatte nach zehn Stunden Fahrt Schiffbruch erlitten und trieb ohne Hilfe tagelang umher. Nach der Landung auf Lampedusa wurde er in einem Wohnheim untergebracht, in dem es ihm gut erging. Jetzt hat er eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr bekommen, doch er hat Angst. Zurzeit ist er zusammen mit anderen Gleichaltrigen im Aufnahmezentrum. Er würde gern studieren, arbeiten und in Italien bleiben, aber er befürchtet, dass er nach Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis wieder ins Zentrum zur Identifikation und zur Abschiebung in Milo gebracht wird. Viele der Jugendlichen, mit denen er angekommen ist, sind in Milo gewesen und dann nach Tunesien zurückgeschoben worden; sie erzählen Schreckliches: fürchterliche Lebensbedingungen und vor allem wiederholte Schläge, sie möchten um nichts in der Welt nach Italien zurückkehren, unser Land hat sie in Angst und Schrecken versetzt, obwohl sie aus der Diktatur Ben Alis geflohen waren; er erinnert sich, dass er während der Fahrt dachte, es nicht zu schaffen, nie anzukommen, doch verglichen mit Milo büßt sogar die Fahrt über das Meer ihre Dramatik ein. Die Vorstellung, in das Zentrum zur Identifikation und zur Abschiebung zurückzukehren, macht ihm Angst. Sobald über Milo gesprochen wird, werden alle ganz aufgeregt; der Drang dieser Jugendlichen, von ihren Erfahrungen zu berichten, ist greifbar. Ein anderer Junge, der unserem Gespräch folgt, bittet den Übersetzer, uns seine Geschichte zu erzählen. Auch er war in Milo, das er eine Hölle nennt, er erzählt, die einzige Möglichkeit, ein paar Stunden Ruhe zu bekommen, sei es, einen Selbstmordversuch zu begehen, um in die Krankenstation gebracht zu werden und mit dem Psychologen zu sprechen. Viele haben das getan. Alle, mit denen wir sprechen, bestätigen dies. Eine Frau nähert sich uns – drei Frauen sind in der Gruppe – da sie nur Arabisch spricht, dolmetscht der Übersetzer weiter für uns. Sie ist im siebten Monat schwanger und ebenfalls im Aufnahmezentrum untergebracht. Sie beschwert sich über das Essen, das sie als verdorben beschreibt und über fehlende geeignete Kleidung, sie leidet unter der Kälte oder der Hitze, je nach Jahreszeit. Sie macht sich Sorgen um die Gesundheit des Kindes in ihrem Schoß, auch weil sie Schmerzen hatte, und sie erzählt, dass sie nie jemand untersucht habe und nie eine Ultraschalluntersuchung gemacht worden sei. Sie ist vor fast einem Jahr mit ihrem Mann nach Italien gekommen, sie wollten, dass ihr Kind in Italien zur Welt kommt, damit es Italiener wird. Wir erklären ihr, dass das nicht so einfach sei, da sich das italienische Gesetz derzeit auf das Abstammungsprinzip gründet, doch sie bringt voller Hoffnung ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass sich die Dinge ändern werden. Sie würde gern für einige Tage nach Tunesien zurückkehren, um ihre Eltern wiederzusehen, doch sie hat nicht genügend Geld. Es kommen immer noch Leute hinzu, es haben sich zwei lebhafte Gruppen gebildet, alle wollen mit uns sprechen. Ein Junge ist besonders beharrlich, seine Freunde sagen uns, dass es ihm nicht gut gehe. Er redet wenig, kann sich jedoch verständlich machen, auch mit Hilfe seiner Freunde. Er ist vor einem Jahr nach Italien gekommen, hat hier einen Asylantrag gestellt und ist dann nach Deutschland gegangen, um dort Arbeit zu suchen, jedoch ohne Erfolg. Die Rückreise war lang und problematisch, weil ihm Geld fehlte, mehrmals musste er seine Reise unterbrechen und sich Jobs suchen; als er schließlich ins Aufnahmezentrum zurückgekehrt war, hat er herausgefunden, dass der Termin