LasciateCIEntrare Vulpitta – Lasst uns rein! Die Stimmen von Migranten hinter Gittern
Dies ist ein Gespräch zwischen Migranten, die sich hinter den Gittern des Zentrums für Identifikation und Abschiebung Seraino Vulpitta in Trapani befinden und Aktivisten der Kampagne „LasciateCIEntrare – Lasst uns rein!“ vor ihren Toren am 23. April 2012.
– „Entschuldigung, aber wer seid ihr?“
(Fulvio Vassallo Paleologo) „Journalisten, Anwälte, Aktivisten…“
– „Ihr müsst etwas tun, denn hier kann man nicht leben… sie behandeln uns hier wie Tiere“
– „Wir haben hier keine Rechte.“
(F. V.P.) „Wir haben gefragt, ob wir herein können; aber sie lassen uns nicht.“
– „Sind die Gesetze nicht geändert worden, dass die Journalisten in die CIE herein können? Wie kommt es, dass es hier wie in einem Gefängnis ist?
(F. V.P.) „Der Präfekt entscheidet…“
– „Wir alle sind schon seit 10 Jahren in Italien, und jetzt werden wir schlecht behandelt…“
– „Wir haben keine Decken, nachts wird es kalt…
– „Ohne Türen in den Duschen…“
– „Es ist abscheulich hier…“
– „Ohne warmes Wasser, bitte!“
– „Wir sehen keinen Anwalt, niemals einen…“
– „Wir sind in anderen Aufnahmelagern gewesen, aber hier ist es anderes. Da gab es ein Minimum an Freiheit. Hier gibt es keine Luft zum Atmen… wir laufen die Korridore rauf und runter…“
(F. V.P.) „Wie viele seid ihr?“
– „Mehr als sechzig Personen, acht in einem Zimmer.“
(F. V.P.) „Kommen euch die Anwälte besuchen?“
– „Ja, ja, es gibt Anwälte, ja, aber…“
(F. V.P.) „Seit wie vielen Tagen seid ihr hier?“
– „Seit sechs Monaten, acht Monaten, 8 ½ Monaten…“
(F. V.P.) „Ist jemand da, der aus Milo kommt?“ (Anm. Milo ist das weiteres Zentrum für Identifikation und Abschiebung in Trapani)
– „Ja, er hat acht Monate dort und zwei hier verbracht“
– „Wir sind aus Turin, Mailand und Bari gekommen…“
– „Sie haben Personen aus ganz Italien hierher verbracht.“
(F. V.P.) „Habt ihr euch eine Bestätigung beim Richter ausstellen lassen?“
„Wir haben keinen Richter gesehen…“
– „Journalisten, darf ich ein Wort sagen? Seit mehr als einer Woche hängen sich die Leute auf, verletzen sich selbst, ein anderer hat sich den Magen geöffnet, einer hat sich in die Hände geschnitten…! Die Leute sterben, sterben. Sie verweigern uns Hilfe jedweder Art. Die Leute sterben an Hunger, sterben an Depressionen, weil sie seit sechs Monaten oder acht Monaten hier sind, weggeschlossen, ohne irgendetwas zu erfahren.
Die Anwälte kommen nie, weil sie mit ihnen zusammenstecken, sie kontaktieren uns nie, nichts funktioniert. Wir können das alles aufschreiben. Ich bin der Erste, der unterschreibt, seinen Namen darunter setzt.“
– „Ja, ja, wir wollen dieses Lager anprangern, wir wollen den anprangern, der dieses Lager leitet. Wir wollen, dass unsere Stimmen in die Öffentlichkeit hinausgetragen werden.“
– „Es ist eine Schande, eine Schande!“
– „Italien kann sich so etwas nicht erlauben…“
– „Niemand sagt uns etwas. Es gibt überhaupt keine Informationen…“
– „Tut etwas für diese Leute… ich bin kein Italiener, aber ich schäme mich für dieses Land, das etwas anderes verdient hat, etwas Besseres als das, was man hier sieht. Das ist ein Italien, ein Europa, das nicht funktioniert, ihr müsst was tun!“
(F. V.P.) „Bitte, welcher Nationalität ihr seid?“
– „Aus Tunesien, Marokko, Ghana, Kolumbien…“
(F. V.P.) „Warum prangert ihr das nicht alles bei euren Anwälten an?“
– „Die Anwälte essen hier, sie sind mit ihnen zusammen, uns helfen sie nicht. Wir haben alle einen Anwalt, aber leider können wir ihn nicht bezahlen…“
– „Ich bin seit acht Monaten hier drin… einer, der nach Italien kommt… wir sind arme Ausländer, die hierher kommen, wir bekommen nichts… acht Monate hier, 1 ½ Jahre dieser Tortur… Hungerstreik…“
(F. V.P.) „Ich kann nur sagen, dass wir zurückkehren!“
– „Sie öffnen unsere Briefe, beschlagnahmen die Handys. Die Anwälte stecken mit ihnen zusammen, uns helfen sie nicht…“
(F. V.P.) „Alle zwei Monate muss die Bestätigung beim Richter ausgestellt werden…“
– „Wir haben hier nie jemanden gesehen… vom ersten Tag an, wenn du hier reinkommst, bis du verlassen, man weiß nicht, wie lange man hier bleiben muss, sechs Monate, acht Monate, 1 ½ Jahre. Man weiß es nicht. Keiner sagt dir irgendetwas.“
(F. V.P.) „Die Gesetze sagen, dass man alle zwei Monate zusammen mit einem Anwalt vor dem Richter die Bestätigung ausstellen lassen muss…“
– „Wir haben keinen Richter gesehen. In Mailand ja, in Turin, ja, Anwälte und Richter, aber in Trapani, nichts. Wir wollen nicht nur dieses Lager anprangern, es gibt Leute, die sind in Bari, in Turin, in Rom, aber keiner beklagt sich…“
– „Hier gibt es keine frische Luft, heute darf z.B. niemand raus, maximal gehen sechs, sieben Personen für 40 Minuten hinaus.“
– „Ich fühle mich beschlagnahmt vom italienischen Staat, der nicht wirklich funktioniert – es ist eine Schande, ich wiederhole es noch einmal. Ich empfinde eine gewaltige Scham… Ich weiß, dass die Immigration während der Krise schwierig ist, aber mit diesen Gesetzen löst man absolut nichts. Es die falsche Herangehensweise.“
(Alessio Genovese) „Gibt es Minderjährig dort drin?“
– „Ja, es gibt hier Personen, die gesagt haben, dass sie minderjährig sind und die einen Anwalt verlangen, aber sie sagen immer: Später, später, bis er nach 20 Jahren endlich hierher kommt… Es gibt einen algerischen Jungen, der ist 17 Jahre alt. Sie nehmen uns auf den Arm; weißt du, warum… Sie wollen den Minderjährigen keine Aufenthaltserlaubnis geben…“
Stimmen von Migranten, gesammelt von Eleanor Mortimer
Aus dem Italienischen von Rainer Grüber