Der Empfang von MigrantInnen entwickelt sich zu einer willkürlichen Inhaftierung, um die Abnahme von Fingerabdrücken zu sichern

Und Abschiebehaftzentren (Centri di Identificazione ed Espulsione, CIE) werden zu Aufnahmezentren umgewandelt, wie es in Mailand geschieht.
Aus Diritti e Frontiere
In Pozzallo finden zur Zeit mit Gewalt durchgesetzte Identifizierungen von syrischen Flüchtlingen statt, die gezwungen werden, ihre Fingerabdrücke abzugeben. Es scheint so, als ob zumindest zweihundert Flüchtlinge in einen Hungerstreik im Inneren des CPSAs getreten sind, das sich am Hafen befindet. Währenddessen sind die Resultate der polizeilichen Aktivitäten gut sichtbar an denjenigen, die sich auf dem Rücken eines Flüchtlings zeigen. Einer hätte gesagt: „Im Guten oder im Bösen, wir werden eure Abdrücke nehmen.“
https://www.facebook.com/video.php?v=877363518970667&set=vb.100000910804762&type=2&theater
Nach der Operation „Mos maiorum“, die von der Polizei umgesetzt wurde, und die am Ende wahrscheinlich nur einer Sicherheitsstrategie dienen wird, um die Statistiken zu beschönigen und zu zeigen, wie effizient die Apparate gegenüber dem sind, was sie als „illegale Migration“ bezeichnen, beginnt früher oder später eine strukturelle Transformation, die die Unterbringungszentren und die Abschiebehaftzentren (CIE) in Italien betrifft.

Übrigens waren auch die CIE seit langem (dal resto = übrigens, da tempo=seit Zeiten…) „Zentren der Unterbringung“ und die Festgehaltenen waren Migranten: Besser wäre es, sie Inhaftierte zu nennen, aber nach der Vorgabe des Innenministeriums müssen sie „Gäste“ genannt werde. . . jetzt geschieht das auch mit den Flüchtlingen. (Da tempo del resto, anche i CIE erano „centri di accoglienza“ ed i migranti trattenuti, meglio sarebbe dire internati, ma si dovevano chiamare „ospiti“, parola del ministero dell’interno… Adesso succede con i profughi.)
http://www.interno.gov.it/mininterno/export/sites/default/it/temi/immigrazione/sottotema006.html

Während im Süden, besonders in Kalabrien und Sizilien, keine großen Razzien stattfinden wie in den Städten im Norden, vollzieht sich in den südlichen Regionen eine Transformation der – in unterschiedlicher Art benannten – Unterbringungsorte, so die CSPA, Erstunterbringungszentren, wie die in Pozzallo und auf Lampedusa (inzwischen wieder geöffnet), die Unterbringungszentren für Asylsuchende (CARA), wie das Zentrum S. Anna von der Crotone-Isola capo Rizzuto. Es verändern sich auch die Orte der administrativen Haft (Abschiebungshaft, Anmerk. der Red.), wie das CIE Corelli in Mailand, das in ein Aufnahmezentrum umgewandelt werden soll. Und in Messina haben sie eine stillgelegte Kaserne, umgeben von einem militärischen Zaun, dafür reaktiviert, Flüchtlinge und manchmal auch Minderjährige „aufzunehmen“. Diese Praktiken des Ausschlusses und der Beschränkung haben in Messina seit Monaten ein erstes Testfeld in dem Zeltlager gefunden, das im Sommer und Winter auf einem Sportplatz und unmittelbar hinter einem Sportzentrum geöffnet ist.
http://www.messinaoggi.it/News/Messina/Cronaca/2014/08/27/Nuovo-sbarco-aperta-lex-caserma-Bisconte-16691.html
Auch in Catania laufen die Dinge seit Monaten nicht besser und unabhängige Vereinigungen werden außen vor gehalten.
http://ctzen.it/2014/09/13/al-palaspedini-i-171-migranti-giunti-ieri-al-porto-le-associazioni-daccoglienza-tenute-fuori/
http://www.lurlo.info/index.php/rubriche/inchieste/item/896-l-affare-cara-20-000-euro-per-l-assistenza-ai-migranti-al-palaspedini

Nach der offensichtlichen Schwerfälligkeit und Unüberschaubarkeit des Systems der CIE, für die im Übrigen eine Reduzierung der administrativen Haft von 18 auf 2 Monate vorgesehen ist, organisiert sich ein System der ersten und zweiten Aufnahme mit allen strukturellen Charakteristika der Haftorte. Dies auch deshalb, da die syrischen, somalischen, eritreischen Flüchtlinge und Flüchtlinge anderer Nationalitäten nach der Ankunft tagelang willkürlich festgehalten werden können, ohne irgendeine Verwaltungsmaßnahme, ohne eine richterliche Haftprüfung, ohne die Bereitstellung einer Verteidigung, wenn sie Teil einer Untersuchung oder Ermittlung werden, ohne kulturelle Mediatoren oder Dolmetscher, ohne Zugang zu Informationen über die Rechtslage, ohne psychologische oder soziale Unterstützung. Faktisch werden diese Personen festgehalten (in diesem Fall, sonst passt es nicht im Deutschen), entweder, um die Ermittlungen zur Festsetzung der Schlepper voranzubringen, oder um sie, wie vor allem vor Kurzem, mit psychologischer, wenn nicht körperlicher Gewalt, dazu zu bringen, ihre Fingerabdrücke abzugeben.
http://video.repubblica.it/le-inchieste/immigrazione-cosi-vengono-individuati-gli-scafisti/143730/142264

