Die auf unbestimmte Zeit verschobene Zukunft. Ein Besuch in einem außerordentlichen Aufnahmezentrum im Umland von Trapani
Beim Betreten des CAS* „Vulpitta“ in Trapani, empfindet man ein gewisses Unbehagen. Denn man muss daran denken, was das CPT* „Vulpitta“ früher war: eine der ersten Haftanstalten für Migrant*innen. Es ist 17 Jahre her, dass dort im Dezember sechs Tunesier in einem Brand, der im Innern ausgebrochen war, starben. Dies nach einem Ausbruchsversuch, gegen den die Ordnungskräfte hart vorgegangen waren. Und dieses CPT war das Modell für viele Situationen, die die Migrant*innen noch heute immer wieder erleben. Das neue CAS hat mit dem ehemaligen CPT (später CIE*) den Namen und die Lage der Unterkünfte gemein, die sich ganz in der Nähe befinden, direkt hinter dem ehemaligen Heim, das geschlossen und zerfallen ist.
Beim Betreten des Geländes bemerkt man ein kleines verlassenes Fußballfeld und eine endlose Reihe von Fahrrädern, die die Migrant*innen zur Fortbewegung benutzen. In einer „Relax“-Zone im Freien treffen wir trotz des Regens einige Leute. „Dies ist der einzige Ort – außer in unseren Zimmern – an dem wir miteinander sprechen können“, sagten sie uns.
Das Aufnahmezentrum ist ein ehemaliges IPAB*, das seit 2013 viele mehr oder weniger tragische Geschichten erlebt hat. Geschichten von Menschen, die durch ein nicht zu funktionieren schneinendes System ihrem Schicksal überlassen wurden. Einige dieser Menschen sind seit der Eröffnung dieses Zentrums noch immer da, dies unter immer schwierigeren psychologischen Bedingungen.
Der Träger, der zu Gruppo Insieme gehört, fühlt sich – wie so oft – vom Staat im Stich gelassen: „Nicht der Staat, sondern wir sind es, die die Aufnahme organisieren; wir sind es, die bei der Bank Schulden haben, uns Darlehen besorgen, um das Zentrum weiter zu betreiben, und nicht so viele Leute, die nach drei Jahren schon wie Verwandte für uns sind, auf der Straße zurückzulassen. So kann es nicht weitergehen.“ Dieser Aussage des Trägers entspricht dann aber nicht der Umgang mit den verschiedenartigen Problemen und die Schwierigkeiten, die sie haben, Situationen zu bewältigen, die nicht mehr Notfälle sind, sondern alltäglich wurden. Die Präfektur von Trapani ist mit den Zahlungen acht Monate im Verzug; dies wird zu einem Problem für die Einrichtungen, die ihre Dienstleistungen dann noch ein Stück weiter einschränken. Die Präfektur ihrerseits hat aufgrund des Personalmangels Schwierigkeiten, schlecht funktionierende Strukturen zu kontrollieren. So entsteht ein Teufelskreis, der sich auf das Leben von Menschen, die immer wieder einen sehr hohen Unterstützungsbedarf haben, negativ auswirkt.
Die fehlenden Dienstleistungen verunmöglichen ein normales Leben in einem Aufnahmezentrum. Wenn die Migrant*innen keine Papiere haben und deshalb nicht arbeiten können, können sie auch kein Geld an die Familien zu Hause schicken. M. aus Gambia, ein stattlicher Mann, bat uns unter Tränen um Hilfe und erzählte uns: Ich bin jetzt seit drei Jahren und zwei Monaten hier, am 28. November 2014 erhielt ich eine Ablehnung seitens der Regionalbehörde von Trapani. Bis heute warte ich auf das Ergebnis meines Widerspruchs. Ich schlafe und esse seit drei Jahren hier drinnen, gelegentlich arbeite ich. Um vier Uhr morgens nehme ich dann mein Rad und fahre auf die Ländereien nach Paceco. Wenn es gut läuft, komme ich am Abend um 21 Uhr mit 20 € in den Taschen zurück. Dieses Geld schicke ich meinem achtjährigen Sohn, der bei meiner Mutter lebt. Ich verstehe nicht, warum sie mich so im Ungewissen lassen, ich bin sehr verwirrt und habe Angst, den Verstand zu verlieren.“
Im außerordentlichen Aufnahmelager von Vulpitta gibt es mehrere Fälle wie diesen von M. Aktuell befinden sich dort 95 Personen, deren größter Teil auf eine Ablehnung hin geprüft wird. Vulpitta ist wie auch die anderen CAS im Status „Verlängerung“, da eine neue Verordnung unterzeichnet wurde, und die Präfektur darauf wartet, die Einrichtungen, die den Zuschlag bekommen haben, zu überprüfen. Dann will man den Übergang von den alten zu den neuen CAS organisieren. Dies obwohl Vulpitta immer eine Aufnahmeeinrichtung bleiben wird, weil es ein ehemaliges IPAB ist. Man fragt sich schon, was daran „außerordentlich“ ist, wenn eine Aufnahme seit drei Jahren keinen Schritt weiterkommt, die Situation sich im Gegenteil verschlechtert…. Und wie werden sich die neuen Trägergruppen halten können, wenn die Verzögerungen bei der Bereitstellung der Mittel bereits feste Gepflogenheit sind?
