Zurückgewiesene Migranten: keine Rückführungen, sie werden auf die Straße gesetzt. „Die Behörden verursachen den Schaden, die Zivilgesellschaft bügelt ihn aus.“
32 in Catania, 26 in
Pozzallo, 37 in Syrakus, weitere mehrere Dutzend auf Lampedusa. Die Rechnung
der in den letzten Wochen zurückgewiesenen Migranten geht nicht auf. Es sind ungewöhnliche,
plötzlich sehr hohe Zahlen, das Ergebnis plötzlicher Entscheidungen, die von
verschiedenen sizilianischen Polizeipräsidien getroffen werden. Darunter auch
solche, die laut den in diesem Bereich aktiven Vereinen derartige Maßnahmen
bislang nicht getroffen hatten, wie zum Beispiel in Catania. Zurückweisung
bedeutet hier keinesfalls, dass die Migranten in ihre Herkunftsländer
zurückgeschickt werden, sondern nur, dass sie auf die Straße gesetzt werden,
mit einer Ausweisungsverfügung, die ihnen theoretisch auferlegt, Italien
innerhalb von sieben Tagen zu verlassen. Praktisch werden die Personen durch
diesen Schein aus den Aufnahmeeinrichtungen ausgeschlossen und der
Unrechtmäßigkeit überlassen.
„Die Behörden verursachen
den Schaden, und die Zivilgesellschaft muss es ausbügeln; es ist nicht
hinnehmbar, dass die Leute auf die Straße gesetzt werden, und es wird zu einem
Problem, denn sie haben nichts zu essen, keinen Ort zum Schlafen und laufen
Gefahr, dem Menschenhandel ausgeliefert zu sein.“ Paola Ottaviano ist eine
junge Anwältin, die sich seit Jahren für den Schutz minderjähriger Ausländer
einsetzt. Zusammen mit einigen Kollegen und verschiedenen Vereinen und Initiativen
– Rete Antirazzista, Arci, Città felice, Catania bene comune, Centro Astalli, Borderline
– bemüht sie sich in den letzten Tagen, den zurückgewiesenen Migranten die
notwendige Unterstützung zu bieten. Und es werden immer mehr. Sie haben auch
offiziell um Treffen mit dem Präfekten, dem Polizeipräsidenten und dem
Bürgermeister von Catania gebeten, um einen Austausch in Gang zu setzen, jedoch
ohne Reaktion.
Am vergangenen 1. Oktober
wurde eine Gruppe von 32 Personen, darunter eine Frau, an einem Regentag vor den
Palaspedini, Catanias Sporthalle, gesetzt. Sie wurden zurückgewiesen, weil sie
als Wirtschaftsflüchtlinge angesehen wurden. Vor zwei Tagen irrte eine Gruppe
von 26 Personen durch die Straßen von Pozzallo, nachdem sie ihre Ausweisung
erhalten hatten. Sie wurden von einigen Bürgern bemerkt, darunter Enzo Inì, der
ein Literaturcafé betreibt. „Wir haben Geld gesammelt und ihnen das Ticket
gekauft, damit sie ihre Reise fortsetzen können“, erzählt er. Durch persönliche
Anfragen und Aufrufe auf Facebook konnten sie 180 Euro sammeln, die unter
anderem von einem deutschen Bildhauer gespendet wurden. Auch die
Stadtverwaltung hat sich entgegenkommend gezeigt und für eine Nacht ein Zelt
zur Verfügung gestellt, das wegen der derzeitigen Lage noch nicht abgebaut war.
„Ich habe mit den Leuten gesprochen – erklärt Lucia Borghi, Aktivistin des Vereins
Borderline – sie kommen aus Gambia und dem Senegal. Sie haben mir erzählt, dass
einige von ihnen während eines Interviews in unverständlichem Englisch nach den
Gründen für ihre Flucht gefragt wurden, andere erklären, sie seien überhaupt
nichts gefragt worden und ihnen sei plötzlich die Ausweisung ausgehändigt
worden.“
Von dem Anwältenetzwerk
gesammelte Daten ergeben, dass die in Lampedusa angekommenen und
zurückgewiesenen Migranten nach Porto Empedocle gebracht und dort sich selbst
überlassen werden. Sie nehmen dann allein etappenweise die Reise in Angriff,
mit Halt in Agrigent, Caltanissetta und oft Catania. In Syrakus werden die in
diesem Fegefeuer gelandeten Personen von Pater Carlo D’Antoni in Empfang
genommen, der mit seiner Kirche in Bosco Minniti seit Jahren ein Anlaufpunkt
geworden ist und in den normalerweise für Gemeindeaktivitäten vorgesehenen
Räumen Italiener und Ausländer aufnimmt, die in Schwierigkeiten geraten sind.