So äußern viele Flüchtlinge – denn all diejenigen, die aus dem kriegerische Libyen fliehen sind Flüchtlinge -, die in der Vergangenheit nur mit einem Foto nach der Ankunft erfasst wurden, nun riskierten, in einem nachfolgenden Schritt doch komplett identifiziert zu werden und somit eine Weiterreise in ein anderes europäisches Land zum Zwecke der Asylantragstellung gefährdet würde. http://video.repubblica.it/le-inchieste/migranti-somali-le-mani-nell-olio-bollente-per-cancellare-le-impronte-digitali/143719/142253

Erinnern wir uns, dass die Hälfte der etwa 140.000 Migranten, die in diesem Jahr in Italien eingereist sind, quasi alle Syrer und sehr viele Eritreer, Italien wieder verlassen haben, um in andere Länder zu gehen, die dem Schutzstatus konkrete Möglichkeiten der sozialen Integration folgen lassen.
Es verbreitet sich also das gewaltsame Vorgehen der Polizei, mit einer Verstärkung der erzwungenen Identifizierungsmaßnahmen, was, in Tagen der polizeilichen Operation „Mos maiorum“, mit der Order zusammenspielt, die Alfano vor einigen Tagen ausgegeben hat, „die Schrauben anzuziehen“. Was dieser Ausspruch des Innenministeriums wirklich bedeuten sollte, beweisen die Fotos, die jetzt im Netz im Umlauf sind, von Menschen, die schon durch die erfahrene Gewalt in ihren Herkunftsländern und während der Reise traumatisiert wurden, und die bei ihrer Ankunft in Italien weitere Schläge hinnehmen mussten, nur zu dem Zweck ihnen mit Gewalt ihre Fingerabdrücke abzunehmen.
Auch wenn die geänderte Bestimmung des CIE in Mailand zu einem Unterbringungszentrum als Erfolg zu begrüßen ist, weil sie die Schließung eines der schlimmsten Abschiebehaftzentren in Italien bedeutet, könnte diese mit einem Projekt der informellen Haft von Asylsuchenden parallel laufen. Dies hat sich bereits in den letzten Tagen im CARA von Crotone bewahrheitet, als nach der Anzeige des polizeilichen Missbrauchs der zuletzt Angekommenen aus Syrien, allen „Gästen“ untersagt wurde, zwischen 8 und 20 Uhr das Zentrum zu verlassen, so wie es in der Vergangenheit bereits geschehen ist. Vielleicht sollte so verhindert werden, dass jemand die Bedingungen im Zentrum und die Behandlung der Syrer bezeugen könne.
http://video.repubblica.it/le-inchieste/tra-i-container-del-cara-di-sant-anna-in-migliaia-chiedono-asilo/143702/142236

In Mailand denkt man vielleicht an die hohe Wahrscheinlichkeit, dass es, nach dem Ende der Operation Mos maiorum, einer polizeilichen Operation, die von vielen europäischen Staaten derzeit getragen wird, zu einer starken Zunahme der Dublin-Rücküberweisungen nach Italien kommt. Das CIE Corelli in Mailand, umgewandelt in ein Unterbringungszentrum, könnte der beste Ort sein, um diese Personen „aufzunehmen“ und sie faktisch informell und auf unbestimmte Zeit von anderen zu trennen und ohne ihnen die wenigen formalen Garantien zu gewähren, die es in Haftzentren gibt (Anwälte und eine richterliche Haftbestätigung).
http://www.meltingpot.org/Milano-Il-CIE-di-via-Corelli-diventa-un-centro-di.html#.VD771kYcRsc

Deshalb müssen die Kampagnen, die Untersuchungskommissionen und die parlamentarischen Besuche oder die anderer Menschenrechtsorganisationen, die bisher die Erlaubnis eines CIE-Besuches beantragt haben, ihre Ermittlungsarbeit nun auf die Unterbringungszentren ausrichten. In vielen dieser ist es ohne eine spezielle Genehmigung des Innenministeriums nicht einmal möglich, Zugang zu erhalten, genauso wie es vor einigen Jahren in den Abschiebehaftzentren der Fall war.
Inzwischen kann man von Unterbringung-Haft zu sprechen, wie es sich im letzten Jahr auch auf Lampedusa nach der Tragödie des 3. Oktobers und auf dem gesamten Staatsgebiet bewahrheitet hat. Es wird notwendig sein, sich an internationale Justizorgane zu wenden, damit Italien nicht systematisch, vielleicht unter dem Deckmantel, die Fingerabdrücke nehmen zu wollen, Maßnahmen zur Einschränkung der persönlichen Freiheit unternimmt, oder schlimmer noch Abschiebungen von wahren Kriegsflüchtlingen und Vertriebenen vorantreibt.

Fulvio Vassallo Paleologo

Aus dem Italienischen von Philine Seydel