seiner Anhörung vor der Asylkommission bereits verstrichen war. Er wandte sich an einen Anwalt, um einen anderen Termin zu beantragen, doch seinem Antrag auf erneute Prüfung wurde nicht stattgegeben, und jetzt hat er wie alle anderen auch Angst, nach Milo zu kommen. Es geht ihm schlecht, aber seiner Aussage nach fehlt im Aufnahmezentrum psychologische Unterstützung. Ein Problem, das nicht nur ihn betrifft. Ein sehr junger Tunesier meldet sich zu Wort, er lebt nicht im Aufnahmezentrum, sondern schläft ebenfalls im verlassenen Gebäude in der Nähe des Zentrums und behilft sich so gut es geht, um zu essen und sich zu waschen. Er sagt, es gehe ihm schlecht, sein Kopf tue ihm sehr weh. Wir fragen ihn, ob das Problem an der Brille liege, die er trägt; er antwortet uns, es sei nicht seine, ein Freund habe sie gefunden und ihm geschenkt; er sehe tatsächlich nicht gut damit, aber er habe kein Geld, um sich eine Brille zu kaufen. Doch es geht ihm nicht deswegen so schlecht: er würde sich gern aussprechen, doch er kommt durcheinander und spricht wieder Arabisch. Ein Freund von ihm erklärt uns, dass er psychische Probleme habe und Medikamente nehmen müsse. „In Milo wissen sie alles, er kommt von dort“, sagen sie uns, sie haben ihn einfach gehen lassen und zum Aufnahmezentrum geschickt, „doch niemand hat ihm geholfen“.
Neugierig hält auch ein Jugendlicher aus Togo mit seinem Fahrrad bei uns an. Er lebt nicht im Aufnahmezentrum, sondern ist zusammen mit drei anderen Migranten in Trapani untergebracht, in der Genossenschaft Badia Nuova, die auch das Aufnahmezentrum in Salinagrande und das Zentrum zur Identifikation und zur Abschiebung in Milo betreibt. Er sagt, es gehe ihm ganz gut dort, doch sein größtes Problem sei es, Arbeit zu finden. Denn obwohl er Asylbewerber ist, der Berufung gegen die Ablehnung eingelegt hat, hat er eine Arbeitserlaubnis, da er seit einigen Monaten auf die Entscheidung des Ausschusses wartet. Er spricht kaum Italienisch, wir verständigen uns auf Englisch und fragen ihn, welche Arbeit er in seiner Heimat ausgeübt hat. Er ist Karosseriemechaniker, aber offensichtlich hat es niemand für nötig gehalten, ihm die Übersetzung seiner Berufsbezeichnung im Italienischen beizubringen, obwohl er sagt, bereits seit neun Monaten in Italien zu sein. Er ist wegen der Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen aus seinem Land geflohen, man hatte es auf ihn abgesehen, weil er Assistent des Imam war. Wie viele andere hatte er in Libyen Arbeit gefunden und war acht Monate dort geblieben, doch er musste fliehen, als der Krieg ausbrach und die Schwarzafrikaner verfolgt wurden. Wir sind vor dem Zentrum mit einem der Pakistaner verabredet, den wir eine Woche zuvor getroffen hatten. Ein Asylbewerber, der wie andere auch keinen Platz im Aufnahmezentrum bekommen hatte und nun seit vier Monaten im Freien schläft, ohne eine auch nur grundlegende Unterstützung und jegliche Mittel zum Lebensunterhalt. Er flüchtet sich mit drei oder vier Personen, die sich in einer ähnlichen Lage befinden, in ein Häuschen der Straßenbetriebsgesellschaft A.N.A.S. an den nahe liegenden Bahngleisen, zu Essen bekommt er von einem Freund, der im Zentrum untergebracht ist und seine Mahlzeiten mit ihm teilt. Er hat sich in der Notaufnahme des Krankenhauses vor Ort untersuchen lassen, wie wir ihm geraten hatten, da er Schmerzen hatte und uns von einer bereits festgestellten Nierenkrankheit berichtet hatte, doch er hatte keine Ahnung, dass er Recht auf staatliche Gesundheitsfürsorge hatte, auch außerhalb des Aufnahmezentrums. Er hat uns Befunde und