Salinagrande: Unter den glücklichen Flüchtlingen sind zahlreiche Asylsuchende ohne Unterstützung
Es hagelt Ablehnungen für Tunesier. Revolte im Identfikations- und Abschiebezentrum (CIE) in Milo in der Nacht von Freitag, den 16. auf Samstag, den 17., sechs Immigranten sind verletzt.
Wir erreichen Salinagrande mit der Absicht, die Umgebung des Aufnahmezentrums für Asylsuchende (CARA) zu besichtigen, das von der Kooperative Badia Grande verwaltet wird. Wir wissen, dass für viele Asylsuchende, die in der Gegend leben, weder ein Dach noch jedwede Unterstützung zur Verfügung steht. Sie finden Unterschlupf wo es gerade passt, wenn möglich nicht weit vom Aufnahmezentrum entfernt, wo einige Landsleute bereit sind, ihre magere Verpflegung mit ihnen zu teilen.
Die Landschaft ist gespickt mit verlassenen Gebäuden, vor allem stillgelegte Fabriken und Hütten. Bei der von Jahren der Verwahrlosung zerstörten ehemaligen Marmorverarbeitungsanlage Fiorno zeugen Spuren eines Grills, Laken, Müll und einige Geräusche bei unserer Ankunft von menschlicher Präsenz. In der Nähe befindet sich eine andere verfallene ehemalige Fabrik, wo, wie uns berichtet wird, einige Roma-Familien mit Kindern leben. Überall ist Asbest, Geröll, Schmutz und Verwahrlosung.
Dann sehen wir ein Gebäude mit anliegendem Fußballplatz fast gegenüber vom CARA. Einige Bewohner des Ortes berichten uns, dass die Einrichtung der Kurie gehört und dort bis vor zehn Jahren der Sitz eines Sozialzentrums der Kirche war, wo Feste und Fußballspiele stattfanden.
Es war die einzige Freizeiteinrichtung der Gegend, die für alle geöffnet war und seit ihrer Schließung gibt es keinen einzigen Ort für Begegnungen mehr.
Außen lässt der baufällige Putz verrostetes Eisen hervorstechen; in Zuständen, die man wirklich nicht als hygienisch bezeichnen kann, leben zahlreiche Migranten. Sie haben Decken und andere Zeichen ihrer Präsenz hinterlassen. Ein junger Mann ruht sich im Inneren des Gebäudes aus, obwohl es Zeit für das Mittagsessen ist. Es handelt sich um einen tunesischen Asylantragsteller und ehemaligen „Gast“ des CARA, der jedoch seine Zugangsberechtigung verloren hat, nachdem er mehr als vier Nächte abwesend war. Dies ist zurzeit die Regel. Neben ihm, berichtet er uns, haben sich weitere fünfzehn Antragsteller in die baufälligen Räume des Ex-Sozialzentrums geflüchtet.
Die Leute aus der Ortschaft Salinagrande beschweren sich mit Recht über den Zustand der Verwahrlosung, in dem sich die gesamte Gegend befindet – ein Ort zwischen Meer und Land, dessen Landschaft sonst bezaubernd ist. Vor allem aber beschweren sie sich über die „nivuri“, die Schwarzen. „Sie haben nie jemandem wehgetan“, sagt uns ein Bauer, aber sie stehlen einen Teil der Ernte. Einmal haben sie ihm unreife Knoblauchköpfe geklaut, er fragt sich warum, da ihnen innerhalb des Aufnahmezentrums doch Verpflegung zukommt. Offensichtlich weiß er nicht, dass Unterstützung und regelmäßige Mahlzeiten nur für die Glücklichen, die Platz gefunden haben, bestimmt ist, während diejenigen, die draußen bleiben, nichts erhalten.
Gegenüber vom CARA erzählen uns die Migranten, dass es vor vier Tagen zahlreiche Ablehnungen für die Tunesier gegeben hat: von 200 Anträgen wurden nur 30 positiv beantwortet. Die restlichen 170 können bis zwei Wochen nach Erhalt des Schreibens Einspruch erheben – ein titanenhaftes Unternehmen für die Anwälte. Danach besteht das große Risiko, in ein CIE gebracht und von dort aus ausgewiesen zu werden. Es gibt den Fall eines jungen tunesischen Antragstellers, der ins CARA eingedrungen ist, um dort zu essen und zu schlafen und, als er entdeckt wurde, ist er ins CIE in Milo überstellt worden. Unter den Tunesiern, deren Antrag abgelehnt wurde, ist auch einer aus Sidi Bouzid, dem Dorf von Mohamed Bouazizi. Er sagt uns, dass er in der gleichen Strasse wie Mohamed gewohnt hat.
Ein Jugendlicher aus der Elfenbeinküste, der gegen seine Abschiebung Berufung eingelegt hat, hält an und spricht lange mit uns. Er ist sauer, da es in unserem Land Abschiebungen hagelt und seiner Meinung nach die Einzelfälle nicht akkurat untersucht werden, sondern nur oberflächlich. Sonst, sagt er, könne er sich nicht erklären, warum er, der der Minderheit der Dyula angehört und vor ethnischen Verfolgungen flüchtet, abgeschoben werden soll. Vor dem Krieg hatte er Zuflucht in Libyen gefunden, wo er eine feste Arbeit hatte. Nun ist es offensichtlich, dass er auch dorthin nicht zurück kann, da der Krieg Hass gegen die „Schwarzen“ generiert hat, die mit Söldnern gleichgesetzt werden. Aber in Italien gilt für nicht-libysche Flüchtlinge aus Libyen kein Asylrecht.
Am darauffolgenden Samstag rufen uns einige offensichtlich aufgeregten Migranten aus dem CARA an. Es sind weitere Ablehnungen angekommen, eine davon für den tunesischen Antragsteller, der ins CIE in Milo überstellt worden war. Außerdem ist es in Milo zur Revolte gekommen mit einem Fluchtversuch, der von der Polizei brutal vereitelt wurde. Die Situation ist seit Tagen angespannt, sie hat sich verschlechtert durch die Angst vor den Abschiebungen und im Anschluss an die Nachrichten von den letzten Toten im Meer. Es kam zu Fluchtversuchen und heftigen Reaktionen der Polizei, die mit kochenden Wasser aus Wasserwerfern auf die Inssassen zielte. Sechs Migranten mussten auf der Krankenstation der CIE behandelt werden. Daraufhin sind die Migranten aus Milo in einen Hungerstreik getreten, wobei sie auch keine Flüssigkeit zu sich nehmen, und während wir schreiben, erreichen uns Bestätigungen, dass die Situationen immer noch angespannt ist.
Valentina Caviglia e Giorgia Listì
aus dem Italienischen von Kathrin Neusser