„Ich habe in den vergangenen zwei Wochen 45 Personen von der Straße aufgelesen,
eine solche Situation habe ich schon lange nicht mehr erlebt“, betont er.
Darunter seien auch sieben unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. „Auch sie
wurden zurückgewiesen, da sie von den Ordnungskräften nach der Untersuchung des
Handgelenks als volljährig angesehen wurden“, fährt der Priester fort. „Aber
der Anwalt, der sie begleitet, lässt sich die Geburtsurkunden schicken, die das
Gegenteil beweisen; die erste ist bereits angekommen. Wenn sie aussagen, vor
dem Hunger geflohen zu sein, werden sie als Wirtschaftsflüchtlinge eingestuft
und verlieren das Recht auf politisches Asyl, aber niemand erklärt ihnen ihre
Rechte. In Wahrheit ist dieses europäische Gesetz ein ungerechter Mist, es ist
unmoralisch, ohne jeglichen Gemeinsinn. Schreiben Sie das, schreiben Sie“,
betont er. „Eine Dummheit von Merkel und Hollande, die Renzi übernommen hat.“
Einige der Migranten, die Pater D’Antoni aufgenommen hat, bekommen rechtlichen
Beistand vom Verein Arci in Syrakus. Wie das Netzwerk von Anwälten aus Catania verfolgen
sie die Strategie, die Abweisungen anzufechten – was langsam erste Ergebnisse zeigt.
„Nach und nach werden sie wieder in den normalen Kreislauf der Aufnahme zurückgeführt“,
betont der Priester.
„Sie werden verzögerte
Zurückweisungen genannt“, bestätigt Riccardo Campochiaro, Anwalt aus Catania
und Experte in dieser Sache. „Es sind keine regelrechten Zurückweisungen auf
See, stattdessen greifen sie sofort nach der Ankunft an Land. Kritisch sind die
Länder der Subsahara. Wenn sie nicht sofort mitteilen, dass sie Asyl beantragen
möchten, wird für Migranten aus diesen Ländern automatisch diese neue Anweisung
durchgesetzt.“ Wenn die Rückführung in die Heimat durch eine Klage blockiert
wird, können sie beantragen, in einem SPRAR* aufgenommen zu werden, doch diese
Einrichtungen haben nicht ausreichend Plätze. „Die Polizei fragt nach dem Grund
der Reise“, ergänzt Ottaviano. „Soweit wir wissen, geschieht dies in Pozzallo
durch eine Art Multiple-Choice-Blatt. Wenn man ankreuzt, dass man „Arbeit
sucht“, greift die Zurückweisung. Doch es ist klar, dass, diejenigen, die
kommen, auch arbeiten möchten; das bedeutet aber nicht, dass sie nicht aus
Gefahrensituationen geflohen sind.“
Catania, Lampedusa, Syrakus,
Pozzallo: Wenn man die Mosaiksteinchen zusammensetzt, ergibt sich ein
besorgniserregendes Bild, das laut den Aktivisten einen ganz bestimmten Grund
hat: „Alles hängt mit den neuen Hotspots zusammen“, sagt der Anwalt aus
Catania. „Es ist eine Art Generalprobe, Italien will Europa zeigen, dass es die
Richtlinien streng einhält. Die Gegenleistung ist die tatsächliche Anwendung
der Verteilungsquoten. Zu Jahresende werden sie die hervorragenden Statistiken
der Ausweisungen präsentieren, doch diese Personen werden nicht in ihre Heimat
zurückgeführt, sondern schlicht und einfach in die Unrechtmäßigkeit entlassen.“
Salvo Catalano
*SPRAR: Sistema di
protezione per rifugiati e richiedenti asilo: Schutzsystem für Asylsuchende und
Flüchtlinge, kommunales Aufnahmesystem auf freiwilliger Basis
Aus dem Italienischen
übersetzt von Renate Albrecht