Das CAS hat außer den notorischen Verzögerungen andere offensichtliche Mängel z.B. das Fehlen von Gemeinschaftsräumen, was ein weiteres Hindernis für die Kommunikation zwischen den Betreibern und den Bewohner*innen darstellt. Es gibt keinen Speisesaal und deshalb essen die Bewohner*innen in ihren Zimmern, in denen es keine Schränke gibt, inmitten der am Boden verstreuten Kleider, Tüten und Lebensmittel. Dies vergrößert das Gefühl von Einsamkeit noch mehr, obwohl 95 Menschen da sind, und es schafft darüber hinaus ein Gefühl von Fremdheit zum Träger, dessen Aufgabe dann im Prinzip nur noch ist, die bürokratischen Vorgänge zu beschleunigen. Als wir den Träger auf dieses Problem hinweisen, lautet die Antwort: Es gab diese Möbel, aber im Lauf der Jahre und im Zusammenhang mit den Protesten seien diese Schäden entstanden. Im Augenblick könnten sie nichts kaufen, es fehlten die Mittel und man achte nur auf die Ausgabe des Taschengeldes, denn „ansonsten laufen wir Gefahr, dass die Nerven durchgehen.“ Das Thema des Mangels an Gemeinschaftsräumen hingegen wird übergangen – man erklärt uns, dass der Gang/die Vorhalle neben den Waschräumen und gegenüber den Zimmereingängen der Gemeinschaftssaal sei, auch wenn es dort keine Tische gibt!
„Ich verkaufe jeden Abend Blumen in den Restaurants von Trapani, weil ich in Bangladesh eine Frau und einen Sohn, der in die Schule gehen muss, habe. Nicht immer gelingt es mir, für meine Familie genügend Geld zu verdienen. Ich werde einfach seit zu langer Zeit an diesem Ort festgehalten.“ Das hat uns A., der ebenfalls Berufung eingelegt hat, sehr höflich mitgeteilt. Für viele von ihnen wurden die Anhörungstermine auf Juni 2017 verschoben. So verlängert man die Zeit in der Vorhölle!
Dies ist keine korrekte Aufnahme und die Probleme sind vielfältig, so wie auch im Geflüchtetenlager von Triscina, im Hotel Aerus, das ebenfalls von der Gruppe Insieme geleitet wird. Das Hotel hat seit August keine Heizung und Videoüberwachung mehr, weil ein Blitz in einer Sommergewitternacht das Lager getroffen hat und einige Anlagen außer Betrieb gesetzt hat – dies berichten uns die Betreiber. Zwischen August und November gelang es ihnen nicht, den Schaden zu beheben. So kommt es, dass die Bewohner*innen bis heute kein warmes Wasser haben. Wenn dies im September noch keine Probleme gemacht hat, dann tut es dies jetzt. Die Betreiber sind machtlos, die Bewohner*innen haben uns jetzt um Hilfe gebeten. Wir haben die Präfektur von dem Problem in Kenntnis gesetzt, und hoffen, dass sich die immer wieder auftretende schlechte Aufnahmepraxis dieses Mal beseitigen lässt.
Die Zukunft ist nicht rosig und für einen großen Teil der Menschen ist sie auf unbestimmte Zeit verschoben, so wie z.B. für S., einen jungen Sudanesen, der vor wenigen Tagen aus der Haft entlassen wurde. Wir haben ihn getroffen, als wir Vulpitta verlassen haben. Er war auf der Suche nach einer Unterkunft für die Nacht. Er gehört zur großen Schar der mutmaßlichen Schlepper und wurde — wie immer — entlassen ohne irgendwelche Informationen – nach acht Monaten Haft. Für ihn ist die Zukunft höchstwahrscheinlich nicht nur verschoben sondern versperrt, denn er wird in diesem unseren Land nur schwer eine Zukunft haben können.
Alberto Biondo
*CAS – centro di accoglienza straordinaria: außerordentliches Aufnahmezentrum
*CIE – Centro di Identificazione ed Espulsione: Abschiebungshaft
*CPT – Centro Territoriale permanente: festes/permanentes territoriales Zentrum, eine Art Bildungsträger/Bildungseinrichtung, per Ministerialerlass 1997 ins Leben gerufen. Gibt es in vielen Städten. Hier können sich Jugendliche und Erwachsene, Einheimische wie Ausländer, melden um festzustellen, was sie vor allem an Bildung benötigen, z.B. Alphabetisierungskurse, sonstige Fortbildungen etc.
*IPAB – Istituto pubblico di assistenza e benessere, italienische öffentliche Einrichtung der Wohlfahrt und Unterstützung
Übersetzung aus dem Italienischen von Petra Schneider