Behandlungsverordnungen mitgebracht, die natürlich auf Italienisch waren und ihm nicht übersetzt worden waren, daher tun wir das für ihn. Aufgrund der Diagnose von Nierensteinen mit gelegentlichen Komplikationen ist ihm vom Arzt geraten worden, viel Wasser zu trinken, das ihm natürlich nicht zur Verfügung steht, ebenso wenig verfügt er über Geld, um die ihm verschriebenen Medikamente zu kaufen; daher raten wir ihm, dafür zur örtlichen Caritas oder zur NRO Emergency zu gehen. Er hat zwei Afghanen mitgebracht, die manchmal bei ihm in dem winzigen besetzten Raum an den Schienen schlafen, auch sie sind Asylbewerber, die nicht im Aufnahmezentrum untergebracht sind. Sie erzählen uns, vor etwa viereinhalb Monaten in Italien, in Bari, angekommen zu sein, ihre Anhörung vor dem Asylausschuss ist für Mai angesetzt und auch sie erhalten keinerlei Unterstützung oder Mittel zum Lebensunterhalt, sie können nur auf die Solidarität einiger Landsleute zählen, die im Aufnahmezentrum untergebracht sind und bereit sind, ihre kärglichen Mahlzeiten mit ihnen zu teilen. Sie haben ihren Asylantrag in Trapani gestellt, doch als sie zum ersten Mal ins Polizeipräsidium gegangen sind, sind sie in das Zentrum zur Identifikation und zur Abschiebung in Milo gebracht worden, das sie als Gefängnis bezeichnen; dort sind sie drei Tage geblieben, bis sie entlassen und in das Aufnahmezentrum in Salinagrande geschickt wurden, de facto aber sich selbst überlassen wurden.Bei ihnen sind zwei weitere Afghanen, die im Zentrum untergebracht sind. Einer von ihnen erzählt uns, dass er wie die anderen ebenfalls im Herbst in Bari angekommen ist, aber allein, in einem Container, der in Griechenland, in Patras, verschifft worden war. Er hat vierhundert Euro an einen Griechen gezahlt, um vierzehn Stunden in Dunkelheit, ohne Essen und ohne Wasser zu reisen. Er erklärt uns, dass man normalerweise zwei Mittelsmänner bezahlen muss, um von Afghanistan nach Europa zu reisen, einen davon im Heimatland. Auch er wird erst im Juli vom Ausschuss angehört werden, denn zur Zeit ist kein Dolmetscher für seine Sprache, das Paschto, verfügbar. Beide klagen über das Essen (nur Nudeln, kein Halal-Fleisch) und die mangelhafte medizinische Versorgung. Zum Waschen gibt es nur kaltes Wasser, ein Tunesier erklärt uns, dass sie es in Tonnen sammeln, die sie zum Aufwärmen in die Sonne stellen. Im Hof sehen wir, wie ein Vater mit drei sehr kleinen Kindern spielt. Auch für sie ist das Wasser kalt. Es kommen noch mehr junge Leute, die mit uns sprechen möchten, aber wir müssen gehen. Wir verabreden uns für einen anderen Tag. Sie sagen, dass sie froh über unser Kommen sind, auch wenn wir keinen Zugang zum Zentrum haben. Sie erzählen von dem repressiven Klima, das sie in der Gegend erleben. Auch wenn sie in ihrem Alltag außerhalb des Zentrums unterwegs sind, fühlen sie sich kontrolliert. Aber nicht von der Polizei, wie wir annehmen, sondern von einigen Personen der lokalen Bevölkerung, die sie als „Mafiosi“ bezeichnen. Viele nicken zustimmend, „Mafia drinnen und draußen“, fügen zwei Jungen hinzu. Bevor wir gehen, fahren wir mit dem Auto kurz an den Plätzen vorbei, die uns die Jugendlichen beschrieben haben, wir sehen auch die von den Asylbewerbern besetzte Hütte: sie ist baufällig und das Dach ist aus Asbest und offensichtlich beschädigt.Giorgia Listì und Valentina Caviglia Aus dem Italienischen von Renate AlbrechtDa es uns schwerfällt, uns auf Französisch zu verständigen, gehen zwei von ihnen zurück ins Zentrum und holen einen Freund, der gut Italienisch spricht, damit er für uns dolmetscht.