Das außerordentliche Aufnahmezentrum in Poggioreale für Frauen: die Schutzbedürftigkeit, die nicht gewahrt wird
13 Frauen, davon eine mit einem einjährigen Kind.
13 Frauen, über die niemand spricht.
13 Frauen, von denen drei schwanger sind.
13 Frauen, die in Begleitung drei minderjähriger Mädchen sind.
Hier ist die Rede von Frauen, die im einzigen CAS (außerordentlichen Aufnahmezentrum) in der Provinz Trapani untergekommen sind, das seinen Sitz in Poggioreale hat und seit Juli 2014 etwas ruckweise von der Kooperative „Nuovi Orizzonti“ – „neue Horizonte“ – geführt wird. Die Leitung des ehemaligen Altenheimes, von dem nur das Schild bleibt, hat die Tore von Januar bis April 2015 geschlossen, um dann wieder zu eröffnen und die Aktivitäten neu aufzunehmen, allerdings mit den gewohnten Schwierigkeiten, so dass der Vorsitzende uns nun mitgeteilt hat, dass er gezwungen sein wird, erneut zu schließen, wenn nicht die Gelder der Präfektur eingehen.
Momentan sind alle Frauen, die dort sind, Nigerianerinnen, erwachsen und minderjährig, abgesehen von einer Südamerikanerin, die ein besonders verletzlicher Pflegefall ist. Nach der Schließung des anderen Frauenzentrums der Provinz Trapani, das CAS Armonia, wird jenes in Poggioreale, wie es meist mit den isoliertesten Zentren geschieht, als ein Experimentierort genutzt, in dem Erwachsene und Minderjährige einer Nationalität, aus Nigeria eben, aufgenommen werden, aber nicht nur. Einige der Bewohnerinnen haben kleine Kinder oder sind besonders verletzliche Frauen und vor allem Frauen, die ein erhöhtes Risiko haben, Opfer von Menschenhandel zu werden. Es scheint uns, als würde eine solche Praxis gegen jegliche Richtlinie zum Schutz von Minderjährigen und Schutzbedürftige verstoßen!
Diese schwerwiegende Situation, die wir anzeigen, nämlich die Notunterbringung von Minderjährigen in ein CAS für Erwachsene seit Juni 2016, ist das Ergebnis institutioneller Entscheidungen, die das Zentrum wohl oder übel mittragen müsse. Diese Situation ist der x-te Beweis für das Versagen des italienischen Aufnahmesystems. Seit Juni 2016 werden dutzende Mädchen nach Poggioreale verlegt, in ein isoliertes Zentrum, in dem die einzige Ablenkung Zöpfeflechten ist, schön und bunt, aber eben in einem bergigen Gebiet liegende Ortschaft mit kaum 1000 Bewohner*innen mit einem Durchschnittsalter von 70 Jahren, von dem man sich in der Regel freiwillig entfernt, sogar im Rollstuhl. Man flieht vor dem Nichtstun.
Vor einigen Wochen ist tatsächlich ein eritreisches Mädchen mit einem Rollstuhl vom Zentrum in Poggioreale geflohen. Die Schwierigkeiten, auf die sie traf, sind unzählige: sie konnte sich als einzige Eritreerin, die nur die eigene Sprache (Tigrinya) spricht, inmitten lauter Nigerianerinnen mit niemandem verständigen und konnte sich mangels Übersetzer*innen auch nicht verständig machen. Die einzige Art, auf der die Beschäftigten dort mit ihr kommunizieren konnten, war, sie nach Castelvetrano zu bringen und eine Übersetzerin zu treffen, die sich freundlicherweise zur Verfügung stellte.
Es sind Frauen, die die Langeweile und fehlende Papiere teilen, Frauen die ihre Träume weiterhin verfehlt sehen. Einige Frauen sind bereits seit einem Jahr dort und nur fünf von ihnen haben schon die Anhörung bei der Territorialkommission gehabt, um Anerkennung auf internationalen Schutz zu bekommen, während die anderen erst Ende des Monats das C3-Formular zur Asylantragstellung vervollständigen werden. Eine der Bewohnerinnen, die im Dezember 2015 von der Kommission angehört wurde, würde eigentlich immer noch auf eine Antwort warten, und zwar aufgrund von Kommunikationsproblemen zwischen den Kommissionen von Trapani und Palermo, sagt uns die Psychologin des Zentrums.
„Hier für mehr als ein Jahr eine Frau festzuhalten, die eigentlich nicht hier sein will, ist zu kompliziert und das Frustrationslevel ist ungeheuer hoch“, sagt die Psychologin des Zentrums. Wir haben sie gemeinsam mit dem Sozialarbeiter und dem Präsidenten der Kooperative getroffen, der sich über acht Monate Verzug in den Zahlungen seitens der Präfektur beschwert und uns unverblümt mitteilt, dass die CAS mittlerweile die Zahlungsautomaten des Ministeriums geworden sind, weil sie seit Monaten nicht mehr bezahlt werden und die Bewohner*innen trotz der Schwierigkeiten unterhalten müssen.
Es ist ein CAS für Erwachsene, das große Schwierigkeiten hat Minderjährige zu betreuen, wie es einige Angestellte dort beklagen, denn das Zentrum musste Tutor*innen für die Mädchen finden und sah sich vor unvorhergesehene Aktivitäten gestellt. So ist nun auch die Sozialarbeiterin gezwungen, zu verstehen, wie man mit dem Amtsgericht für Minderjährige umgeht. Außerdem haben die Minderjährigen bisher als Schutzbeauftragten den Anwalt der Einrichtung: ein eindeutiger Fall von Inkompatibilität, weiterhin gerechtfertigt durch den Notzustand. Die Alternative dazu war der Bürgermeister, der die Minderjährigen nicht einmal bei einem Arztbesuch begleiten würde. A., eine 17-jährige schwangere Nigerianerin, war zum Beispiel für einen Termin ins Krankenhaus gegangen und der Arzt weigerte sich, sie zu behandeln, weil der Vormund fehlte, der in diesem Fall eben der Bürgermeister selbst gewesen wäre.
Dieses Unbehagen, das täglich im Zentrum gelebt wird, neben den langen Wartezeiten und dem zurückgewiesenen Wunsch, ein frauengerechtes Leben zu führen, verschlimmern nur die Gemütszustände und führen zu Protesten. Der letzte fand vor drei Wochen statt, woraufhin drei Bewohnerinnen das Zentrum verließen und somit ihr Recht auf Aufnahme verloren. Seit das Zentrum wieder eröffnet wurde sind zwölf Aufnahmen der Einrichtung von Poggioreale widerrufen worden. Die einzige Alternative bleibt also, bei einer*m Bekannten unterzukommen oder auf der Straße, was für eine Frau sehr gefährlich ist, vor allem für eine Nigerianerin. Die Situation wird noch dramatischer, wenn die Mädchen das Zentrum verlassen und somit entscheiden, dass die Straße ein besseres Heilmittel gegen die staatliche Ineffizienz ist.
Alberto Biondo
Borderline Sicilia
Aus dem Italienischen übersetzt von Sophia Bäurle